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Glossar

Im Glossar erläutert IDA zentrale Begriffe aus seinen Arbeitsbereichen kurz und verständlich. Das Glossar wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Sie vermissen einen Begriff? Schreiben Sie uns einfach an Info(at)IDAeV.de.

Ableismus

Der Begriff (engl. ableism) bezeichnet die strukturelle Diskriminierung von Menschen mit (zugeschriebener) Behinderung bzw. von Menschen, die behindert werden. Es wird eine deutliche Grenze zwischen Menschen mit und Menschen ohne Behinderung gezogen (Othering), die u. a. in Form von Produktivitäts-, Schönheits- und Gesundheitsnormen tief in der Gesellschaft verankert ist. Von den Diskriminierenden wird Ableismus oft nicht bewusst wahrgenommen oder als „gut gemeint“ angesehen. Dies kann sich z. B. in bevormundender Hilfe niederschlagen. Eine Behinderung, durch die Menschen mit Behinderung an der Entfaltung ihrer persönlichen Möglichkeiten be- bzw. gehindert werden, entsteht aber oft erst durch die Diskriminierung selbst, einerseits indem Eigenschaften und Bedürfnisse der Betroffenen durch Institutionen nicht mitgedacht werden, weil sie nicht unter das fallen, was gesellschaftlich als „normal“ definiert wird; andererseits weil ihnen notwendige Hilfen zur Kompensation ihrer physischen, psychischen oder gesundheitlichen Beeinträchtigung verwehrt oder nur in fremdbestimmter Form gewährt werden. Beispiele sind Barrieren wie Treppen statt Rampen für Rollstuhlfahrer:innen, fehlende akustische Ansagen für seheingeschränkte Menschen oder die mangelnde Inklusion im Bildungssystem. Auf diese Weise werden Menschen, die behindert werden, strukturell ausgeschlossen und „unsichtbar“ gemacht. Dies stabilisiert wiederum die gesellschaftlichen Vorstellungen von „normalen“ körperlichen, seelischen und gesundheitlichen Merkmalen.

Adultismus

Unter Adultismus (engl. adultism) wird die strukturelle Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen auf der Grundlage ungleicher Machtverhältnisse zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen verstanden. Handlungen und Haltungen, die auf der Hierarchisierung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sowie ihrer Handlungen, Bedürfnisse und Interessen beruhen, werden durch Normen (z. B. die Höherbewertung der Lohn- und Reproduktionsarbeit gegenüber dem kindlichen Spiel), institutionelle Arrangements, Gesetze, Traditionen und Gewohnheiten unterstützt. Adultismus äußert sich u. a. in Grenzüberschreitungen (z. B. ungefragtes Berühren), in der Sprache („Wir sind doch hier nicht im Kindergarten!“, „Trotzphase“), Nichtbeachtung (z. B. von Fragen) und körperlicher Gewalt. Aber auch in scheinbar selbstverständlichen Regeln, die zwar zum Schutz sinnvoll sein können, aber nur für Kinder oder Jugendliche gelten, kann sich Adultismus ausdrücken, wenn sie nicht für erklärungswürdig gehalten werden, weil vorausgesetzt wird, dass Kinder und Jugendliche zu gehorchen haben.

In unserer Vielfalt-Mediathek wird der Begriff unter der Rubrik kurz erklärt ausführlich erklärt.

Afrodeutsch

Der Begriff „afrodeutsch“ wurde gemeinsam mit der US-amerikanischen Schriftstellerin Audre Lorde 1984 aus der Schwarzen Bewegung in Deutschland heraus entwickelt und diente ihr als politische Selbstbezeichnung. Kolonialrassistischen Fremdbezeichnungen, Vorstellungen einer homogenen weißen deutschen Gemeinschaft und der Verdrängung der deutschen Kolonialgeschichte wurde selbstbewusst die Haltung entgegengesetzt, dass Schwarze Menschen historisch und sozialisatorisch selbstverständlich zur deutschen Gesellschaft gehören. Durch die bewusste Anlehnung an „afroamerikanisch“ und den Bezug zur Black Power-Bewegung sollte der Begriff auch mobilisierend und einend wirken. Er umfasste ursprünglich Schwarze Menschen mit einem afrikanischen oder afroamerikanischen und einem weißen deutschen Elternteil. Da sich die afrikanischen Bezüge Schwarzer Menschen in Deutschland jedoch stark ausdifferenziert haben, ist der Begriff Schwarze Deutsche inzwischen verbreiteter.

Siehe auch Kolonialismus, People of Color und Weiß / Weißsein.

Afrodiaspora

Afrodiaspora meint einerseits die Gesamtheit der Menschen mit einer afrikanischen Herkunft, andererseits dass Menschen sich mit dieser Herkunft identifizieren und sich selbst als afrodiasporisch beschreiben. Der Begriff afrodiasporisch bezeichnet allgemein das gemeinschaftliche kulturelle Erbe der von Afrika fernablebenden Menschen und Gemeinschaften, ihre Identität, ihre afrikanischen Wurzeln und ihre afrozentrische Weltanschauung.

Afrodiaspora lässt sich aus den folgenden zwei Begriffen ableiten. Zum einen aus dem Begriff Afro und zum anderen aus Diaspora. „Afro“ steht als Vorsilbe für „afrikanisch“. „Diaspora“ steht für Zerstreuung und Verstreutheit und bezeichnet die Existenz von nationalen, religiösen, kulturellen und ethnischen Gruppen mit afrikanischen Bezügen, die fernab afrikanischer Länder leben.

Alltagsrassismus

Der Begriff „Alltagsrassismus“ thematisiert das Zusammenwirken von individuellen Handlungen und gesellschaftlich-kulturellem Rassismus. Alltagsrassismus zeigt sich, wenn sich ein rassistisches Wissen über kulturell verankerte Zugehörigkeitsordnungen, Bilder und Vorstellungen unbewusst und/oder unbeabsichtigt z. B. in vermeintlich neutralen, positiven, oder neugierigen Fragen, Aussagen, Gesten, Handlungen und Blicken niederschlägt. Erstens ist also das Nebeneinander von „süßen und bitteren Worten“ für Alltagsrassismus charakteristisch. Es verschleiert seine Gewaltförmigkeit. Diese liegt zweitens darin begründet, dass Alltagsrassismen rassistisch diskreditierbare Menschen implizit aus dem „Wir“ ausweisen, indem sie anhand rassifizierter Merkmale (Aussehen, Sprache, Namen usw.) unabhängig von ihren individuellen Erfahrungen und Identifikationen als „Andere“ identifiziert und behandelt werden, z. B. durch übergriffige Handlungen wie das Berühren der Haare oder durch Komplimente für Deutschkenntnisse. Drittens ist Alltagsrassismus durch seine Regelmäßigkeit gekennzeichnet. Er erschüttert so permanent das Selbstbild der negativ Betroffenen, eine Erfahrung, deren Schwere häufig noch dadurch verstärkt wird, dass ihnen abgesprochen wird, Rassismus erfahren zu haben.

Allyship

Altendiskriminierung

Altendiskriminierung ist eine Form von Altersdiskriminierung und kann ebenfalls als Ageismus bezeichnet werden. Sie beschreibt die strukturelle Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres zugeschriebenen höheren oder hohen Lebensalters sowie die Stigmatisierung des Alterns und des Altseins bspw. durch gesellschaftlich-kulturell vorherrschende Verbindungen mit Krankheit sowie körperlichem und geistigem Verfall.

Altersdiskriminierung

Altersdiskriminierung (engl.: Ageism, dt. auch: Ageismus) bezeichnet allgemein die Diskriminierung von Personen oder Gruppen aufgrund ihres zugeschriebenen Lebensalters. Altersdiskriminierung und Ageismus dienen in diesem Sinne als Oberbegriffe für Altendiskriminierung und Adultismus.

Ambiguitätstoleranz

Ambiguitätstoleranz ist ein Konzept, das die Sozialpsychologin Else Frenkel-Brunswick Ende der 1940er Jahre u. a. im Rahmen ihrer Arbeiten an der Studie The Authoritarian Personality ausgearbeitet hat. Es bezeichnet die Fähigkeit von Menschen, Uneindeutigkeiten, Mehrdeutigkeiten, Widersprüche, Unentscheidarkeit und Vagheit (d. h. Ambiguität) auszuhalten und mit ihnen konstruktiv umzugehen, ja sie sogar aktiv zu suchen und zu genießen. Die Neigung, Uneindeutigkeiten abzuwehren und zu vermeiden, wird hingegen Ambiguitätsintoleranz genannt.

Während Ambiguitäts(in)toleranz die kognitive, verstandesmäßige Dimension des Erlebens von Ambiguität meint, bezieht sich Ambivalenz(in)toleranz auf den Umgang mit den ambivalenten Emotionen, die mit der Erfahrung von Ambiguität einhergehen. Menschen, die gut mit sich widersprechenden Gefühlen umgehen können, die also ambivalenztolerant sind, können auch Ambiguität besser verarbeiten.

Ambiguitätstoleranz hängt eng mit Formen der Diskriminierung wie Rassismus oder Sexismus und Phänomenen des Autoritarismus wie Rechtsextremismus und religiösem Fundamentalismus zusammen. Ambiguitätstoleranz bildet aber nicht ihre Ursache in Form eines Ursache-Wirkung-Zusammenhangs. Vielmehr drückt sich in ihnen Ambiguitätstoleranz aus. Bspw. gibt Rassismus vor, Menschen eindeutig und umfassend definieren zu können, sei es in ihrer Zugehörigkeit, in ihren Eigenschaften oder in ihrem Verhalten. Ähnlich funktioniert Sexismus, der behauptet, Menschen anhand ihres Körpers genau zwei Geschlechtern, Geschlechtsrollen, Geschlechtsausdrücken und Geschlechtsidentitäten zuordnen zu können. Rassismus und andere Formen von Diskriminierung und Autoritarismusvereindeutigen also die unendliche Vieldeutigkeit der Welt.

Es kann jedoch nicht nur psychologisch untersucht werden, wie Menschen mit Ambiguität umgehen. Daneben kann auch sozial- und kulturwissenschaftlich gefragt werden, wie Gesellschaften Ambiguität handhaben. Dabei zeigt sich, dass „der Westen“ seit dem 17. Jahrhundert ein historisch unerreichtes Streben nach eindeutigen, unhinterfragbaren und universell gültigen Wahrheiten begann. Das Ausradieren von Uneindeutigkeiten und Widersprüchlichkeiten zeigte sich in der wissenschaftlichen Erfassung und Klassifikation aller natürlichen Erscheinungen, wie es für das Denken der Aufklärung charakteristisch war. Dieses Streben betraf schließlich auch den Menschen, als der moderne Rassismus die Menschheit in „Rassen“ mit festen Zugehörigkeitskriterien und Eigenschaften einteilte. Das Streben nach Gewissheit zeigte sich auch im Kontakt des Westens mit anderen Zivilisationen, indem die Kolonisator:innen den Kolonisierten als Reaktion auf in ihren Augen uneindeutige Geschlechtsidentitäten, -rollen, -ausdrücke und Formen des Begehrens die eigenen binären Vorstellungen von Geschlecht und Begehren aufzwangen – mit verheerenden Folgen bis heute (siehe auch Gender, Kolonialismus und Postkolonialismus).

Anerkennung

Anerkennung bezeichnet den Prozess der Identifikation von Differenz, der wechselseitigen Achtung dieser Differenz und der Entwicklung von Möglichkeiten, wie Menschen und Kollektive als unterschiedliche Gleichwertige selbstbestimmt an gesellschaftlichen Prozessen und Ressourcen teilhaben können. Voraussetzung für selbstbestimmte Partizipation ist, dass Handlungen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Interessen, Subjektpositionen und Eigenschaften von Menschen gesellschaftlich, institutionell und zwischenmenschlich gewürdigt werden. Die gegenseitige Anerkennung ist wesentlich für das gemeinsame Leben in Schule, Beruf, Freizeit usw. Haben Menschen aufgrund von Restriktionen, Stereotypisierungen, Anpassungs- oder Integrationsforderungen und Diskriminierung nicht die Möglichkeit, sich in ihrer Vielfalt zu zeigen und ihre Potenziale zu entfalten, können sie weder als Person oder Kollektive erkannt werden noch sich selbst (an)erkennen. Anerkennung, Identitätsbildung und gelingendes Zusammenleben sind also eng miteinander verschränkt. Wird Anerkennung verweigert, können daher Kämpfe um Anerkennung entstehen.

Anti-Bias-Ansatz

Das englische Wort „Bias“ lässt sich mit „Voreingenommenheit“ oder „Einseitigkeit“ übersetzen. Mit dem Anti-Bias-Ansatz werden Voreingenommenheiten und Einseitigkeiten in Bezug auf verschiedene gesellschaftliche Differenzlinien analysiert, reflektiert und bearbeitet. Dadurch werden strukturelle Schieflagen und Diskriminierungen sichtbar. Dies ermöglicht es Handlungsspielräume auszuleuchten und als von Diskriminierung und Vorurteilen betroffene Person in eine aktive Rolle zu kommen. Gleichzeitig ermöglicht der Ansatz eine Sensibilisierung für die Herausforderungen einer vielfältigen Gesellschaft und für die Lebensrealitäten verschiedener benachteiligter Gruppen.

Einen ausführlichen Artikel zum Anti-Bias-Ansatz in der Elementarpädagogik inkl. weiterführender Literatur findet sich im Konzeptpool der Vielfalt-Mediathek des IDA. Außerdem hat das IDA eine ausführliche Veröffentlichung von Prasad Reddy zum Anti-Bias-Ansatz herausgegeben, die auch zum Download zur Verfügung steht.

Siehe auch Diversitätsbewusste Bildungsarbeit

Anti-Schwarzer Rassismus

Dem Afrozensus von 2022 (www.afrozensus.de) zufolge ist Anti-Schwarzer Rassismus eine spezifische Form des Rassismus, die sich in der Herabwürdigung, Entmenschlichung und Diskriminierung Schwarzer Menschen afrikanischer Herkunft äußert. Im Kern spricht Anti-Schwarzer Rassismus den Betroffenen ihre Menschlichkeit ab, erklärt sie für minderwertig und zu wesenhaft Anderen, während er dadurch gleichzeitig das Selbstbild der weißen Dominanzgesellschaft festigt. Anti-Schwarzer Rassismus dient(e) der Rechtfertigung von Versklavung und Kolonisierung und war dadurch eine wesentliche Bedingung für die Herausbildung der westlichen Moderne und des Kapitalismus.

In Deutschland ist Anti-Schwarzer Rassismus ebenfalls seit der Zeit der Versklavung tradiert und durch weitere historische Kontexte (Kolonisierung, Weimarer Republik, Zeit des Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit) geprägt worden. Eine wesentliche Kontinuität besteht, darin dass die Anwesenheit Schwarzer Menschen immer wieder aktiv und nicht nur symbolisch unsichtbar gemacht wurde und wird, z. B. durch Eheverbote, Zwangssterilisierungen, Entzug der Staatsbürgerschaft, Adoption Schwarzer Kinder ins Ausland, Migrationspolitik und Mord.

Siehe auch Blackface

Antidiskriminierung

Mit Antidiskriminierung verbindet sich ein aktives Eintreten gegen Diskriminierung, sei sie direkter oder indirekter Art. Die Spannweite von Aktivitäten reicht hierbei von der gezielten Beratung, dem Empowerment, der Unterstützung von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen und der Dokumentation von Diskriminierungsfällen über öffentlichkeitswirksame Kampagnen für Vielfalt und gleiche Rechte bis hin zu Gesetzen mit einklagbaren Bestimmungen zum Schutz vor Diskriminierung. Ein wichtiges Ziel von Antidiskriminierungsarbeit ist die Sicherung fundamentaler Menschenrechte.

Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten

Damit werden alle quantitativen und qualitativen Daten bezeichnet, die hilfreich sind, um den Stand von Gleichstellung zu beschreiben und strukturelle Diskriminierung bezüglich aller Diskriminierungsdimensionen transparent zu machen. Sie zeigen bspw., welche Personengruppen auf welchen Hierarchieebenen repräsentiert sind oder welche diskriminierungsrelevanten Erfahrungen Menschen in Organisationen machen. In einem zweiten Schritt dienen die erhobenen Daten dazu, Gleichstellung durch gezielte Maßnahmen (siehe Positive Maßnahmen) zu fördern.

Antifeminismus

Als Gegenbewegung zum Feminismus setzt der Antifeminismus seinen Fokus auf die Rechte und Privilegien von Männern* und Jungen. In Anlehnung an rechtspopulistische, konservative Theorien diffamieren Anhänger:innen des Antifeminismus emanzipatorische Forderungen und Errungenschaften von Frauen*. Sie blenden dabei bewusst aus, dass es ein historisch-kulturell geprägtes Machtgefälle zwischen Männern* und Frauen* gibt, das feministische Bewegungen mit ihren Forderungen herausfordern und bekämpfen. Z. B. sehen sie in der Frauenquote eine Benachteiligung von Männern, ohne anzuerkennen, dass diese positive Maßnahme andere, vielleicht weniger sichtbare Mechanismen der Diskriminierung ausgleichen soll. Antifeminismus richtet sich also auch gegen die Gleichstellung von Frauen* und Männern*.

Siehe auch Gender und Sexismus

Antijudaismus

Im Unterschied zum Antisemitismus, der ein genuin modernes Phänomen darstellt, werden unter Antijudaismus die vormodernen, religiös begründeten Formen von Zuschreibungen, Feindschaft, Ausschluss und Verfolgung von Jüd:innen verstanden, die sich speziell im antiken und mittelalterlichen Europa entwickelten. Als Merkmale des Antijudaismus werden genannt, dass erstens die Differenz zwischen Juden und Nicht-Juden z. B. durch Taufe als überbrückbar angesehen werde; dass zweitens die Auflösung der Differenz zwar durch Bekehrung oder Assimilation erwartet werde; aber drittens Christ:innen das Weiterbestehen der Differenz als Teil der göttlichen Vorsehung hätten ertragen können. Die traditionellen Stereotype des Antijudaismus fanden in modifizierter Form und Funktion Eingang in den Antisemitismus.

Auch wenn diese Begriffsbestimmung und Unterscheidung bislang wissenschaftlich akzeptiert sind, stehen sie in der Kritik. Denn eine binäre Unterscheidung (Dichotomisierung) zwischen Juden und Nicht-Juden sowie die Befriedigung von Identitätsbedürfnissen der Ausübenden, wie sie für den Antisemitismus typisch sind, finden sich bereits in frühchristlichen Schriften. Wenn Antijudaismus und Antisemitismus also nicht anhand der religiösen Begründung und zeitlichen Einordnung unterschieden werden können, können unter Antijudaismus Formen des abwertenden Sprechens und Handelns über bzw. gegen „die Juden“ betrachtet werden, bei denen diese nicht zentral für das Selbst- und Weltverständnis der Äußernden sind. Da in diesem Sinne antijudaistische Äußerungen aber in der Gegenwart immer offen dafür wären, antisemitisch rezipiert zu werden, erscheint es zweifelhaft, ob eine solche Unterscheidung für die Analyse des gegenwärtigen Antisemitismus noch zielführend ist.

Antimuslimischer Rassismus

Antimuslimischer Rassismus (AMR) ist ein kulturalistisch argumentierender Rassismus, der sich gegen Muslim:innen und gegen Menschen richtet, die als Muslim:innen markiert sind, und zwar unabhängig davon, ob die Betroffenen tatsächlich den Islam praktizieren und wie religiös sie sind. Dem AMR liegt die Annahme einer grundsätzlichen und unvereinbaren Andersartigkeit von (vermeintlichen) Muslim:innen zugrunde. Die Markierung erfolgt durch äußere Merkmale wie z. B. religiöse Kleidung, Aussehen, Namen oder Staatsangehörigkeit. Aus ihnen werden eine „ethnisch“ gefasste Herkunft (Ethnizität), eine „Abstammung“ und eine religiöse und kulturelle Zugehörigkeit abgeleitet und einem „Wir“ (z. B. „den Deutschen“, „der deutschen Kultur“, „der christlich-abendländischen Kultur“ usw.) als Gegensatz gegenübergestellt (Othering). An die so erzeugten Kategorien werden weitere historisch verankerte Fremdzuschreibungen (Stereotypisierungen) geknüpft (z. B. Sicherheitsrisiko, „Rückständigkeit“, „Unzivilisiertheit“, „Integrationsunfähigkeit“). Sie werden in deterministischer Weise auf Individuen übertragen, um ihr Verhalten zu erklären, soziale Ungleichheiten, Ausschlüsse und Dominanz zu rechtfertigen, die Privilegien der jeweiligen Wir-Gruppe aufrechtzuerhalten und eine auf Homogenität ausgerichtete nationale Gemeinschaftskonstruktion zu stabilisieren. Wie Rassismus findet also auch AMR immer im Kontext ungleicher Machtverhältnisse statt.

Siehe auch Islamfeindlichkeit, Islamophobie, Kultur, Kulturalisierung, Kulturalismus, Neorassismus und Rassifizierung

Antirassismus

Unter der Bezeichnung Antirassismus werden Ansätze verstanden, die auf die Beseitigung von Verhältnissen und Einstellungen abzielen, die rassistisch (bzw. von Rassismus bestimmt) sind. Kritiker:innen bemängeln das Fehlen einer selbstreflexiven und machtkritischen Komponente. Denn der Begriff unterstelle, dass es eine Position außerhalb rassistischer Verhältnisse gebe, die Personen einnehmen können, wenn sie sich selbst für rassismusfrei erklären. Ein Raum frei von Rassismus bzw. die Schaffung eines rassismusfreien Raumes, so die Kritik, sei aber – zumindest in der gegenwärtigen Gesellschaft – nicht möglich.

Wenn Rassismus verkürzend als irrationales Vorurteil, als absichtsvolles Handeln oder als Form von Hass erklärt wird, wird jedoch genau die Logik bedient, dass Menschen außerhalb rassistischer Verhältnisse handeln könnten, wenn sie nur aufgeklärter oder freundlicher wären. Damit verbunden ist eine moralisierende Haltung, die Menschen als gut oder schlecht beurteilt. Dieser Haltung entsprechend empfinden Menschen Hinweise auf Rassismus als Vorwurf anstatt als Chance, rassistische Verhältnisse zu schwächen. Die Folge ist weiße Zerbrechlichkeit. So verhindert eine moralisierende Haltung aufgrund der Angst, verurteilt zu werden, Rassismus zu thematisieren, sich mit der eigenen Verstrickung in rassistische Verhältnisse und mit neu entstehenden Formen von Rassismus auseinanderzusetzen.

Demgegenüber geht die rassismuskritische Perspektive davon aus, dass gesellschaftliches Handeln nur innerhalb rassistisch geprägter Verhältnisse möglich ist und plädiert für eine offene Auseinandersetzung mit rassistischen Realitäten.

Antiromaismus

Der Begriff wurde von Romani-Aktivist:innen geprägt, um eine Alternative zum Begriff „Antiziganismus“ zu formulieren. Die Bezeichnung „Antiromaismus“ – wie auch andere Begriffe für Gadje-Rassismus, die die Eigenbezeichnungen Sinti_zze und/oder Rom*nja verwenden – wird jedoch kritisiert. Denn sie legt erstens den Eindruck nahe, es gebe eine „ethnisch“ homogene Gruppe von Betroffenen, aus deren vermeintlich realen Eigenschaften Gadje-Rassismus resultiere. Zweitens widerspricht der Eindruck „ethnischer“ Homogenität der Tatsache, dass auch Personen und Gruppen, die sich nicht als Sinti*zze oder Rom*nja identifizieren, z. B. Jenische, von Gadje-Rassismus betroffen sind und waren.

Antisemitismus

Antisemitismus basiert auf einer doppelten Unterscheidung. Die Wir-Gruppe wird zunächst als „Volk“, „Staat“, „Nation“, „Rasse“, „Identität“, „Kultur“ oder Religion von anderen „Völkern“, „Staaten“ usw. unterschieden. Diese Einheiten werden in einer antisemitischen Logik immer als wesenhafte, einheitliche und harmonische Gemeinschaften verstanden. „Die Juden“ werden ihnen dann als Gegenprinzip gegenübergestellt. Durch eine entsprechende Stereotypisierung werden „die Juden“ für alle verunsichernden und als negativ empfundenen Umstände politischer, ökonomischer und kultureller Modernisierungsprozesse verantwortlich gemacht und werden ihnen die Bedrohung und „Zersetzung“ jener als ursprünglich imaginierten Gemeinschaft(en) zugeschrieben. Daraus ergeben sich der Glaube an eine in Gut und Böse eingeteilte Welt, an das Wirken verborgener Mächte und Verschwörungen als weitere Grundelemente des Antisemitismus. Da „die Juden“ in dieser Logik die personifizierte Bedrohung darstellen, sind dem Antisemitismus außerdem die Umkehr von Opfern und Täter:innen und die Diskriminierung – bis zur Vernichtung – von Menschen, die als „Juden“ markiert werden, – auf interaktionaler, institutioneller und gesellschaftlich kultureller Ebene – eingeschrieben. Antisemitische Stereotype rechtfertigen diese Diskriminierungen. Als wichtige Formen von Antisemitismus werden in verschiedenen Typisierungen unterschieden: christlicher, rassistischer, sekundärer, israelbezogener und NS-vergleichender Antisemitismus bzw. antizionistischer und islamistischer/islamisierter Antisemitismus.

Siehe auch Antijudaismus, Nationalismus und Rassismus

Antislawischer Rassismus

Der antislawische Rassismus oder Antislawismus stellt eine Form von Rassismus dar, den viele Rassismus-Debatten übersehen. Denn es handelt sich um einen Rassismus, der sich gegen häufig weiß gelesene (aber nicht weißpositionierte) Menschen (Osteuropäer:innen, Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, postsowjetische Migrant:innen) richtet. Rassismus muss sich jedoch nicht nur auf den Hautton beziehen, sondern kann auch an Sprache oder Akzent (Linguizismus), Name oder Aussehen, kulturelle Praktiken oder Religion anknüpfen. Aufgrund dieser Besonderheit des antislawischen Rassismus und seiner Geschichte in Deutschland weisen kritische Stimmen darauf hin, dass die Kategorie weiß und BIPoC* für den deutschen Kontext nicht ausreichen bzw. weiß hier eine andere Bedeutung habe als in den USA, was in Debatten über Rassismus berücksichtigt werden müsse.

Während des Nationalsozialismus erlebte der antislawische Rassismus seinen Höhepunkt. In den Augen der Nationalsozialist:innen bildeten „Slaw:innen“ eine minderwertige „Rasse“, die aus einem als rückständig und barbarisch imaginierten „Osten“ stammten und die es deshalb zu kolonisieren und zu unterwerfen galt. Diese Ideologie war jedoch keine Erfindung der Nazis, sondern hat ihre Wurzeln bereits im Mittelalter, als polnische, sorbische, litauische und böhmische Menschen auf „deutschen“ Sklavenmärkten verkauft wurden. Seit dem 18. Jahrhundert betrachtete Preußen polnische und andere östliche Gebiete als koloniale Gebiete, eine Haltung, die auch in der Paulskirchenversammlung von 1848, im Kaiserreich und dem Ersten Weltkrieg zum Vorschein kam. Gleichzeitig werteten Philosophen wie Immanuel Kant und Friedrich Wilhelm Hegel „Slaw:innen“ in ihren Schriften mit rassistischen Zuschreibungen. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts rekrutierte die in den damaligen deutschen Staaten entstehende Industrie – vor allem die Bergbauindustrie zahlreiche polnische Arbeiter, die als „Ruhrpolen“ bekannt wurden. Sie wurden von der Politischen Polizei überwacht und waren einer strengen Germanisierungspolitik unterworfen. Zudem warben Gutsbesitzer*innen in den östlichen Provinzen des Deutschen Reichs zahlreiche Landarbeiter:innen aus Osteuropa an.

Antiziganismus

Die Verwendung des Begriffs „antizyganizm“ ist erstmalig für die späten 1920er und 1930er Jahre in der damaligen Sowjetunion belegt. Der Begriff diente staatlichen Stellen und Romani-Aktivist:innen dazu, die alltägliche Diskriminierung von Rom*nja zu benennen und zu kritisieren. Zwar entstand aufgrund von Kontakten in die Sowjetunion im Englischen die Bezeichnung „anti-Gypsyism“, die für das Jahr 1935 nachgewiesen ist, allerdings hatte dieser Entwicklungsstrang keinen über die 1930er Jahre hinausgehenden Einfluss.

In Deutschland wurde „Antitsignanismus“ dem derzeitigen Kenntnisstand zufolge zuerst 1981 in Veröffentlichungen des Projekts „Tsiganologie“ der Universität Gießen verwendet. Die Tsiganologie hatte die Funktion, antiziganistische Zuschreibungen wissenschaftlich zu rechtfertigen. Mit Blick auf den Völkermord an den europäischen Rom*nja und Sinti*zze während des Nationalsozialismus bestritt Bernhard Streck, ein Mitarbeiter des Projekts, dementsprechend mit seiner Begriffsbildung, dass es eine rassistische Ideologie gegeben habe, die dem Völkermord zugrunde gelegen habe. Deshalb setzte er „Antitsiganismus“ in distanzierende Anführungszeichen. Gleichzeitig schrieb er den Verfolgten und Ermordeten selbst die Verantwortung für ihre Verfolgung zu, indem er behauptete, der NS-Staat habe mit seinen Verfolgungsmaßnahmen lediglich auf reale „Missstände“ reagiert.

In Abgrenzung zu dieser rassistischen Begriffsvariante haben Wissenschaftler:innen und Selbstorganisationen einen rassismuskritischen Antiziganismus-Begriff entwickelt. Antiziganismus wird verstanden als strukturelle Diskriminierung und als spezifische Form von Rassismus gegenüber Menschen, die als „Zi.“ stigmatisiert werden. Wie bei anderen Rassismen liegen die Ursachen für Antiziganismus in der Verfasstheit der modernen Gesellschaft (Weitere Infos zum Inhalt dieses Begriffs bietet der Eintrag zu Gadje-Rassismus). Gegenüber Begriffsalternativen wie Antiromaismus, Romaphobie (siehe auch Xenophobie) oder Rassismus gegenüber Sinti*zze und Rom*nja hat Antiziganismus verschiedene Vorteile (siehe dazu Antiromaismus). So macht er u. a. präziser als jene Begriffe deutlich, dass die Betroffenengruppe nicht natürlich gegeben ist, sondern erst durch Diskriminierung sozial hergestellt wird.

Nachdem die Europäische Union den Begriff in den frühen 2000er Jahren in verschiedene Beschlüsse und Dokumente aufgenommen hatte, gilt er inzwischen in Wissenschaft und Öffentlichkeit als weitgehend etabliert und wird auch vom Zentraltrat deutscher Sinti und Roma offiziell verwendet. Seine Etablierung ging einher mit einer erhöhten Aufmerksamkeit für den Völkermord an den europäischen Sinti*zze und Rom*nja in der Bundesrepublik, für die lange ignorierten Ansprüche der Überlebenden und für den nach dem Nationalsozialismus weiter in der Bundesrepublik vorherrschenden Gadje-Rassismus.

Trotz seiner Leistungen und weiten Verbreitung bemängeln einige Romani-Wissenschaftler:innen und -Aktivist:innen, dass sich in dem Begriff Antiziganismus die diskriminierende Fremdbezeichnung „Zi.“ wiederhole. Dies könne dazu führen, dass diese Fremdbezeichnung an neuer Legitimität gewinne und sich wieder stärker verbreiten, obwohl sie vom weit überwiegenden Teil der Betroffenen als Selbstbezeichnung abgelehnt werde. Dies könne zur Reproduktion rassistischer Zuschreibungen und zu neuen Verletzungen führen, da die Fremdbezeichnung aufs engste mit abwertenden Stereotypen, Ablehnungen, Verfolgungen und Vernichtung verknüpft ist, die die Betroffenen auch heute noch erleben (aus diesem Grund wird die Fremdbezeichnung in diesem Glossar nur in abgekürzter Form und in Anführungszeichen verwendet.). Darüber hinaus, so wird kritisiert, ist der Begriff Antiziganismus stark mit der Diskurshoheit weißer Wissenschaftler:innen verbunden.

Asyl

In Deutschland haben Menschen nach Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes das Recht, Asyl zu beantragen. Menschen erhalten Asyl in Deutschland mit einer Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, wenn sie wegen ihrer „Rasse“, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (z. B. als Homosexuelle) in ihrem Herkunftsland einer schweren Menschenrechtsverletzung ausgesetzt sind. Internationalen Schutz als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention mit einer Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre erhalten sie gemäß § 3 Asylgesetz, wenn eine begründete Furcht vor Verfolgung aus den genannten Gründen vorliegt. Subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG wird gewährt, wenn Menschen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, z. B. die Androhung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder Bedrohung durch willkürliche Gewalt in einem bewaffneten Konflikt. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 mit einer Aufenthaltserlaubnis für mindestens ein Jahr gilt, wenn die Abschiebung in den Herkunftsstaat die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzen oder dadurch eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestehen würde. Geflüchtete sind in Deutschland in vielfältiger Weise institutionellem Rassismus ausgesetzt und dadurch in ihren Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe eingeschränkt.

Siehe auch Flucht und Migration

Ausbeutung

Ausbeutung bezeichnet in der marxistischen Theorie die Aneignung von Mehrwert durch die herrschende Klasse. Der Mehrwert ist der Wert, den Arbeiter:innen in der Mehrarbeitszeit erwirtschaften. Das ist die Zeit, die über die Arbeitszeit hinausgeht, die notwendig wäre, um den Wert zu produzieren, den sie für die Deckung ihres Lebensunterhalts und die Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft brauchen. Ausbeutung wird in der marxistischen Theorie als analytischer – nicht als moralischer – Begriff verwendet, da sie aus der Logik von Klassengesellschaften und im Besonderen aus der Logik des Kapitalismus folgt: Denn Unternehmer:innen sind gezwungen, Kapital zu erwirtschaften. Daher ist die klassenspezifische Ausbeutung ein Teil des Kapitalismus.

Ausbeutung bezieht sich neben der kapitalistischen Produktion auch auf Systeme der Sklaverei. Auch Staaten und Völker können von Ausbeutung betroffen sein. Im Kolonialismus erbeuteten die Kolonialstaaten die Rohstoffe, Ressourcen und Arbeitskräfte anderer Nationen und sicherten sich so Wohlstand und Reichtum. Moderne Dependenztheorien kritisieren das bis heute andauernde Fortbestehen dieser Ausbeutungsverhältnisse.

Ausbeutungsverhältnissen liegt ein Machtunterschied zwischen Ausbeutenden und Ausgebeuteten zugrunde. Da dieser Machtunterschied gerechtfertigt werden muss, ist Ausbeutung immer mit Erscheinungsformen von Macht und Herrschaft wie z. B. Rassismus (z. B. die Überrepräsentation von BIPoC* in wenig qualifizierten Tätigkeiten) oder Sexismus (z. B. die Überrepräsentation von Frauen im Bereich der Familien- und Sorgearbeit) verbunden. Für die weiße US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young stellt Ausbeutung eine der fünf Formen der Unterdrückung (im Sinne von struktureller Diskriminierung) dar, die Young als je eigenständige Kennzeichen struktureller Diskriminierung deutet.

Siehe auch Gewalt, Kulturimperialismus, Machtlosigkeit und Marginalisierung.

Ausländerpädagogik

Die Ausländerpädagogik entstand zu Beginn der 1970er Jahre. Adressat:innen waren in den Anfangsjahren als „Gastarbeiterkinder“ und ab den 1980er Jahren als „Ausländerkinder“ titulierte Kinder. Kennzeichnend für die ausländerpädagogische Haltung war die Wahrnehmung dieser Kinder als defizitär, als pädagogisches Problem und als Störfaktor für die organisatorischen, didaktischen und methodischen Routinen der Bildungseinrichtungen. Die Maßnahmen in Form von segregativen Beschulungspraxen zielten lediglich auf eine „Integration auf Zeit“ ab. Die mangelnde Effektivität der entsprechenden Fördermaßnahmen wurde auf vermeintliche Defizite der Kinder in der sozialen Integration zurückgeführt – die wiederum durch das familiäre Umfeld und dessen als defizitär und dysfunktional betrachtete „fremde Kultur“ erklärt wurden. Im ausländerpädagogischen Paradigma, das auf Anpassung, Assimilation und Homogenisierung ausgerichtet war, spiegelten sich das nationalstaatliche Selbstverständnis der deutschen Schule und die Negierung der faktisch existierenden sprachlich-kulturell-religiösen Heterogenität (u. a. durch Migration) wider. Trotz zahlreicher Kritikpunkte sind ausländerpädagogische Ansätze auch heute noch in der pädagogischen Praxis wirksam.

Siehe auch Interkulturelles Lernen, Migrationspädagogik, Nation, Nationalismus, Rassismus

Aussiedler:innen

Als Aussiedler:innen werden nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes deutsche Staatsangehörige und deutsche „Volkszugehörige“ bezeichnet, die die Aussiedlergebiete (das sind die ehemaligen deutschen Ostgebiete, Danzig, Estland, Lettland, Litauen, die ehemalige Sowjetunion, Polen, die ehemalige Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, das ehemalige Jugoslawien, Albanien oder China) vor dem 1. Juli 1990 bzw. dem 1. Januar 1993 verlassen haben und in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind.

Siehe auch Ethnie, Ethnizität, Spätaussiedler:innen und völkischer Nationalismus

Autoritarismus

Das Konzept des Autoritarismus bzw. des autoritären Charakters geht maßgeblich auf die Arbeiten Erich Fromms, Max Horkheimers, Herbert Marcuses, Leo Löwenthals, Else Frenkel-Brunswicks und Theodor W. Adornos zurück. Autoritarismus kennzeichnet eine spezifische Haltung gegenüber Autoritäten, durch die die „gesamte Lebenspraxis auf gefühlsmäßig stark besetzte Unter- und Überordnungsverhältnisse ausgerichtet“ (Milbradt 2020: 58) wird. D. h. eine Person strebt danach, sich zu unterwerfen und andere zu beherrschen. Daraus zieht sie einen psychologischen Gewinn, der ihr Befriedigung verschafft. Indem sie die Freiheit und Unabhängigkeit des eigenen Selbst aufgibt, entlastet sie sich von der Verantwortung für eigene Entscheidungen und Urteile und dadurch auch von Zweifeln. Gleichzeitig nimmt sie Anteil an der Macht der Autorität und erfährt so eine Selbstaufwertung.

Weitere zentrale Bestandteile des Autoritarismus sind Konventionalismus, Projektion, autoritäre Aggression, Rigidität und Machtdenken. Mit ihrer Unterwerfung unter eine Autorität geht die unhinterfragte Übernahme kollektiver Konventionen und Normen einher. Selbstanteile, die nicht diesen Erwartungen entsprechen, und unterdrückte Feindseligkeiten gegenüber der Autorität, werden verdrängt und auf andere projiziert – also ausgelagert (siehe auch Othering, Stereotypisierung). Auf diese Weise können die eigenen inakzeptabel erscheinenden Triebe dann an anderen bestraft oder abreagiert werden (autoritäre Aggression). Basis für die Projektion bildet das Denken in rigiden binären Gegensätzen (Rigidität), d. h. in starren, als unveränderlich, natürlich und ewig verstandenen Unterscheidungen und eindeutigen moralischen Bewertungen (z. B. gut / böse, sauber / schmutzig, Mann / Frau, Homo / Hetero, Körper / Geist). Diesem Denken zufolge sind Menschen entweder gut oder böse usw. Schattierungen der eigenen Persönlichkeit werden nicht zugelassen und wiederum auf andere projiziert. Mit Unterwerfung und Beherrschung geht schließlich ein Machtdenken einher, das menschliche Beziehungen in Hierarchien von Mächtigen und Machtlosen, Starken und Schwachen ordnet. Unterschiede sind demnach Ausdruck von Über- und Unterlegenheit. Macht fasziniert, machtlose Menschen lösen Aggressionen und den Wunsch nach Beherrschung aus. Als schwach wahrgenommene Autoritäten lösen aggressive Gegenreaktionen aus, die auch als „autoritäre Rebellion“ bezeichnet werden.

Eine der zentralen Annahmen des Autoritarismusansatzes lautet, dass das dynamische Geflecht des Autoritarismus sich an der „Oberfläche“ in der Anfälligkeit für antidemokratische und diskriminierende Ideologien, politische Programme und Einstellungen äußert, die in Zeiten gesellschaftlicher Krisen aktiviert werden. Weitere zentrale Annahme ist, dass sich autoritäre Charakterzüge in einem ständigen dynamischen Wechselverhältnis mit gesellschaftlichen Bedingungen wie z. B. der Sozialisation, den Erfahrungen in Institutionen oder den wirtschaftlichen Verhältnissen ausbilden und formen.

Die heutige Sozialpsychologie arbeitet in Erhebungen mit dem Konstrukt des rechtsgerichteten Autoritarismus und fragt häufig lediglich die Kernbestandteile der autoritären Unterwerfung und autoritären Aggression ab. Ein spezifisch linker Autoritarismus konnte hingegen bislang nicht nachgewiesen werden.

Siehe auch Ambiguitätstoleranz, Rechtsextremismus und sekundärer Autoritarismus