Thema/Hintergrund
Adaptiert aus: Maroshek-Klarmann, Uki / Rabi, Saber (2015): Mehr als eine Demokratie. Sieben verschiedene Demokratieformen verstehen und erleben – 73 Übungen nach der „Betzavta“-Methode. Adaption von Susanne Ulrich, Silvia Simbeck und Florian Wenzel. Bertelsmann Stiftung, Gütersloh.
Die Teilnehmenden setzen sich mit verschiedenen Formen der Gehorsamsverweigerung auseinander. Sie diskutieren aktuelle Beispiele und reflektieren ihre eigene Grenze und Bereitschaft, sich an Regelungen zu halten bzw. diese zu übertreten. Sie setzen sich mit der demokratisch verfassten Notwendigkeit, Bürgerinnen und Bürgern vor Übergriffen des Staates zu schützen auseinander und loten Grenzen dieser Regelung aus.
Ziele
- Unterschiedliche Formen gesetzlichen Ungehorsams in Demokratien kennen lernen
- Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern politische Reflexion auch bestimmter Aktionsformen bedarf, um Gegebenheiten der Demokratie zu hinterfragen und Veränderungen zu bewirken
- Reflexion der Frage, welche Formen gesetzlichen Ungehorsams wann legitim sind
- Erkennen des Dilemmas, sich an Regeln halten und diese in bestimmten Situationen auch brechen zu wollen
- Erkennen des Dilemmas, allgemeine Regeln anzuerkennen, aber je nach persönlicher Befindlichkeit sich das Recht heraus zu nehmen einen eigenen Weg zu gehen
Erkennen der Konsequenzen des Handelns und Nicht-Handelns in als ungerecht empfundenen Situationen.
Durchführung der Übung
Phase A
1. Die Gesamtgruppe wird in Kleingruppen mit jeweils vier bis fünf Personen unterteilt. Jede Gruppe erhält einen der Texte (H.I.1.) mit unterschiedlichen Formen der Gehorsamsverweigerung und die Aufgabenkarte (H.I.2.) »Unterschiedliche Formen der Gehorsamsverweigerung«.
2. Die Übungsleitung erklärt die Übung:
a) Die Gruppen lesen den erhaltenen Text gemeinsam durch.
b) Sie überlegen gemeinsam, wie sie den anderen Teilnehmenden ihre Form der Gehorsamsverweigerung erklären.
c) Sie suchen nach Beispielen, die diese Form der Gehorsamsverweigerung veranschaulichen.
Phase B
Die Gesamtgruppe wird wieder in neue Kleingruppen mit jeweils vier bis fünf Personen unterteilt. In jeder neuen Gruppe befindet sich jeweils eine Person, die sich schon zuvor mit dem Text auseinander gesetzt hat. Alle Gruppenmitglieder erklären den anderen Teilnehmenden den Artikel, den sie zusammen mit der vorherigen Gruppe gelesen haben. Sie erklären die Form des Ungehorsams und führen Beispiele an.
Phase C
Jede Gruppe erhält die Aufgabenkarte (H.I.3.) »Unterschiedliche Formen der Gehorsamsverweigerung« und mehrere Tageszeitungen. Die Übungsleitung erklärt die Aufgabe:
a) Die Teilnehmenden suchen in den Zeitungen nach Formen des gesetzlichen Ungehorsams. Sie schneiden die relevanten Artikel/Meldungen aus.
b) Die Artikel werden nach Art des gesetzlichen Ungehorsams in Gruppen angeordnet.
c) Als Überschrift schreiben sie auf die einzelnen Flipchart-Bögen jeweils eine andere Form des gesetzlichen Ungehorsams und kleben die Zeitungsartikel darunter.
Auswertung
1. Die Sprecher_innen der Kleingruppen hängen die Plakate ihrer Gruppe an die Tafel. Sie besprechen ihre Zeitungsartikel und erläutern den Bezug zwischen den gefundenen Beispielen und unterschiedlichen Formen gesetzlichen Ungehorsams.
2. Übungsleitung und Teilnehmende überlegen, welche Formen des Ungehorsams in Demokratien legitim sind, welche nicht und weshalb. Folgende Fragen können eine Orientierung für die Diskussion bieten:
- Wo ist Ihre persönliche Grenze des Gehorsams? Welche Form der Gehorsamsverweigerung würden Sie wählen?
- Können Sie daraus eine allgemeine Richtschnur ableiten? Wie gehen Sie mit den Widerstandsformen anderer Menschen um?
- Wie sehen Sie das Dilemma zwischen Stabilität der bestehenden (Macht-)Ordnung und der Notwendigkeit auch ungeplanter Veränderung von demokratischen Regelungen?
- Besteht ein Unterschied darin, ob privilegierte Gruppen Gehorsam verweigern oder ob dies gesellschaftlich diskriminierte Gruppen tun?
- Welche Konsequenzen hat es, in bestimmten Situationen gehorsam zu sein oder nicht? Wer hat jeweils Vorteile davon?
Die Übungsleitung fasst die Äußerungen der Teilnehmenden zusammen. Sie nennt die verschiedenen Formen gesetzlichen Ungehorsams in Demokratien, die in den Texten vorgestellt wurden, noch einmal.
Die Übungsleitung erklärt den Unterschied zwischen legitimen und nicht legitimen Formen gesetzlichen Ungehorsams in Demokratien. Regierung und Gesetze sind so lange legitim, wie sie demokratischen Grundsätzen gegenüber verpflichtet sind. In Tyranneien oder unter rassistischen Regierungen sind Bürgerinnen und Bürger nicht zu gesetzlichem Gehorsam verpflichtet.
Die Legitimität einer Regierung leitet sich von der Art und Weise ab, wie diese gewählt worden ist, ob sich der Gesetzgeber seinen Gesetzen gegenüber verpflichtet fühlt, ob Bürger und Regierung vor dem Gesetz gleich sind, ob Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, bestehende Gesetze zu ändern und am Gesetzgebungsprozess zu partizipieren. In Demokratien sollen Bürgerinnen und Bürger die ihnen zur Verfügung stehenden demokratischen Mittel nutzen – auch um Gesetze zu ändern: das Recht auf Information und Meinungsfreiheit; das Recht, zu wählen und gewählt zu werden; das Recht, andere Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen, nicht für eine Regierungsvertreterin zu stimmen, die unakzeptable Gesetzentwürfe vorschlägt. Demokratische Staatsbürgerinnen und -bürger haben das Recht zu demonstrieren und sollen dies auch wahrnehmen. Sie haben ein Recht auf Streik und verschiedene Möglichkeiten, ihre Meinungen auszudrücken.
Ungehorsam gegenüber dem Gesetz ist nicht legitim, solange sich eine Regierung an demokratische Grundprinzipien hält. Die Meinungen von Anhängern unterschiedlicher Demokratieformen zur Frage des gesetzlichen Gehorsams gehen auseinander, wenn es darum geht, wie Bürgerinnen und Bürger sich verhalten sollen, wenn sich die Regierung undemokratisch verhält: Einige sehen dies als Bruch des Gesellschaftsvertrags zwischen Bürgern und Regierung und leiten daraus die Erlaubnis ab, Gehorsam zu verweigern. Andere befürchten, dass gesetzlicher Ungehorsam mehr schadet als nutzt. Um Anarchien zu vermeiden, gibt es Abstufungen regierungskritischer bzw. regierungsfeindlicher Aktivitäten, mit denen die Regierung zur Kursänderung bewegt werden soll. Die Meinungsverschiedenheiten kreisen nicht um die Legitimation des gesetzlichen Ungehorsams, sondern um die Frage seiner Effektivität. Gesetzlicher Ungehorsam ist integraler Bestandteil demokratischer Gesellschaftssysteme. Diktatoren verlangen von ihren Untertanen, Gesetze immer und in jedem Fall einzuhalten. Anarchisten lehnen Gesetze grundsätzlich ab. Demokratische Gesellschaftssysteme sind komplexer und beinhalten auch die Grenzen des Gehorsams.
Rahmenbedingungen
Zeit:
- 1,5 bis 2 h
Material:
- Arbeitsblätter H.I.1. – H.I.3.
- Verschiedene Tageszeitungen
- Flipchart
- Moderationskoffer