Unter Antijudaismus werden die vormodernen, religiös begründeten Formen von Zuschreibungen und Feindschaft gegenüber sowie Ausschluss und Verfolgung von Juden:Jüdinnen verstanden, die sich wesentlich im antiken und mittelalterlichen christlichen Europa entwickelten. Dazu gehörte ganz zentral der Vorwurf des Gottesmordes, der das Fantasma jüdischer Macht und Verschwörung begründete. Beides ergab sich daraus, dass das Judentum das Christentum in seinen Grundfesten in Frage stellte, das Christentum aber ohne das Judentum nicht denkbar ist. Zudem wurde das Judentum als veraltete und durch das Christentum überholte Religion dargestellt, deren Angehörige sich aus Sturheit dem christlichen Erlösungsversprechen widersetzen würden. Auf diese Weise rechtfertigten Christ:innen regelmäßig Gewalt gegenüber Juden:Jüdinnen, mit der sie ihre Glaubenszweifel und Ambivalenzen ausagierten.
Während des christlich-europäischen Mittelalters entwickelten sich aus diesen Grundlagen weitere Stereotypen wie die Ritualmordlegende, das Wucherstereotyp und die Legende der Brunnenvergiftung. Diese traditionellen Stereotype des Antijudaismus fanden und finden weiterhin in modifizierter Form und Funktion Eingang in moderne Varianten des Antisemitismus.
Im Versuch, den Antijudaimus als weniger schlimm oder nicht antisemitisch vom Antisemitismus abzugrenzen, wird immer wieder argumentiert, dass erstens die Differenz zwischen „Juden” und Nicht-„Juden” z.B. durch Taufe als überbrückbar angesehen worden sei; dass zweitens die Auflösung der Differenz zwar durch Bekehrung oder Assimilation erwartet werde; aber drittens Christ:innen das Weiterbestehen der Differenz als Teil der göttlichen Vorsehung hätten ertragen können.
Diese Begründung steht in der Kritik. Denn eine binäre Unterscheidung (Dichotomisierung) zwischen „Juden” und Nicht-„Juden”, die Dämonisierung der „Juden”, die Befriedigung von Identitätsbedürfnissen der Ausübenden und die Umkehr von Opfern und Täter:innen, sind nicht nur für den Antisemitismus typisch, sondern kennzeichnen auch schon den frühen Antijudaismus. Zudem erwarteten die Christ:innen, dass Juden:Jüdinnen spätestens beim Jüngsten Gericht entweder bekehrt oder vernichtet würden. Daher war schon im Antijudaismus die Erlösung der Christ:innen an das Verschwinden von Juden:Jüdinnen gebunden.
Antijudaismus und Antisemitismus können also weder anhand der religiösen Begründung noch der zeitlichen Einordnung voneinander unterschieden werden. Daher wird Antijudaismus häufig als Form des Antisemitismus verstanden. Um Kontinuität und Ursprung zu betonen, wird teilweise stattdessen von christlichen Antisemitismus gesprochen. Ein anderer Vorschlag ist, unter Antijudaismus nur die Formen des abwertenden Sprechens über und Handelns gegen „die Juden“ zu fassen, bei denen diese nicht zentral für das Selbst- und Weltverständnis der Äußernden sind. Da in diesem Sinne antijudaistische Äußerungen aber in der Gegenwart immer offen dafür wären, antisemitisch rezipiert zu werden, erscheint es zweifelhaft, ob eine solche Unterscheidung für die Analyse des gegenwärtigen Antisemitismus zielführend ist.
Siehe auch Identität (kollektive), Islamistischer/islamisierter Antisemitismus, Israelbezogener Antisemitismus, Moderner Antisemitismus, Post-Shoah-Antisemitismus und Stereotypisierung