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Glossar

Im Glossar erläutert IDA zentrale Begriffe aus seinen Arbeitsbereichen kurz und verständlich. Das Glossar wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Sie vermissen einen Begriff? Schreiben Sie uns einfach an Info(at)IDAeV.de.

Dekolonisierung

Der Begriff Dekolonisierung, oft auch Dekolonisation oder Entkolonialisierung genannt, steht für das Ende der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Herrschaft der Kolonisator:innen in den ehemaligen Kolonien. Die Dekolonisierung markiert somit die formale Auflösung der Kolonien, insbesondere in den Jahren von 1940 bis 1960. Zwar zeigt sich darin, dass der Begriff Dekolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg virulent wurde, allerdings haben sich schon vor dem Ersten Weltkrieg Formen der Dekolonisierung abgezeichnet. Gleichzeitig ist unter Dekolonisierung auch der Befreiungsprozess der ehemaligen Kolonien von den Kolonialherr:innen zu verstehen. Mit dem Kampf um Selbstbestimmung und Rechtsgleichheit haben die Menschen aus den Kolonien ihre politische Unabhängigkeit gefordert und erlangt. 

In der Philosophie und Kulturgeschichte wird der Begriff Dekolonisierung verwendet, um im weitesten Sinne alle Denkmuster, die den europäischen Kolonialismus und seine Nachwirkungen überwinden möchten, begrifflich fassen zu können. In diesem Sinne hat ihn der kenianische Schriftsteller und Kulturwissenschaftler in seinem Essayband Dekolonisierung des Denkens (engl. Decolonising the Mind) aus dem Jahr 1986 geprägt. Dabei werden insbesondere koloniale Vorstellungen, durch die Afrika, Asien und der Nahe Osten als anders und minderwertig dargestellt wurden, hinterfragt und durch neue Bilder und Vorstellungen ersetzt. Darüber hinaus wird in der postkolonialen Literaturwissenschaft von Dekolonisierung gesprochen, wenn Texte und institutionalisierte Sprechweisen kolonialismuskritisch durchleuchtet und entsprechende Lektürestrategien entwickelt werden. Dabei wird Dekolonisierung als ein Prozess verstanden, der sowohl von BIPoC* als auch weißen Personen durchlebt werden muss, um sich von kolonialen Denk- und Handlungsmustern lösen zu können. Laut dem postkolonialen Theoretiker Edward Said heißt dekolonisieren, ganz gleich ob von Europa, Afrika oder Asien aus betrachtet, Widerstand gegen jegliche kolonialen Vorstellungen zu leisten, koloniale Geschichte aufzuarbeiten und die heutigen Formen der postkolonialen Unterdrückung zu bekämpfen.

Das Konzept der Dekolonisierung wird antisemitisch instrumentalisiert, wenn Israel als „weißer Kolonialstaat” dämonisiert und mit der Forderung dessen Dekolonisierung Israels Existenz in Frage gestellt wird (siehe Israelbezogener Antisemitismus).

Siehe auch Doppeltes Bewusstsein, Empowerment, Epistemische Gewalt, Imperiale Lebensweise und Symbolische Macht

Desintegration

Desintegration beschreibt ein soziales Phänomen der Loslösung aus gesellschaftlichen Bindungen und bildet somit den Gegenpart zur Integration. Sie kann jede Person betreffen und sowohl objektiv als auch subjektiv in Erscheinung treten. Während objektive Desintegration Aspekte wie den fehlenden Zugang zu Bildung, Arbeit oder Kultur umfasst, gilt Desintegration als subjektiv, wenn sie der Wahrnehmung von Menschen entspricht, selbst wenn objektiv keine Faktoren für eine Desintegration vorliegen. 

Im Zusammenhang mit Migration wird der Begriff Desintegration häufig verwendet, um eine vermeintlich unzureichende „Integration(sbereitschaft)“ von Migrant:innen zu beschreiben. Hierbei transportiert der Begriff eine wahrgenommene Abweichung von der weiß-christlich-deutschen Norm, die oft mit der Forderung nach Anpassung und der Androhung von Sanktionen verbunden ist. In diesem Kontext werden die Begriffe Integration und Desintegration also genutzt, um die weiß-christlich-deutsche Dominanz zu festigen (Rassismus).

Diesem Verständnis von Desintegration und Integration stellt Max Czollek eine kritische Neubewertung entgegen. Er schlägt vor, Desintegration nicht nur als ein zu vermeidendes oder als problematisches Phänomen zu betrachten, sondern sie auch als ein durchaus legitim und sogar erwünscht zu begreifen. Czollek kritisiert den Druck zur „Integration“, der (vermeintlichen) Migrant:innen häufig auferlegt wird, und stellt fest, dass dieser Zwang zur Anpassung häufig mit einem Verlust der kulturellen Vielfalt und Identität einhergeht. Anstatt sich in bestehende, normierte gesellschaftliche Strukturen einfügen zu müssen, plädiert er für eine Gesellschaft, die Diversität anerkennt und respektiert, ohne eine erzwungene Angleichung. Desintegration, wie Czollek sie versteht, bedeutet somit nicht das Ausschließen oder Abgrenzen von der Gesellschaft, sondern vielmehr eine Ablehnung des Integrationszwangs und eine Forderung nach mehr Selbstbestimmung in der Gestaltung von Identität und Zugehörigkeit.

Deutschenfeindlichkeit

„Deutschenfeindlichkeit“ ist ein Begriff, den u.a. Rechtspopulist:innen nutzen, um auf sogenannten „umgekehrten Rassismus“ hinzuweisen, wenn also (vermeintliche) Nicht-Deutsche sich gegenüber Deutschen verächtlich äußern, sie angreifen oder Vorurteile haben. Der Begriff impliziert, dass ausschließlich weiße Deutsche gemeint sind, denn sonst könnte von Rassismus gesprochen werden. Dadurch werden etwa Schwarze Deutsche, Juden:Jüdinnen, Muslim:innen oder Sinti:zze nicht als Deutsche anerkannt. Indem aber „Deutschenfeindlichkeit“ als „Rassismus gegen weiße Deutsche“ verstanden wird, wird bewusst ausgeblendet, dass weiße Deutsche in Deutschland über die gesellschaftlichen Machtmittel verfügen, erstens „die Anderen“ zu kategorisieren und zu stereotypisieren sowie zweitens die Kategorien und Zuschreibungen institutionell und gesellschaftlich-kulturell zu verankern (siehe Symbolische Macht). Verstehen Menschen Rassismus in diesem Sinne als Struktur (struktureller Rassismus), ist „umgekehrter Rassismus“ in Deutschland nicht möglich, auch wenn einzelne weiße Deutsche sicher Erfahrungen von Ausgrenzung oder Gewalt wegen ihrer (zugeschriebenen) Herkunft gemacht haben oder machen können. Der Vorwurf der „Deutschenfeindlichkeit“ zielt häufig – auch unbewusst – darauf ab, Rassismus zu relativieren, „die Anderen“ als Täter:innen und sich selbst als Opfer darzustellen, um auf diese Weise die Benachteiligung und den Ausschluss der „Anderen“ als legitime Gegenwehr darstellen zu können (Sekundärer Rassismus und Weiße Zerbrechlichkeit).

Siehe auch Diskriminierung, epistemische Gewalt und gesellschaftlich-kultureller Rassismus

Dichotomisierung

Dichotomisierung bezeichnet in der Rassismuskritik die Zweiteilung von Menschen nach bestimmten Merkmalen. Kulturelle und biologische Differenzierungen werden mit Begriffsgruppen wie „wir/ihr“, „unsere/eure“ markiert. Das „Wir“ wird mit positiven, das „Ihr“ mit negativen, abweichenden Merkmalen verknüpft. Die negative Darstellung der jeweils anderen führt zu Ausgrenzungsprozessen und rechtfertigt sie gleichzeitig.

Siehe auch Rassifizierung und Stereotypisierung

Differenzlinie

Angelehnt an die Theorie der Intersektionalität wird davon ausgegangen, dass Diskriminierungsformen Differenzen erst schaffen. Diese Differenzen beziehen sich jeweils auf spezifische Merkmale, die zur Kategorisierung herangezogen werden: Die „Hautfarbe“ wird u.a. in schwarz/weiß unterteilt, das Geschlecht in Frau/Mann, die sexuelle Orientierung in heterosexuell/lesbisch, schwul, bisexuell, asexuell usw. Differenzlinien führen also dichotome Unterscheidungen ein, die sich sowohl ergänzen als auch hierarchisch aufgebaut sind. Das bedeutet, dass eine Seite der Unterscheidung stets als Norm (weiß, männlich, heterosexuell usw.) betrachtet wird, während die andere Seite als „abweichend“ gilt und durch Diskriminierungen sozial sanktioniert wird.

Da Menschen nicht nur einer, sondern mehreren dieser Differenzkategorien gleichzeitig angehören, ist es allerdings möglich, dass ein Mensch in einem Merkmal der vermeintlichen Norm angehört und in einem anderen Merkmal der vermeintlichen Abweichung. Daraus ergibt sich eine Kritik an dichotomen und normierenden Unterscheidungen. Anstatt von Linien könnte von offenen Räumen gesprochen werden, in denen Menschen individuelle Positionen einnehmen können. Damit wäre eine absolute Norm hinfällig und wir würden die Eigenschaften jedes Menschen als „normal“ ansehen, insofern sie eine mögliche Ausprägung menschlicher Diversität darstellen.

Siehe auch Dominanz und Gender

Diskriminierung

Diskriminierung ist die ungleiche, benachteiligende und ausgrenzende Behandlung von konstruierten Gruppen und diesen zugeordneten Individuen ohne sachlich gerechtfertigten Grund. Diskriminierung kann sich zeigen als Kontaktvermeidung, Benachteiligung beim Zugang zu Gütern und Positionen, als Boykottierung oder als persönliche Herabsetzung. Der Begriff bezeichnet sowohl den Vorgang als auch das Ergebnis, also die Ausgrenzung und strukturelle Benachteiligung der diskriminierten Personen und Gruppen. Diese Benachteiligung kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden.

Interaktionale Diskriminierung hingegen bezieht sich auf individuelle Handlungen und Entscheidungen, die diskriminierend sind. Dies umfasst zum Beispiel Vorurteile und Stereotypen, die das Verhalten von Einzelpersonen beeinflussen, sowie bewusste oder unbewusste Vorurteile, die in persönlichen Interaktionen zum Ausdruck kommen (Siehe auch Interaktionaler Rassismus).

Institutionelle Diskriminierung bezieht sich auf systematische Ungleichheiten, die in den Regeln, Praktiken und Verfahren von Organisationen und Institutionen verankert sind. Diese Form der Diskriminierung ist oft unbewusst und manifestiert sich in Bereichen wie Bildung, Arbeitsmarkt und Justiz, wo beispielsweise bestimmte Gruppen systematisch benachteiligt werden (Siehe auch Institutioneller Rassismus).

Gesellschaftlich-strukturelle Diskriminierung beschreibt die tief verwurzelten gesellschaftlichen Normen, Werte und Strukturen, die bestimmte Gruppen systematisch benachteiligen. Diese Form der Diskriminierung ist oft in der Kultur und den sozialen Praktiken einer Gesellschaft verankert und beeinflusst, wie Menschen wahrgenommen werden und welche Chancen ihnen offenstehen (Siehe auch Gesellschaftlich-kultureller Rassismus).

Diese Abgrenzung verdeutlicht, dass Diskriminierung nicht auf individuelles Handeln beschränkt, sondern auch in gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Strukturen verankert ist (siehe auch Struktureller Rassismus). Die Durchsetzung von Diskriminierung setzt in der Regel soziale, wirtschaftliche, politische oder diskursive Macht voraus. 

Siehe auch Ableismus, Adultismus, Altendiskriminierung, Altersdiskriminierung, Antidiskriminierung, Antisemitismus, Antiziganismus, Bodyismus, Cissexismus, Diskriminierung Ost/West, Diskriminierungskritik, Heterosexismus, Klassismus, Gadjé-Rassismus, Queerfeindlichkeit und Sexismus

Diskriminierung Ost/West

Dieser unscharfe Begriff beschreibt die Diskriminierung von Menschen ostdeutscher Herkunft, also aus dem Gebiet der ehemaligen DDR, und das Übergehen ihrer Lebenserfahrungen und Biografien. Wenn von deutscher Nachkriegsgeschichte die Rede ist oder die deutschen Bundeskanzler aufgezählt werden, ist oft die Geschichte der BRD gemeint und die DDR wird vergessen, übergangen oder nur am Rande dargestellt. Der Begriff umfasst auch die strukturelle Benachteiligung Ostdeutschlands, beispielsweise bezogen auf die Höhe des durchschnittlichen Einkommens, Vermögens, die Verfügung über Wohneigentum oder die Besetzung von Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. 

Ein rechtlicher Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Herkunft ist beispielsweise im Arbeitsleben kaum möglich, da Ostdeutschland nicht als spezifische ethnische Herkunft gilt und die Herkunft aus Ostdeutschland auch an kein anderes Diskriminierungsmerkmal im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz anknüpft. 

Aktuell zeigt sich die Diskriminierung aufgrund der ostdeutschen Herkunft darin, wenn Ostdeutschen als Ostdeutschen generell eine zu Rechtsextremismus und Rassismus neigende Grundeinstellung unterstellt wird, und zwar aufgrund höherer AfD-Wahlergebnisse, häufigerer rechtsextremer und rassistischer Übergriffe, einer durchschnittlich stärkeren Ausprägung einiger Dimensionen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder der höheren Beteiligung an sonstigen rechten Aktivitäten. 

Diskriminierungskritik

Der Begriff Diskriminierungskritik wird analog zum Begriff Rassismuskritik verwendet. Er berücksichtigt, dass alle Menschen durch eine Vielzahl von Diskriminierungsformen sozial positioniert werden. Er geht von der Annahme aus, dass eine Gesellschaft ohne Diskriminierung nicht besteht und wir alle mit der Selbstverständlichkeit von Diskriminierung aufgewachsen und vertraut sind. Dies bedeutet auch, dass Diskriminierung nicht nur beabsichtigte und bewusste Benachteiligungen umfasst, sondern auch strukturelle, unbewusste und unbeabsichtigte Formen von Diskriminierung.

Aus dem kritischen Reflexionsansatz der Diskriminierungskritik ergeben sich antidiskriminierende Handlungen, die darauf abzielen, Diskriminierung aktiv abzubauen und gleiche Rechte sowie Chancengleichheit für alle Menschen zu fördern. Antidiskriminierungsmaßnahmen setzen auf präventive Strategien, rechtliche Rahmenbedingungen und Sensibilisierung, um diskriminierende Strukturen und Praktiken zu erkennen und zu überwinden.

Siehe auch Differenzlinie und Intersektionalität

Diversität

Jeder Mensch hat Eigenschaften, Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die ihn von anderen unterscheiden. Einige Merkmale bringen Privilegien mit sich, andere erschweren den Zugang zu Ressourcen. Der Diversitätsansatz problematisiert gesellschaftliche Machtverhältnisse in ihrer Intersektionalität, die über Normen, Diskriminierung und Privilegierungen in Verbindung mit zugeschriebenen Kategorien wie „Hautfarbe“, Herkunft, Aufenthaltsstatus, Religion, Gender, sexuelle Orientierung, Behinderung, Alter und sozialer Herkunft bzw. sozialem Status verknüpft sind. Normen und Macht spielen eine entscheidende Rolle, wenn Menschen von gesellschaftlichen Ressourcen ausgeschlossen werden oder einen privilegierten Zugang zu ihnen erhalten. Diversität bedeutet also nicht nur Vielfalt oder Vielseitigkeit, sondern auch Diskriminierungskritik, Macht- und Normenkritik, Empowerment und Powersharing sowie eine intersektionale Perspektive.

Siehe auch Differenzlinie und Diversitätsbewusste Bildungsarbeit

Diversitätsbewusste Bildungsarbeit

Eine diversitätsbewusste Bildungsarbeit fokussiert sich auf das Lernen entlang der Themen Differenzierung (das ist das Herstellen von sozialen Gruppen, die als natürlich erscheinen und sich gegenseitig ausschließen), Macht, Vorurteil und Diskriminierung. Ziel ist es, Erfahrungen von Komplexität und Unterschiedlichkeit wahr- und anzunehmen. Dabei konfrontiert die Wahrnehmung von Vielseitigkeit viele Menschen auch mit den eigenen Unsicherheiten und Ängsten. Die Reflexion darüber soll helfen, die eigenen verinnerlichtenStereotype sichtbar zu machen und aufzubrechen. Dadurch kann es gelingen, sich selbst und die Gegenüber als komplexe Personen wahrzunehmen und sich von eindimensionalen und vereinfachenden Erklärungen und Ansichten zu lösen.

Die Vermittlung von Vielfalt löst jedoch nicht zwangsläufig die Probleme, die sich für Einzelne und Gruppen aus einer homogenen Gesellschaftsvorstellung ergeben. Das Ideal einer „bunten Welt“, ohne jedoch Ausgrenzungen und Benachteiligungen einzelner Individuen und Gruppen zu benennen, ignoriert bestehende strukturelle Probleme oder blendet sie aus. Daher sollte diversitätsbewusste Bildungsarbeit immer an Diskriminierungskritik und Antidiskriminierung gekoppelt sein.

Siehe auch Anti-Bias-Ansatz

Diversity Management

Das in den USA für das Management von Unternehmen entwickelte Konzept zielt auf die bewusste Nutzung und Förderung der Vielfalt von Mitarbeiter:innen. Dabei geht es nicht nur um Toleranz gegenüber individueller Verschiedenheit (engl. diversity), sondern um die positive Wertschätzung von Vielfalt. Ziele von Diversity Management sind eine produktive Gesamtatmosphäre, die Unterbindung der Diskriminierung und die Gewährleistung gleicher Chancen für alle – unabhängig von Alter, Geschlecht, Nationalität, „Hautfarbe“, Religion oder sexueller Orientierung. Da das Konzept auf den Unternehmensnutzen ausgerichtet ist, wird es aus diskriminierungskritischer Perspektive kritisiert und ist mit dieser Ausrichtung nicht in pädagogische Kontexte übertragbar.

Siehe auch Diversität

Dog Whistling

Dog Whistling beschreibt eine politische Kommunikationsstrategie, die Andeutungen und Codewörter nutzt, um Haltungen und Anspielungen zu kommunizieren, die nur für eingeweihte verständlich sind und nach Außen unsichtbar bleiben. Der Begriff leitet sich ab vom englischen „Dog Whistle“, auf Deutsch Hundepfeife, da diese nur von Hunden aber nicht von Menschen gehört werden können. Gerade Antisemitismus und Verschwörungserzählungen werden häufig in Form von Dog Whistles verdeckt kommuniziert. Kenntnisse über beliebte Motive des Dog Whistling sind hilfreich, wenn es darum geht, verschlüsselte Aussagen als solche zu erkennen und ihre tatsächlichen Absichten zu dechiffrieren. Dog Whistling funktioniert durch die Wiederholung von Inhalten: Erst wenn ein Ausdruck oder ein Narrativ häufig verwendet wird, erreicht er bzw. es Eindeutigkeit.

Beim Dog Whistling werden oft Codes oder Chiffren benutzt, um antisemitisch zu hetzen und Juden:Jüdinnen direkt oder indirekt zu verunglimpfen, etwa durch codierte Anspielungen aus dem Umfeld der antisemitischen Politsekte QAnon. Es gibt somit verschiedene Signalwörter, die auf Verschwörungsideologien hinweisen können.

Dominanz

Als dominant werden Verhaltensweisen bezeichnet, bei denen andere zur Unterordnung gezwungen werden. Eine Person oder Gruppe setzt sich gegenüber einer anderen Person oder Gruppe durch. Dies geschieht jedoch nicht – wie im Falle von Herrschaft – durch unmittelbaren Zwang in Form von Repression, Ge- oder Verboten. Wenn Machtverhältnisse in die verinnerlichten Normen und sozialen Strukturen einer Gesellschaft eingelagert sind, können vielmehr alle ihre Angehörigen Dominanz ausüben, indem sie die herrschende Normalität bewusst oder unbewusst mittragen. Beispiele dafür sind, wenn rassistische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt und daraus folgende Segregation mit „kultureller Fremdheit“ oder mangelnder Leistungsbereitschaft erklärt werden; wenn die Gleichberechtigung von Männern und Frauen behauptet wird, obwohl Frauen immer noch den größten Teil der Reproduktions- und Care-Arbeit leisten; oder wenn die Mitarbeiter:innen eines Amtes von Besucher:innen ganz selbstverständlich verlangen, Deutsch zu sprechen, weil Deutsch Amtssprache sei, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Gegenübers. Diese Prozesse festigen wiederum die ungleiche Verteilung von Ressourcen, Repräsentanz und Partizipationschancen, auf der die Ausübung von Dominanz beruht.

Siehe auch Dominanzgesellschaft

Dominanzgesellschaft

Der Begriff der Dominanzgesellschaft oder -kultur geht auf die Psychologin und Sozialarbeiterin Birgit Rommelspacher zurück. Er versucht das Zusammenleben unter mehrdimensionalen, vielschichtigen Macht- und Herrschaftsbedingungen zu beschreiben. Die Dominanzgesellschaft ist geprägt von einer Geschichte, die Herrschen und Beherrscht werden zu ihren zentralen Ordnungskategorien hat werden lassen. Im Gegensatz zu kolonialen oder faschistischen Gesellschaften ist die Unterteilung in Unterdrückte und Unterdrückende aber nicht eindeutig, sondern verläuft anhand vieler verschiedener Differenzlinien (Frau/Mann, weiß/Schwarz, deutsch/nicht-deutsch, arm/reich usw.), was zu einem Verblassen der kollektiven Identitäten und zu Verunsicherung führt. Zudem sind Über- und Unterordnung in Normen, Normalitätsvorstellungen und Alltagshandeln eingelassen. Diese Uneindeutigkeiten verdecken und rechtfertigen bestehende Ungleichheiten und Diskriminierungen, sodass die Dominanzgesellschaft sich ihrer eigenen Hierarchien nicht bewusst ist (oder sein will), sondern sich (allerdings nur oberflächlich) zu Gleichheit und Gleichwertigkeit bekennt.

Der Begriff Dominanzgesellschaft wird häufig statt des Begriffs Mehrheitsgesellschaft genutzt, um zu verdeutlichen, dass Diskriminierungsverhältnisse nicht in erster Linie davon abhängig sind, dass eine Mehrheit eine Minderheit ausschließt. Vielmehr beruhen sie darauf, dass eine dominante Gruppe immer wieder als Norm angerufen wird und auf gesellschaftlicher Ebene die Macht besitzt, andere soziale Gruppen auszuschließen.

Siehe auch Dominanz, Identität (individuelle) und Intersektionalität

Doppeltes Bewusstsein

Den Begriff Doppeltes Bewusstsein (engl. double consciousness) hat der US-amerikanische Soziologe und Schriftsteller W.E.B. Du Bois in seinem 1903 erschienenen Buch Die Seelen der Schwarzen (engl. The Souls of Black Folk) über die rassistische Segregation der Schwarzen Bevölkerung in den USA geprägt. Du Bois beschreibt mit dem Begriff das Gefühl, „sich selbst immer nur durch die Augen anderer wahrzunehmen, der eigenen Seele den Maßstab einer Welt anzulegen, die nur Spott oder Mitleid für einen übrig hat“ (Übersetzung nach Kerner 2012, 116). Doppeltes Bewusstsein bezeichnet also eine Form, in der BIPoC* die Verweigerung von Zugehörigkeit, rassistische Zuschreibungen und Weißsein als Norm verinnerlicht haben. Das eigene Selbst ist dann nur durch den Spiegel von Stereotypen und weißer Normen zugänglich. Die Folgen von doppeltem Bewusstsein können Passivität, Aggressivität, Minderwertigkeitsgefühle und Überkompensation sein. Letzteres bedeutet, dass eine rassistisch markierte Person einerseits versucht, möglichst angepasst und unauffällig zu sein, um keine Stereotype zu erfüllen und auf diese Weise Diskriminierungen zu entgehen. Andererseits kann sie versuchen, sich offensiv von anderen BIPoC* abzugrenzen, auf die Stereotype zutreffen. Auch der Arzt und postkoloniale Denker Frantz Fanon hat diese Mechanismen in Schwarze Haut, weiße Masken beschrieben.

Siehe auch Epistemische Gewalt, Kulturimperialismus und Symbolische Macht

Double Bind

Im Jahr 1956 entwickelte der britische Anthropologe und Kommunikationsforscher Gregory Bateson mit seinem Forschungsteam die sogenannte Double Bind Theory. Sie besagt, dass ein psychologisches Dilemma, das durch den Konflikt zwischen zwei oder mehreren widersprüchlichen Botschaften – sogenannten Double Binds – entsteht, eine der möglichen Ursachen für Schizophrenie darstellen kann.

Double Binds können durch Othering und Rassismus entstehen, z.B. bei Einforderung des „Integrationswillens“ von BIPoC* und gleichzeitiger Betonung und Zementierung ihrer „Fremdheit“. Unabhängig davon, wie sich die betroffene Person entscheidet – ob sie sich als „Zugehörige:r” oder als „Fremde:r“ identifiziert – wird jede Entscheidung als falsch angesehen. Bei ersterem droht ihr die Zurückweisung durch die Mehrheitsgesellschaft, bei letzterem der Vorwurf „mangelnder Integration“. Das Dilemma wird noch weiter erschwert. Denn eine Flucht aus dieser Situation ist so gut wie unmöglich, da Rassismus überall in der Gesellschaft existiert. Kämpfen Betroffene aber gegen die Situation an und benennen sie als rassistisch, setzten sie sich der Gefahr weiterer rassistischer Angriffe und der Entwertung ihrer Erfahrungen aus (Sekundärer Rassismus, Weiße Zerbrechlichkeit).

Das Prinzip des Double Bind kann zu tiefen psychischen Belastungen führen, da es die betroffenen Personen also in eine ausweglose Situation versetzt. Das Kommunikationsdilemma, in dem die Identität  ständig in Frage gestellt wird und in dem die Betroffenen in einer ständigen Balance zwischen Ablehnung und Anpassung gefangen sind, führt dazu, dass sie niemals das Gefühl haben, vollständig akzeptiert zu werden – weder in der „eigenen“ noch in der „fremden“ Gruppe. Die Frage nach Zugehörigkeit und Akzeptanz wird dabei nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch als gesellschaftlicher Druck erlebt, der das individuelle Wohlbefinden massiv beeinträchtigen kann.