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Glossar

Im Glossar erläutert IDA zentrale Begriffe aus seinen Arbeitsbereichen kurz und verständlich. Das Glossar wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Sie vermissen einen Begriff? Schreiben Sie uns einfach an Info(at)IDAeV.de.

Nation

Es lassen sich drei Arten unterscheiden, eine Nation zu definieren: Subjektivistische Definitionen behaupten, die Nation beruhe einzig auf dem freien Entschluss und der Überzeugung ihrer Mitglieder, dass sie zusammengehören. Objektivistische Definitionen versuchen, Individuen durch scheinbar objektive, außerhalb der Individuen liegende Kriterien wie „Sprache“, „Kultur“ usw. eindeutig Nationen zuzuordnen. Sie verstehen Nationen als natürlich gegebene Gemeinschaften. Da  sich Nation auf diese Weisen aber nicht eindeutig bestimmen lässt, sehen dekonstruktivistische Definitionsansätze Nationen allein durch die wechselseitige Identifikation und Anerkennung sozialer Akteur:innen definiert. Nation setzt somit die Bildung einer Ethnizität voraus, die sich auf eine „vorgestellte Gemeinschaft“ (deren Angehörige sich niemals alle kennenlernen und miteinander interagieren können), auf einen Staat und auf ein Territorium bezieht (ihre Angehörigen stellen sich die Nation als begrenzt und souverän vor) und deren Angehörige unabhängig von realen Ungleichheiten als Gleiche verstanden werden. Nation setzt also die Vorstellung ihrer Existenz voraus. Diese Vorstellung muss, um praktisch wirksam zu werden, konstruiert, aktiv durchgesetzt sowie  durch die Ausbildung einer unterstützten homogenisierten Hochkultur, die Einführung von Staatsbürger*innenschaften, Nationalsymbolen, Ritualen, Sozialsystemen, Straßenschildern, Grenzkontrollen u. v. m. abgesichert werden.

Siehe auch Ethnie

 

 

Nationalismus

Nationalismen sind durch zwei Prinzipien gekennzeichnet: Erstens werden die nationale Zugehörigkeit und das subjektive Zugehörigkeitsgefühl dazu benutzt, um politische, rechtliche und soziale Ansprüche zu formulieren, die Nicht-Zugehörigen abgesprochen werden. Zweitens müssen alle Nationalismen definieren, wer zur Nation gehört und wer nicht. Diese Bestimmung geschieht entlang von Definitionskriterien wie „Kultur“, „Geschichte“, „Abstammung“ oder „Rasse“. Im Ergebnis ist die gesamte Menschheit in Völker bzw. Nationen eingeteilt, die als kollektive Akteur:innen von Politik und Geschichte betrachtet werden. Nationalismus kann also als ein Konglomerat aus politischen Ideen, Symbolen, Gefühlen, alltäglichen Handlungen, staatlichen Identifikationsangeboten und Institutionen verstanden werden. Nationalismen fußen also auf gemeinsamen Glaubenssätzen: auf der Überzeugung, dass die Unterteilung in Nationen auf unhintergehbaren Gemeinsamkeiten der jeweiligen Mitglieder fuße; dass jeder Mensch einer Nation angehören müsse und an ein bestimmtes Territorium gebunden ist; dass die Erkenntnis der Zugehörigkeit einer notwendigen – mensch könnte sagen „gesunden“ – Bewusstwerdung gleichkomme; und schließlich, dass die Loyalität zur Nation ein moralischer Wert an sich sei.

Siehe auch Antisemitismus und völkischer Nationalismus

Naturalisierung

Naturalisierung meint den Prozess, durch den menschliches Denken und Handeln sowie dessen Ergebnisse wie z. B. Ungleichheitsstrukturen mit einer vermeintlichen menschlichen Natur oder einer vermeintlichen geteilten Natur der „Anderen“ erklärt werden. Da die Wissenschaften in den westlichen Gesellschaften den Platz der Religion als zentrale Instanz der Realitätsproduktion und -deutung eingenommen haben, ist die Naturalisierung das wirksamste Mittel, um Rassismus und andere Diskriminierungsformen sowie deren Folgen zu rechtfertigen. Als Strategien der Naturalisierung kommen Biologisierung, Kulturalisierung und der Bezug auf vermeintlich objektive Leistungskriterien in Betracht.

Siehe auch Biologismus und Kulturalismus

Neo-Linguizismus

Da Linguizismus wie auch Rassismus dem Selbstverständnis von Demokratien widersprechen, sind offene Formen des Linguizismus eher verdeckten Ausdrucksweisen gewichen. In Anlehnung an den Neorassismus spricht Inci Dirim daher von Neo-Linguizismus. Sie unterscheidet damit zwischen einem „historischen Linguizismus, der ein staatlich legitimiertes Macht- und Unterdrückungsmittel darstellt, und dem heute offiziell illegitimen, aber dennoch existenten Linguizismus“. Dieser zeichne sich dadurch aus, dass er subtil agiere, sein Wirken durch harmlos klingende Bezeichnungen verdeckt und dadurch über Ausgrenzung und Unterdrückung hinwegtäusche.

Dem Neo-Linguizismus wohnt die Vorstellung von der Nation als homogener sprachlicher Einheit inne. Die Vorstellung von Einsprachigkeit wird zum Normalfall und Mehrsprachigkeit zur Abweichung gemacht. Jede andere als die nationale Standardsprache erscheint dadurch für die Existenz dieser Art von Nation(alstaat) als bedrohlich. Dementsprechend richtet sich Neo-Linguizismus „gegen Menschen, die nicht die Nationalsprache eines Staates in monolingualer Form und als ‚native-speaker‘ sprechen, in Form von unbewussten oder bewusst vollzogenen Handlungen“, die diese Menschen diskreditieren und unterdrücken. Die sprachlich „Anderen“ werden der Nationalsprache unterworfen und die Nationalsprache als Element zum Erhalt des monolingualen Nationalstaats gesichert.

Beispielsweise ist von Neo-Linguizismus zu sprechen, wenn der schulische Unterricht in nicht-deutschen Erstsprachen mit dem Argument wegfällt, er sei nicht relevant für den Arbeitsmarkt, während zweisprachiger Unterricht in prestigeträchtigen Sprachen nicht in Frage gestellt wird.

Siehe Nationalismus

Neorassismus

Dem französischen Rassismustheoretiker Étienne Balibar zufolge handelt es sich um einen Rassismus, „dessen vorherrschendes Thema nicht mehr die biologische Vererbung, sondern die Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen ist; [also um einen Rassismus], der – jedenfalls auf den ersten Blick – nicht mehr die Überlegenheit bestimmter Gruppen oder Völker über andere postuliert, sondern sich darauf ‚beschränkt‘, die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die Unvereinbarkeit der Lebensweisen und Traditionen zu behaupten“ (Balibar 1990, 28). Dem Neorassismus liegt die kulturalistische Auffassung zugrunde, dass die Menschheit in relativ abgeschlossene und klar voneinander unterscheidbare Kollektive – die z. B. als „Kulturen“ bezeichnet werden – geteilt sei. Deren Mitglieder, so wird im neorassistischen Denken angenommen, teilen eine homogene, kaum veränderbare, statische und an ein bestimmtes Territorium gebundene Kultur. Menschen werden in dieser Vorstellungswelt als Stellvertreter:innen „ihrer Kultur“ und ihr Verhalten als kulturell determiniert betrachtet. „Kultur“ oder andere Euphemismen wie z. B. „Mentalität“ fungieren hier also als funktionale Äquivalente des Begriffs „Rasse“. Denn statt der Biologie naturalisiert nun „Kultur“ das menschliche Verhalten.

Siehe auch Naturalisierung