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Glossar

Im Glossar erläutert IDA zentrale Begriffe aus seinen Arbeitsbereichen kurz und verständlich. Das Glossar wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Sie vermissen einen Begriff? Schreiben Sie uns einfach an Info(at)IDAeV.de.

Passing

Passing bedeutet, anders wahrgenommen zu werden als die eigene Selbstpositionierung ist. So können unterschiedliche, von Differenzlinien wie Religion, Sexualität und Gender oder Herkunft absolut unsichtbar bleiben. Auch Schwarze Menschen oder People of Color können als weiß wahrgenommen werden, etwa weil sie blond sind. In einer Gesellschaft, die stark anhand visueller Merkmale kategorisiert (bspw. in Schwarz und weiß einteilt), führt es zu Verunsicherung, wenn Menschen nicht eindeutig einordenbar sind. Menschen, die „passieren“ oder sich entscheiden zu passieren, sind nicht zwangsläufig geschützt vor Diskriminierung und Rassismus, auch wenn bestimmte Situationen individuell vielleicht vermieden werde können. Sie entsprechen nicht dem vorherrschenden Bedürfnis nach einer eindeutigen Einteilung und Hierarchisierung und sind deswegen (zusätzlich) anderen Arten von Zuschreibung und Exklusion ausgesetzt, etwa wenn sie darauf hingewiesen werden, dass sie ja weder „richtig schwarz“ noch „richtig weiß“ seien. So findet letztendlich ein doppeltes Othering statt; das Gegenüber möchte bestimmen, wie sich die Person identifiziert.

Siehe auch Schwarz und Selbstzuschreibung

Past-in-present-Rassismus

Wenn rassistische Diskriminierungen in der Vergangenheit diskriminierende Wirkungen in der Gegenwart entfalten, dann kann von Past-in-present-Rassismus gesprochen werden. Dies kann einerseits der Fall sein, wenn Normen der Gleichbehandlung systematisch die Effekte vergangener rassistischer Diskriminierungen aufrechterhalten; andererseits, wenn rassistisch diskreditierbare Menschen zwar über die erforderlichen Fähigkeiten und Qualifikationen verfügen, aber nicht die institutionell inkorporierten Merkmale derjenigen erfüllen, die in der Vergangenheit immer routinemäßig die Positionen in der Organisation ausgefüllt haben. Dies träfe z. B. zu, wenn ein Schwarzer Rezeptionist in einem Hotel mit der Begründung entlassen oder versetzt wird, dass sein Anblick für die Gäste zu ungewohnt sei.

Siehe institutioneller Rassismus und gesellschaftlich-kultureller Rassismus

Patriarchat

Als Patriarchat werden diejenigen Formen des Zusammenlebens bezeichnet, in denen Männer* über Frauen* strukturell mehr Macht ausüben können als umgekehrt. Matriarchat bezeichnet solche Gesellschaftssysteme, in denen es umgekehrt ist. Dabei geht es nicht unbedingt darum, dass alle Männer* alle Frauen* beherrschen oder dass Frauen nicht auch machtvolle Positionen innerhalb einer Gesellschaft erreichen können, sondern vielmehr um strukturelle Dominanzverhältnisse. Das ist bspw. der Fall, wenn die Reproduktions- und Carearbeit in kapitalistischen Wirtschaftssystemen mehrheitlich unentlohnt von Frauen* gemacht wird, während die Lohnarbeit vor allem von Männern* getragen wird und Frauen* so die einflussreichen Positionen in Staat und Wirtschaft strukturell schwerer erreichen können.

Siehe auch Antifeminismus, Dominanzgesellschaft, Feminismus und Sexismus

People of Color

People of Color (oder Person of Color, PoC) dient als analytischer und politischer Begriff, der sich an all diejenigen Menschen und Communities wendet, die in kolonialer Tradition als „Andere“ rassifiziert und unterdrückt wurden bzw. werden. Er wird aktiv als Selbstbezeichnung – oft verbunden mit einem politischen Verständnis – verwendet. Der Begriff zielt darauf ab, die dem Rassismus innewohnende Strategie des Teilens und Herrschens zu unterlaufen. Denn mit Hilfe dieser Strategie spielt die weiße Dominanzgesellschaft rassifizierte Gruppen gegeneinander aus, indem sie sie hierarchisiert und ihnen unterschiedliche Privilegien gewährt. Dies schwächt ihre wechselseitige Solidarität und erhält Rassismus weiterhin aufrecht. Dagegen versuchen rassistisch diskreditierbare Menschen mit dem Begriff People of Color, sich einerseits die ihnen verweigerte gesellschaftliche Definitionsmacht wieder anzueignen, andererseits die Vielfältigkeit der Rassismuserfahrungen von People of Color zu verdeutlichen und dadurch schließlich solidarische Bündnisse über die Grenzen marginalisierter Communitys hinweg zu ermöglichen.

Siehe auch Kolonialismus, Rassifizierung und Schwarz

Populismus

Seinen Namen verdankt der Populismus der im späten 19. Jahrhundert in der USA gegründeten Populist Party. Diese vertrat während der Industrialisierung die Anliegen der Farmer, weshalb auch von einem Agrarpopulismus gesprochen wurde. Dabei ist es kein Zufall, dass die Gründung populistischer Parteien und Bewegungen, damals wie heute, zeitgleich mit gesellschaftlichen Modernisierungskrisen erfolgt, da sich Populist:innen die Gunst der scheinbar ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen versprechen.

Der in Medien und in Wissenschaft häufig verwendete Begriff Populismus leitet sich vom lateinischen Wort populus (deutsch: das Volk) ab. In seiner unscharfen Verwendungsweise wird er oft gleichgesetzt mit politischen Forderungen, die auf größtmögliche Popularität zielen oder die sich auf opportunistische Weise gerade in der Bevölkerung bestehende Stimmungen zunutze machen wollen.

Für den Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller ist Populismus jedoch durch zwei wichtige Dimensionen gekennzeichnet: Erstens beschreibt er eine politische Haltung, die sich gegen das vermeintliche Establishment mit dem sogenannten „einfachen“ Volk verbündet. Es handelt sich dabei also um eine Abgrenzungsideologie gegen „die da oben“, durch die „das Volk“ als homogene Einheit hergestellt wird (anti-elitäre Komponente). Zweitens beanspruchen Populist:innen als einzige die Interessen „des Volkes“ rechtmäßig vertreten zu können. Dieses Merkmal bezeichnet Müller als antipluralistische Komponente, weil Populist:innen dadurch die in einer Gesellschaft bestehende Vielfalt von Lebensentwürfen, sozialen Lagen und Interessen für irrelevant erklären.

Da Populismus also Wir-Die-Gegensätze konstruiert, um Menschen zu mobilisieren, kann er als autoritär betrachtet werden und tendiert zum Rechtspopulismus.

Porajmos

Die Bezeichnung Porajmos (manchmal auch Porrajmos) ist die romanisprachige Bezeichnung für den an Rom:nja und Sinti:zze begangenen Genozid in der Zeit des Nationalsozialismus. Auf Deutsch übersetzt bedeutet Porajmos so viel wie „das große Verschlingen“. Von den knapp 40.000 Sinti:zze und Rom:nja , die zu dieser Zeit in Deutschland und Österreich gelebt haben, wurden 25.000 ermordet, in ganz Europa wird die Zahl der systematisch verfolgten und ermordeten Rom:nja und Sinti:zze auf bis zu einer halben Millionen Menschen geschätzt. Erst 1982 kam es in Deutschland, nach jahrzehntelangen Forderungen von Rom:nja und Sinti:zze, zur offiziellen Anerkennung der Verfolgung und Ermordung während des Nationalsozialismus als Völkermord. Die Bezeichnung Porajmos wird nicht von allen Rom:nja und Sinti:zze verwendet, von manchen sogar abgelehnt. Ein weiterer Begriff, der für die Verbrechen benutzt wird ist Samudaripen (übersetzt: komplette, ganze Ermordung).

Siehe auch Gadje-Rassismus, Holocaust und Rom:nja und Sinti:zze

Postkolonialismus

Der Begriff besagt, dass es bis heute Nachwirkungen und Kontinuitätslinien des Kolonialismus gibt. Das zeigt sich zum einen an den politischen (Kriege aufgrund willkürlicher Grenzziehungen, von westlichen Mächten eingesetzte Machthaber) und wirtschaftlichen (Ausbeutung, ungerechte Handelsverträge) Verhältnissen, die bis heute postkoloniale Herrschaftsansprüche durchsetzen. Zum anderen wird es auch durch die eurozentrischen und westlich orientierten Perspektiven deutlich, die in Wissenschaft, Kunst und Kultur vorherrschen. Menschen des globalen Südens kommen nicht oder nur selten zu Wort, ihre Erfahrungen und Wissensbestände werden marginalisiert. Die Aufgabe der postkolonialen Theorien besteht also darin, Fortschreibungen kolonialer Politik, etwa im Wirtschaftssystem, aufzudecken, sowie einen multiperspektivischen, nicht nur weißen und westlichen Zugang zu Geschichte, Wissenschaft und Kultur aufzuzeigen.

Siehe auch Critical Whiteness, Hybridität und imperiale Lebensweise

Postmigrantisch

Der Begriff postmigrantisch beschreibt eine Gesellschaftsordnung, die von Migration gekennzeichnet ist. Politische, kulturelle und soziale Veränderungen einer Gesellschaft werden nicht mehr isoliert von Migrationsbewegungen betrachtet, sondern vielmehr als durch Migration (mit)bedingt verstanden. Das Präfix „post“ deutet darauf hin, dass gesellschaftliche Aushandlungsprozesse innerhalb einer postmigrantischen Gesellschaft nicht während, sondern nach der Migration erfolgen. Die heterogene Zusammensetzung der Gesellschaft wird politisch anerkannt, sodass ihre Strukturen und Institutionen in Nachhinein also (postmigrantisch) an die Migrationsrealität angepasst wird. Daraus resultieren einerseits mehr Durchlässigkeit und soziale Aufstiege und andererseits aber auch Abwehrreaktionen und Verteilungskämpfe.  Hier wird ersichtlich, dass Migration innerhalb einer postmigrantischen Gesellschaft nicht ausschließlich positiv, sondern auch negativ bewertet werden kann. In postmigrantischen Gesellschaften sind Fragen um Zugehörigkeit, nationale und kollektive Identitäten, aber auch Partizipation und Chancengleichheit hochaktuell und werden von den Nachfahren migrierter Menschen in der zweiten und dritten Generation im zunehmenden Maße eingefordert und erkämpft. Es kommt zu einer größeren Sichtbarkeit von Menschen mit Migrationserfahrungen und ihren unmittelbaren Nachfahren, die auch dadurch begünstigt wird, dass postmigrantische Gesellschaften wie Deutschland ihren Charakter als Migrationsgesellschaft anerkennen. Damit einhergehend werden Migrant:innen und ihren Nachfolgegenerationen dieselben Teilhabemöglichkeiten versprochen, die allerdings auch zu wettbewerbsähnlichen Aushandlungen von Zugehörigkeit und Chancengleichheit und nicht zuletzt zu Konflikten führen. So zeigt sich in nahezu allen Staaten Europas der Kernkonflikt postmigrantischer Gesellschaften, nämlich der Konflikt zwischen der Befürwortung und Ablehnung einer pluralen und heterogenen Gesellschaft, die im Zuge von Migrationsbewegungen entstanden ist.

Powersharing

Powersharing geht einher mit Empowerment und heißt wörtlich übersetzt „Macht teilen“. Es zielt darauf ab, dass sich privilegierte Menschen der Macht- und Unterdrückungsstrukturen der Gesellschaft bewusst werden, in der sie leben und von denen sie profitieren. Denn diese Vorteile existieren nur aufgrund tiefverwurzelter Ungleichwertigkeitsvorstellungen wie Rassismus, Sexismus und Ableismus. Privilegien, die sich dabei herausbilden können, sind beispielsweise finanzielle Ressourcen, Netzwerke oder der Zugang zu Wissen und Bildung. Beim Powersharing geht es darum Vorteile, die durch gesellschaftliche Ungleichheiten entstehen, mit Menschen zu teilen, die benachteiligt werden, beispielsweise, indem man seine Vorteile oder seinen Einfluss nutzt, um Plattformen für Personen zu schaffen, die in unserer Gesellschaft sonst weniger (re)präsent(iert) sind. Eine andere Möglichkeit ist es Räume zur Verfügung zu stellen, die marginalisierten Menschen als Schutzraum dienen können. Dabei ist es wichtig mit den betroffenen Personen in Kontakt zu kommen und zuzuhören, um zu erfahren, was sie benötigen bzw. sich tatsächlich wünschen.

Siehe auch Empowerment 

Privilegien

Privilegien werden die Vorteile und (der Zugang zu den) Ressourcen genannt, die Menschen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Positionierung besitzen. Es gibt offensichtliche Privilegien, bspw. ist das Wahlrecht auf Bundes- und Landesebene in Deutschland ein Privileg von Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Auch mit dem sozioökonomischen Status gehen viele Privilegien einher, da es in fast allen Lebensbereichen wichtig ist, genügend Geld zur Verfügung zu haben. Doch Menschen können auch weniger offensichtliche Privilegien haben, die nicht mehr auffallen, da sie selbstverständlich geworden sind. Eines davon ist, im Alltag als „normal“ wahrgenommen zu werden (etwa als weiß, deutsch, eindeutig männlich/weiblich oder gesund) und so bei der Job- oder Wohnungssuche, in der Schule oder in der U-Bahn nicht mit stereotypen Zuschreibungen, verwehrten Zugängen oder diskriminierendem Verhalten rechnen zu müssen. Zu Privilegien gehört also auch sich gar nicht erst mit Diskriminierung und der damit einhergehenden Ungerechtigkeit beschäftigen zu müssen.

Siehe auch Critical Whiteness und Powersharing