Autoritarismus kennzeichnet eine spezifische Haltung gegenüber Autoritäten, durch die die „gesamte Lebenspraxis auf gefühlsmäßig stark besetzte Unter- und Überordnungsverhältnisse ausgerichtet“ (Milbradt 2020: 58) wird. Das heißt, eine Person strebt danach, sich zu unterwerfen und andere zu beherrschen. Daraus zieht sie einen psychologischen Gewinn, der ihr Befriedigung verschafft. Indem sie die Freiheit und Unabhängigkeit des eigenen Selbst aufgibt, entlastet sie sich von der Verantwortung für eigene Entscheidungen und Urteile und dadurch auch von Zweifeln. Gleichzeitig nimmt sie Anteil an der Macht der Autorität und erfährt so eine Selbstaufwertung.
Weitere zentrale Bestandteile des Autoritarismus sind Konventionalismus, pathische Projektion, autoritäre Aggression, Rigidität und Machtdenken. Mit ihrer Unterwerfung unter eine Autorität geht die unhinterfragte Übernahme kollektiver Konventionen und Normen einher. Selbstanteile, die nicht diesen Erwartungen entsprechen, und unterdrückte Feindseligkeiten gegenüber der Autorität, werden verdrängt und auf andere projiziert – also ausgelagert (siehe auch Othering und Stereotypisierung). Auf diese Weise können die eigenen inakzeptabel erscheinenden Triebe dann an anderen bestraft oder abreagiert werden (autoritäre Aggression). Basis für die Projektion bildet das Denken in rigiden binären Gegensätzen (Rigidität), d.h. in starren, als unveränderlich, natürlich und ewig verstandenen Unterscheidungen und eindeutigen moralischen Bewertungen (z.B. gut/böse, sauber/schmutzig, Mann/Frau, Homo/Hetero, Körper/Geist). Diesem Denken zufolge sind Menschen entweder gut oder böse usw. Schattierungen der eigenen Persönlichkeit werden nicht zugelassen und wiederum auf andere projiziert. Mit Unterwerfung und Beherrschung geht schließlich ein Machtdenken einher, das menschliche Beziehungen in Hierarchien von Mächtigen und Machtlosen, Starken und Schwachen ordnet. Unterschiede sind demnach Ausdruck von Über- und Unterlegenheit. Macht fasziniert, machtlose Menschen lösen Aggressionen und den Wunsch nach Beherrschung aus. Als schwach wahrgenommene Autoritäten lösen aggressive Gegenreaktionen aus, die auch als „autoritäre Rebellion“ bezeichnet werden.
Eine der zentralen Annahmen des Autoritarismusansatzes lautet, dass das dynamische Geflecht des Autoritarismus sich an der „Oberfläche“ in der Anfälligkeit für antidemokratische und diskriminierendeIdeologien, politische Programme und Einstellungen äußert, die in Zeiten gesellschaftlicher Krisen aktiviert werden. Weitere zentrale Annahme ist, dass sich autoritäre Charakterzüge in einem ständigen dynamischen Wechselverhältnis mit gesellschaftlichen Bedingungen wie z.B. der Sozialisation, den Erfahrungen in Institutionen oder den wirtschaftlichen Verhältnissen ausbilden und formen.
Das Konzept des Autoritarismus bzw. des autoritären Charakters geht maßgeblich auf die Arbeiten Erich Fromms, Max Horkheimers, Herbert Marcuses, Leo Löwenthals, Else Frenkel-Brunswicks und Theodor W. Adornos zurück. Die heutige Sozialpsychologie arbeitet in Erhebungen mit dem Konstrukt des rechtsgerichteten Autoritarismus und fragt häufig lediglich die Kernbestandteile der autoritären Unterwerfung und autoritären Aggression ab. Ein spezifisch linker Autoritarismus konnte hingegen bislang nicht nachgewiesen werden.
Ein neueres Konzept der sozialpsychologischen Forschung ist das des sekundären Autoritarismus. Darunter wird das Phänomen verstanden, wenn Autoritarismus nicht mit der Unterwerfung unter eine Person einhergeht, sondern Menschen sich mit einer unpersönlichen Autorität identifizieren, die gleichzeitig sowohl Unterwerfung verlangt als auch Beherrschung und Teilhabe an ihrer Macht und Größe verspricht. Als solche Autoritäten können abstrakte Ideen und Kollektive auftreten, wie z.B. „die Wirtschaft“ oder „die Nation“.
Siehe auch Ambiguitätstoleranz und Rechtsextremismus