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Glossar

Im Glossar erläutert IDA zentrale Begriffe aus seinen Arbeitsbereichen kurz und verständlich. Das Glossar wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Sie vermissen einen Begriff? Schreiben Sie uns einfach an Info(at)IDAeV.de.

Ableismus

Der Begriff Ableismus kommt vom englischen Wort „ableism“, das sich von „to be able“ ableitet und „fähig sein“ bedeutet. Ableismus bezeichnet die strukturelle Diskriminierung  von Menschen, die behindert sind bzw. werden, und Menschen, denen eine Behinderung zugeschrieben wird. Es wird eine deutliche Grenze zwischen Menschen mit und Menschen ohne Behinderung gezogen (Othering), die u.a. in Form von Produktivitäts-, Schönheits- und Gesundheitsnormen tief in der Gesellschaft verankert ist. Von den Diskriminierenden wird Ableismus oft nicht bewusst wahrgenommen oder als „gut gemeint“ angesehen. Dies kann sich z.B. in bevormundender Hilfe niederschlagen. Oft führt Diskriminierung dazu, dass die Behinderung der Menschen verstärkt wird und sie ihre persönlichen Möglichkeiten nicht entfalten können. Einerseits werden ihre Eigenschaften und Bedürfnisse von Institutionen nicht mitgedacht, weil sie nicht dem entsprechen, was gesellschaftlich als „normal“ definiert wird. Andererseits werden ihnen notwendige Hilfen zur Kompensation ihrer physischen, psychischen oder gesundheitlichen Beeinträchtigung verwehrt oder nur in fremdbestimmter Form gewährt. Beispiele sind Barrieren wie Treppen statt Rampen für Rollstuhlfahrer:innen, fehlende akustische Ansagen für sehbehinderte Menschen oder die mangelnde Inklusion im Bildungssystem. Auf diese Weise werden Menschen mit Behinderung strukturell ausgeschlossen und „unsichtbar“ gemacht. Dies stabilisiert wiederum die gesellschaftlichen Vorstellungen von „normalen“ körperlichen, seelischen und gesundheitlichen Merkmalen.

Adultismus

Der Begriff Adultismus leitet sich von dem englischen Wort „adult“ für „Erwachsen“ ab. Adultismus ist eine Form der Altersdiskriminierung und bezeichnet die strukturelle Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen auf der Grundlage ungleicher Machtverhältnisse zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Handlungen und Haltungen, die auf der Hierarchisierung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sowie ihrer Handlungen, Bedürfnisse und Interessen beruhen, werden durch Normen (z.B. die Höherbewertung der Lohn- und Reproduktionsarbeit gegenüber dem kindlichen Spiel), institutionelle Arrangements, Gesetze, Traditionen und Gewohnheiten unterstützt. Adultismus äußert sich u.a. in Grenzüberschreitungen (z.B. ungefragtes Berühren), in der Sprache („Wir sind doch hier nicht im Kindergarten!“, „Trotzphase“), Nichtbeachtung (z.B. von Fragen) und körperlicher Gewalt. Aber auch in scheinbar selbstverständlichen Regeln, die zwar zum Schutz sinnvoll sein können, aber nur für Kinder oder Jugendliche gelten, kann sich Adultismus ausdrücken, wenn sie nicht für erklärungswürdig gehalten werden, weil vorausgesetzt wird, dass Kinder und Jugendliche zu gehorchen haben.

Afrodeutsch

Der Begriff „afrodeutsch“ wurde gemeinsam mit der US-amerikanischen Schriftstellerin Audre Lorde 1984 aus der Schwarzen Bewegung in Deutschland heraus entwickelt und diente ihr als politische Selbstbezeichnung. Der Begriff soll kolonialrassistischen Fremdbezeichnungen, Vorstellungen einer homogenen weißen deutschen Gemeinschaft und der Verdrängung der deutschen Kolonialgeschichte entgegengesetzt werden. Durch die bewusste Anlehnung an „afroamerikanisch“ und den Bezug zur Black Power-Bewegung sollte der Begriff auch mobilisierend und einend wirken. Er umfasste ursprünglich Schwarze Menschen mit einem afrikanischen oder afroamerikanischen und einem weißen deutschen Elternteil. Heute bezieht er sich auf das afrikanische Erbe bzw. die afrikanische Herkunft einer Person in Verbindung mit einer deutschen Sozialisation und kennzeichnet die ZugehörigkeitSchwarzer Menschen zur deutschen Gesellschaft. Weitaus verbreiteter ist die Bezeichnung Schwarze Deutsche. Auch sie gilt als Selbstbezeichnung und berücksichtigt die verschiedenen Bezüge, die Schwarze Deutsche zu afrikanischen Gesellschaften und ihren kulturellen Äußerungen haben können.

Siehe auch BIPoC*, Kolonialismus, People of Color und Rassismus

Afrodiaspora

Afrodiaspora beschreibt einerseits die Gesamtheit der Menschen mit einer afrikanischen Herkunft, andererseits die Menschen, die sich mit dieser Herkunft identifizieren und sich selbst als afrodiasporisch bezeichnen. Der Begriff afrodiasporisch bezeichnet allgemein das gemeinschaftliche kulturelle Erbe der von Afrika fernablebenden Menschen und Gemeinschaften, ihre individuelle und kollektive Identität, ihre afrikanischen Wurzeln und ihre afrozentrische Weltanschauung. 

Afrodiaspora lässt sich aus den folgenden zwei Begriffen ableiten: Zum einen aus dem Begriff „Afro“ und zum anderen aus „Diaspora“. Afro steht als Vorsilbe für „afrikanisch“. Diaspora steht für „Zerstreuung, Verstreutheit“ und bezeichnet die Existenz von nationalen, religiösen, kulturellen und ethnischen Gruppen mit afrikanischen Bezügen, die fernab afrikanischer Länder leben.

Alltagsrassismus

Der Begriff Alltagsrassismus thematisiert das Zusammenwirken von individuellen Handlungen und gesellschaftlich-kulturellem Rassismus. Alltagsrassismus zeigt sich, wenn sich ein rassistisches Wissen über kulturell verankerte Zugehörigkeitsordnungen, Bilder und Vorstellungen unbewusst und/oder unbeabsichtigt z.B. in vermeintlich neutralen, positiven oder neugierigen Fragen, Aussagen, Gesten, Handlungen und Blicken niederschlägt. Erstens ist also das Nebeneinander von „süßen und bitteren Worten“ (Grada Kilomba) für Alltagsrassismus charakteristisch (siehe Double Bind). Es verschleiert seine Gewalt. Diese liegt zweitens darin begründet, dass Alltagsrassismen die betroffenen Personen implizit aus dem „Wir“ ausweisen, indem sie anhand rassifizierter Merkmale (Aussehen, Sprache, Namen usw.) unabhängig von ihren individuellen Erfahrungen und Selbstidentifikationen als „Andere“ identifiziert und behandelt werden. Dies geschieht z.B. durch übergriffige Handlungen wie das Berühren der Haare, (wiederholtes) Fragen nach der „wirklichen” Herkunft oder durch Komplimente für Deutschkenntnisse. Drittens ist Alltagsrassismus durch seine Regelmäßigkeit gekennzeichnet. Er erschüttert so permanent das Selbstbild der betroffenen Personen, eine Erfahrung, deren Schwere häufig noch dadurch verstärkt wird, dass ihnen abgesprochen wird, überhaupt Rassismus erfahren zu haben (siehe Sekundärer Rassismus).

Allyship

Allyship bedeutet ins Deutsche übersetzt „Verbündetenschaft“ oder „verbündet handeln“. Es beschreibt die aktive Unterstützung strukturell benachteiligter Gruppen durch Menschen, die ihre strukturell privilegierte Position nutzen, um sich für Gerechtigkeit einzusetzen - auch wenn dies für sie persönlich zunächst Nachteile bedeutet. Der Begriff „Ally“ bedeutet „Verbündete:r“ und betont die Verantwortung, Diskriminierung nicht nur zu erkennen, sondern aktiv dagegen vorzugehen. Dabei geht es vor allem darum, Privilegien zu reflektieren – also Vorteile, die einer Mehrheit oft unbewusst als „Normalität“ erscheinen. Im Kontext von Rassismus bedeutet das beispielsweise, dass weiße Menschen ihre Privilegien nutzen, um BIPoC* zu unterstützen, strukturelle Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen und zu bekämpfen.

Wichtig ist, dass Allyship eine immer wiederkehrende Praxis und kein Titel ist. Eine Person ist nicht ein für alle Mal ein Ally, sondern steht immer wieder neu vor der Herausforderung, in konkreten Situationen verbündet zu handeln. Es reicht also nicht aus, sich als Ally zu bezeichnen, ohne konkret zu handeln. Oberflächliche Selbstdarstellung, die die eigene Privilegiertheit ins Zentrum rückt, widerspricht dem Konzept. Stattdessen fordert Allyship Mut, Selbstreflexion und den Willen, bestehende Strukturen zu verändern, um echten Wandel zu schaffen.

Siehe auch Critical Whiteness, Empowerment, Powersharing, Social Justice, Solidarität und Weiße Privilegien

Altendiskriminierung

Altendiskriminierung ist eine Form von Altersdiskriminierung und wird auch als Ageismus bezeichnet. Sie beschreibt die strukturelle Diskriminierung  von Menschen aufgrund ihres (zugeschriebenen) höheren oder hohen Lebensalters sowie die Stigmatisierung des Alterns und des Altseins bspw. durch gesellschaftlich-kulturell vorherrschende Verbindungen mit Krankheit sowie körperlichem und geistigem Verfall.

Altersdiskriminierung

Altersdiskriminierung (engl. Ageismdt. auch Ageismus) bezeichnet allgemein die Diskriminierung von Personen oder Gruppen aufgrund ihres (zugeschriebenen) Lebensalters. Altersdiskriminierung und Ageismus dienen in diesem Sinne als Oberbegriffe für Altendiskriminierung und Adultismus, sodass also sowohl Kinder und Jugendliche als auch ältere Menschen zu den Betroffenen zählen.

Ambiguitätstoleranz

Ambiguitätstoleranz ist ein Konzept, das die Sozialpsychologin Else Frenkel-Brunswick Ende der 1940er Jahre u.a. im Rahmen ihrer Arbeiten an der Studie The Authoritarian Personality ausgearbeitet hat. Es bezeichnet die Fähigkeit von Menschen, Uneindeutigkeiten, Mehrdeutigkeiten, Widersprüche, Unentscheidbarkeit und Vagheit (d.h. Ambiguität) auszuhalten und mit ihnen konstruktiv umzugehen, ja sie sogar aktiv zu suchen und zu genießen. Die Neigung, Uneindeutigkeiten abzuwehren und zu vermeiden, wird hingegen Ambiguitätsintoleranz genannt.

Während Ambiguitäts(in)toleranz die kognitive, verstandesmäßige Dimension des Erlebens von Ambiguität betrifft, bezieht sich Ambivalenz(in)toleranz auf den Umgang mit den ambivalenten Emotionen, die mit der Erfahrung von Ambiguität einhergehen. Menschen, die gut mit sich widersprechenden Gefühlen umgehen können, die also ambivalenztolerant sind, können auch Ambiguität besser verarbeiten.

Ambiguitäts(in)toleranz hängt eng mit Formen der Diskriminierung wie Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus und Phänomenen des Autoritarismus wie Rechtsextremismus und religiösem Fundamentalismus zusammen. Ambiguitätsintoleranz bildet aber nicht ihre Ursache in Form eines Ursache-Wirkung-Zusammenhangs. Vielmehr drückt sich in ihnen Ambiguitätsintoleranz aus. Bspw. gibt Rassismus vor, Menschen eindeutig und umfassend definieren zu können, sei es in ihrer Zugehörigkeit, in ihren Eigenschaften oder in ihrem Verhalten. Ähnlich funktioniert Sexismus, der behauptet, Menschen anhand ihres Körpers genau zwei Geschlechtern, Geschlechterrollen, Geschlechtsausdrücken und Geschlechtsidentitäten zuordnen zu können (siehe auch Gender und Heteronormativität). Rassismus und andere Formen von Diskriminierung und Autoritarismus vereindeutigen also die unendliche Vieldeutigkeit der Welt.

Es kann jedoch nicht nur psychologisch untersucht werden, wie Menschen mit Ambiguität umgehen. Daneben kann auch sozial- und kulturwissenschaftlich gefragt werden, wie Gesellschaften Ambiguität handhaben. Dabei zeigt sich, dass „der Westen“ seit dem 17. Jahrhundert ein historisch unerreichtes Streben nach eindeutigen, unhinterfragbaren und universell gültigen Wahrheiten begann. Das Ausradieren von Uneindeutigkeiten und Widersprüchlichkeiten zeigte sich u.a. in der wissenschaftlichen Erfassung und Klassifikation aller natürlichen Erscheinungen, wie es für das Denken der Aufklärung charakteristisch war. Dieses Streben betraf schließlich auch den Menschen, als der moderne Rassismus die Menschheit in „Rassen“ mit festen Zugehörigkeitskriterien und Eigenschaften einteilte. Das Streben nach Gewissheit zeigte sich auch im Kontakt des Westens mit außereuropäischen Gesellschaften, indem bspw. die Kolonisator:innen den Kolonisierten als Reaktion auf in ihren Augen uneindeutige Geschlechtsidentitäten, -rollen, -ausdrücke und Formen des Begehrens die eigenen binären Vorstellungen von Geschlecht und Begehren aufzwangen – mit verheerenden Folgen bis heute (siehe Kolonialismus und Postkolonialismus).

Anerkennung

Anerkennung bezeichnet den Prozess der Identifikation von Differenz, der wechselseitigen Achtung dieser Differenz und der Entwicklung von Möglichkeiten, wie Menschen und Kollektive als unterschiedliche Gleichwertige selbstbestimmt an gesellschaftlichen Prozessen und Ressourcen teilhaben können. Voraussetzung für selbstbestimmte Partizipation ist, dass Handlungen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Interessen, Subjektpositionen und Eigenschaften von Menschen gesellschaftlich, institutionell und zwischenmenschlich gewürdigt werden. Die gegenseitige Anerkennung ist wesentlich für das gemeinsame Leben in Schule, Beruf, Freizeit usw. Haben Menschen aufgrund von Restriktionen, Stereotypisierungen, Anpassungs- oder Integrationsforderungen und Diskriminierung nicht die Möglichkeit, sich in ihrer Vielfalt zu zeigen und ihre Potenziale zu entfalten, können sie weder als Person oder Kollektive erkannt werden noch sich selbst (an)erkennen. Anerkennung, Identitätsbildung und gelingendes Zusammenleben sind also eng miteinander verschränkt. Wird Anerkennung verweigert, können daher Kämpfe um Anerkennung entstehen. 

Siehe auch Allyship, Diskriminierung, Empowerment, Identität (individuelle), Identität (kollektive), Integration, Powersharing, Rassismus, Social Justice und Solidarität

Anti-Bias-Ansatz

Das englische Wort Bias lässt sich mit „Voreingenommenheit“ oder „Einseitigkeit“ übersetzen. Mit dem Anti-Bias-Ansatz werden Voreingenommenheiten und Einseitigkeiten in Bezug auf verschiedene gesellschaftliche Differenzlinien analysiert, reflektiert und bearbeitet. Dadurch werden strukturelle Schieflagen und Diskriminierungen sichtbar. Dies ermöglicht es Handlungsspielräume auszuleuchten und als von Diskriminierung und Vorurteilen betroffene Person in eine aktive Rolle zu kommen. Gleichzeitig ermöglicht der Ansatz eine Sensibilisierung für die Herausforderungen einer vielfältigen Gesellschaft und für die Lebensrealitäten verschiedener benachteiligter Gruppen.

Anti-Indigener Rassismus

Anti-Indigener Rassismus bezeichnet die koloniale Gewalt und die rassistische Diskriminierung gegen Indigene Menschen. Die vielen weltweit lebenden Indigenen Völker und Gemeinschaften machen seit dem Kolonialismus und bis heute Erfahrungen von Zwangsvertreibung und -umsiedlung, Völkermord, Kindesentzug, Assimilation, Überausbeutung und Marginalisierung. Im deutschsprachigen Kontext wird mit dem Begriff anti-Indigener Rassismus der Rassismus gegen Angehörige Indigener Bevölkerungsgruppen ehemals kolonisierter Länder und Kontinente beschrieben. Von einem Rassismus gegen nicht existente „indigene Deutsche” zu sprechen, ist daher unpassend (siehe Deutschenfeindlichkeit). 

Ein häufiges Beispiel für anti-Indigenen Rassismus und das Othering von Indigenen Menschen ist das gesellschaftliche Stereotyp von Native Americans. Sie werden häufig mit der rassistischen Fremdbezeichnung(I-Wort) benannt und im Kontext von Abenteuergeschichten, Filmen und Kostümierungen (siehe Yellowfacing/Yellowface) als „edle Wilde“ oder als „unzivilisiert” dargestellt und Eigenschaften wie Naturverbundenheit auf sie projiziert. Diese rassistische Darstellung von Native Americans hat eine lange Geschichte in Deutschland (z.B. Karl-May-Kult), in der u.a. nationalsozialistische Propaganda eine Rolle spielte. Bei den Darstellungen handelt es sich um reine Fantasiegebilde, die anti-Indigen rassistische Stereotype stärken und weitergeben. So werden Indigene Menschen nicht als reale von Rassismus betroffene Personen wahrgenommen, ihre Gewalterfahrungen verharmlost und die Marginalisierung Indigener Menschen und Gruppen befördert.

Ein weiterer Bereich, in dem in der deutschen Öffentlichkeit anti-Indigene stereotype Darstellungen vorkommen, ist die Werbung für Spendenprojekte durch sogenannte Hilfswerke. Bei den dargestellten Personen handelt es sich dabei häufig um Angehörige Indigener Völker aus Mittel- und Südamerika und Afrika. International gibt es viele weitere Erscheinungsformen von anti-Indigenem Rassismus, die sehr unterschiedlich sind je nach geografischem Kontext und Kolonialgeschichte.

Indigene Gruppen und Aktivist:innen setzen sich weltweit gegen anti-Indigenen Rassismus und für die Menschenrechte Indigener und ihre politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Teilhabe ein. Ein wichtiger Schritt dafür ist die 2007 gefasste UN-Erklärung über die Rechte der Indigenen Völker. In ihr wird festgehalten, dass Indigene Völker und Gemeinschaften historischen Ungerechtigkeiten und kolonialer Gewalt ausgesetzt waren und weiterhin sind sowie in ihren Menschenrechten eingeschränkt werden. Die Resolution hält u.a. fest, dass Indigene Menschen ein Recht auf Selbstbestimmung und Entschädigung haben und nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit diskriminiert werden dürfen. Weiterhin sollen Staaten die in ihren Gebieten lebenden Indigenen Völker in Entscheidungsprozesse einbinden und politische Teilhabe ermöglichen. Dies ist meist nicht oder nur eingeschränkt der Fall und damit ein Beispiel für die institutionelle Dimension von Anti-Indigenem Rassismus.

Anti-Schwarzer Rassismus

Anti-Schwarzer Rassismus ist eine spezifische Form des Rassismus, die sich in der Herabwürdigung, Entmenschlichung und DiskriminierungSchwarzer Menschen afrikanischer Herkunft äußert. Im Kern spricht Anti-Schwarzer Rassismus den Betroffenen ihre Menschlichkeit ab, erklärt sie für minderwertig und zu wesenhaft Anderen, während er dadurch gleichzeitig das Selbstbild der weißenDominanzgesellschaft festigt. Anti-Schwarzer Rassismus dient(e) der Rechtfertigung von Versklavung und Kolonialismus und war dadurch eine wesentliche Bedingung für die Herausbildung der westlichen Moderne und des Kapitalismus (siehe auch Racial Capitalism).

In Deutschland ist Anti-Schwarzer Rassismus ebenfalls seit der Zeit der Versklavung tradiert und durch weitere historische Kontexte (Kolonialismus, Weimarer Republik, Zeit des Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit) geprägt worden. Eine wesentliche Kontinuität besteht darin, dass die Anwesenheit Schwarzer Menschen immer wieder aktiv und nicht nur symbolisch unsichtbar gemacht wurde und wird, z.B. durch Eheverbote, Zwangssterilisierungen, Entzug der Staatsbürgerschaft, Förderung der Adoption Schwarzer Kinder ins Ausland, Migrationspolitik und Mord.

Siehe auch Blackface, BlackLivesMatter und Colorism

Antiasiatischer Rassismus

Antiasiatischer Rassismus bezeichnet die Stereotypisierung, Diskriminierung und Abwertung von Menschen, die als asiatisch markiert werden. Diese Form des Rassismus greift auf kolonialeStereotype zurück, die asiatische Menschen als „fremd”, „unzivilisiert”, „exotisch” (Exotisierung) oder „gefährlich” darstellen. Antiasiatische Abwertungen beziehen sich darüber hinaus auch auf ostasiatische Sprachen (Linguizismus) und unterstellte Ess- und Hygienegewohnheiten. Spezifisch für Antiasiatischen Rassismus ist zudem die Intersektionalität mit der Kategorie Geschlecht (Gender): Während asiatisch markierte Männer als „unmännlich” (Feminisierung), asexuell und aromantisch (Entsexualisierung) dargestellt werden, werden asiatisch markierte Frauen in rassistischen Vorstellungen als zugleich geheimnisvolle und unterwürfige Sexobjekte gesehen (Exotisierung und Hypersexualisierung).

Ein weiterer zentraler Aspekt des Antiasiatischen Rassismus ist der Mythos der Vorzeigeminderheit (engl. Model Minority Myth), der asiatisch markierte Menschen als fleißig, erfolgreich und unproblematisch darstellt. Dieser Mythos dient dazu, andere marginalisierte Gruppen abzuwerten, diese gegeneinander auszuspielen und strukturellen Rassismus in Deutschland zu leugnen. Denn er suggeriert, dass Erfolg nur eine Frage der persönlichen Anstrengung sei und nicht von gesellschaftlichen Barrieren beeinflusst werde.

Antiasiatischer Rassismus besitzt eine lange Geschichte. Schon in der Aufklärung wurden asiatisch markierte Menschen u.a. als „gelb” markiert und abgewertet. Im 19. Jahrhundert entstand der Begriff „Gelbe Gefahr”. Er stellte asiatisch markierte Menschen als Bedrohung für die „westliche” Welt dar. Schon damals wurde dieser Begriff mit der Entstehung und Verbreitung von Pandemien in Verbindung gebracht. Bis heute bilden diese Vorstellungen die Grundlage für rassistische Stereotype. Diese bestimmten auch die deutsche Kolonialpolitik. Denn die Errichtung der deutschen Kolonie Kiautschou 1897 wurde mit einer angeblichen deutschen Überlegenheit, der christlichen Missionierung und einem Auftrag zur „Zivilisierung” gerechtfertigt. Während des Nationalsozialismus wurden in Deutschland lebende Chines:innen ausgewiesen, zwangssterilisiert und in Konzentrations- und Arbeitslager verschleppt und ermordet. 

In den 1980er und 1990er Jahren kam es wieder zu antiasiatischen Morden und Gewalt. Der Mord an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân am 20. August 1980 in Hamburg wird häufig als erster offiziell registrierter rassistischer Mord in der Bundesrepublik genannt. Beide verbrannten in einer Unterkunft für Geflüchtete, nachdem Neonazis der sogenannten „Deutschen Aktionsgruppen“ das Gebäude gezielt in Brand gesetzt hatten. Bei den Pogromen von Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992) griff ein rassistischer und rechtsextremer Mob unter dem Beifall weißer Anwohner:innen und fehlendem staatlichen Schutz vietnamesische Arbeitsmigrant:innen an. 

Besonders während der Corona-Pandemie (2020-2023) stieg der Antiasiatische Rassismus zuletzt stark an. Asiatisch markierte Menschen wurden weltweit mit dem Virus in Verbindung gebracht und als „Virusüberträger“ stigmatisiert. Dies führte zu einem dramatischen Anstieg verbaler und körperlicher Übergriffe.

Der Begriff Antiasiatischer Rassismus erfährt auch Kritik, weil er ein vereinfachtes Bild von Asien transportiere. Als Alternative wird daher auch „Rassismus gegen Menschen aus Ost- und Südostasien“ oder „Rassismus gegen ost- und südostasiatisch gelesene Menschen“ verwendet.

Antidiskriminierung

Mit Antidiskriminierung verbindet sich ein aktives Eintreten gegen Diskriminierung, sei sie direkter oder indirekter Art. Die Spannweite von Aktivitäten reicht hierbei von der gezielten Beratung, dem Empowerment, der Unterstützung von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen und der Dokumentation von Diskriminierungsfällen über öffentlichkeitswirksame Kampagnen für Vielfalt und gleiche Rechte bis hin zu Gesetzen mit einklagbaren Bestimmungen zum Schutz vor Diskriminierung. Ein wichtiges Ziel von Antidiskriminierungsarbeit ist die Sicherung fundamentaler Menschenrechte.

Siehe auch Diskriminierungskrititk

Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten

Damit werden alle quantitativen und qualitativen Daten bezeichnet, die hilfreich sind, um den Stand von Gleichstellung zu beschreiben und strukturelle Diskriminierung  bezüglich aller Diskriminierungsdimensionen transparent zu machen. Sie zeigen bspw., welche Personengruppen auf welchen Hierarchieebenen repräsentiert sind oder welche diskriminierungsrelevanten Erfahrungen Menschen in Organisationen machen. In einem zweiten Schritt dienen die erhobenen Daten dazu, Gleichstellung durch gezielte Maßnahmen (siehe Positive Maßnahmen) zu fördern.

Siehe Antidiskriminierung, Institutioneller Rassismus und Rassismuskritische Öffnung

Antifaschismus

Unter Antifaschismus wird heutzutage vor allem in der Alltagskommunikation verstanden, wenn Menschen sich aktiv gegen die praktischen Erscheinungsformen von Rechtsextremismus engagieren, z.B. indem sie gegen extrem rechte Veranstaltungen demonstrieren, und sich aktiv in Theorie und Praxis mit rechtsextremer Ideologie auseinandersetzen.

Siehe auch Faschismus und Neofaschismus

Antifeminismus

Antifeminismus ist eine Gegenbewegung zum Feminismus, die sich aktiv gegen Emanzipation und die Gleichstellung unterschiedlicher Geschlechter stellt. Zentral ist dabei die Verteidigung vermeintlicher Rechte und Privilegien von Männern und Jungen, während feministische Forderungen und Errungenschaften systematisch diffamiert werden. Die Bewegung ist tief in rechtspopulistischen und konservativen Ideologien verankert und fester Bestandteil in extrem rechter, islamistischer und christlich fundamentalistischer Weltanschauungen.

Ein wesentliches Merkmal des Antifeminismus ist das bewusste Ausblenden historisch und kulturell bedingter Machtgefälle zwischen Männern und Frauen. Feministische Maßnahmen wie die Frauenquote werden als Benachteiligung von Männern dargestellt, ohne anzuerkennen, dass solche Maßnahmen bestehende strukturelle Diskriminierungen  ausgleichen und abbauen sollen.

In den letzten Jahren mobilisieren antifeministische Akteur:innen verstärkt gegen das Feindbild „Gender”. Diese Mobilisierung richtet sich nicht nur gegen feministische Bewegungen, sondern auch gegen die Anerkennung der geschlechtlichen, sexuellen, amourösen und familiären Vielfalt. Gender und Queer Studies, Geschlechterforschung und geschlechtergerechte Sprache werden pauschal als „Gender-Ideologie“ diffamiert.

Antifeministische Strömungen fördern ein antimodernes, heteronormatives und patriarchales Weltbild, das eng mit anderen Formen von Diskriminierung wie Rassismus und Antisemitismus verknüpft ist.

Antijudaismus

Unter Antijudaismus werden die vormodernen, religiös begründeten Formen von Zuschreibungen und Feindschaft gegenüber sowie Ausschluss und Verfolgung von Juden:Jüdinnen verstanden, die sich wesentlich im antiken und mittelalterlichen christlichen Europa entwickelten. Dazu gehörte ganz zentral der Vorwurf des Gottesmordes, der das Fantasma jüdischer Macht und Verschwörung begründete. Beides ergab sich daraus, dass das Judentum das Christentum in seinen Grundfesten in Frage stellte, das Christentum aber ohne das Judentum nicht denkbar ist. Zudem wurde das Judentum als veraltete und durch das Christentum überholte Religion dargestellt, deren Angehörige sich aus Sturheit dem christlichen Erlösungsversprechen widersetzen würden. Auf diese Weise rechtfertigten Christ:innen regelmäßig Gewalt gegenüber Juden:Jüdinnen, mit der sie ihre Glaubenszweifel und Ambivalenzen ausagierten.

Während des christlich-europäischen Mittelalters entwickelten sich aus diesen Grundlagen weitere Stereotypen wie die Ritualmordlegende, das Wucherstereotyp und die Legende der Brunnenvergiftung. Diese traditionellen Stereotype des Antijudaismus fanden und finden weiterhin in modifizierter Form und Funktion Eingang in moderne Varianten des Antisemitismus.

Im Versuch, den Antijudaimus als weniger schlimm oder nicht antisemitisch vom Antisemitismus abzugrenzen, wird immer wieder argumentiert, dass erstens die Differenz zwischen „Juden” und Nicht-„Juden” z.B. durch Taufe als überbrückbar angesehen worden sei; dass zweitens die Auflösung der Differenz zwar durch Bekehrung oder Assimilation erwartet werde; aber drittens Christ:innen das Weiterbestehen der Differenz als Teil der göttlichen Vorsehung hätten ertragen können.

Diese Begründung steht in der Kritik. Denn eine binäre Unterscheidung (Dichotomisierung) zwischen „Juden” und Nicht-„Juden”, die Dämonisierung der „Juden”, die Befriedigung von Identitätsbedürfnissen der Ausübenden und die Umkehr von Opfern und Täter:innen, sind nicht nur für den Antisemitismus typisch, sondern kennzeichnen auch schon den frühen Antijudaismus. Zudem erwarteten die Christ:innen, dass Juden:Jüdinnen spätestens beim Jüngsten Gericht entweder bekehrt oder vernichtet würden. Daher war schon im Antijudaismus die Erlösung der Christ:innen an das Verschwinden von Juden:Jüdinnen gebunden.

Antijudaismus und Antisemitismus können also weder anhand der religiösen Begründung noch der zeitlichen Einordnung voneinander unterschieden werden. Daher wird Antijudaismus häufig als Form des Antisemitismus verstanden. Um Kontinuität und Ursprung zu betonen, wird teilweise stattdessen von christlichen Antisemitismus gesprochen. Ein anderer Vorschlag ist, unter Antijudaismus nur die Formen des abwertenden Sprechens über und Handelns gegen „die Juden“ zu fassen, bei denen diese nicht zentral für das Selbst- und Weltverständnis der Äußernden sind. Da in diesem Sinne antijudaistische Äußerungen aber in der Gegenwart immer offen dafür wären, antisemitisch rezipiert zu werden, erscheint es zweifelhaft, ob eine solche Unterscheidung für die Analyse des gegenwärtigen Antisemitismus zielführend ist.

Siehe auch Identität (kollektive), Islamistischer/islamisierter Antisemitismus, Israelbezogener Antisemitismus, Moderner Antisemitismus, Post-Shoah-Antisemitismus und Stereotypisierung

Antimuslimischer Rassismus

Antimuslimischer Rassismus (AMR) ist ein häufig kulturalistisch argumentierender Rassismus, der sich gegen Muslim:innen und gegen Menschen richtet, die als Muslim:innen markiert sind, und zwar unabhängig davon, ob die Betroffenen tatsächlich den Islam praktizieren und wie religiös sie sind. AMR rassifiziert also Religion. Ihm liegt die Annahme einer grundsätzlichen und unvereinbaren Andersartigkeit von (vermeintlichen) Muslim:innen zugrunde. Die Markierung erfolgt durch äußere Merkmale wie z.B. religiöse Kleidung, Aussehen, Namen oder Staatsangehörigkeit. Aus ihnen werden eine ethnisch gefasste Herkunft (Ethnizität), eine „Abstammung“ und eine religiöse und kulturelle Zugehörigkeit zugeschrieben und einem „Wir“ (z.B. „den Deutschen“, „der deutschen Kultur“, „der christlich-abendländischen Kultur“ usw.) als Gegensatz gegenübergestellt (Othering). An die so erzeugten Kategorien werden weitere historisch verankerte Fremdzuschreibungen (Stereotypisierungen) geknüpft (z.B. Sicherheitsrisiko, Orientalismus, Exotisierung und Sexualisierung, „Rückständigkeit“, „Unzivilisiertheit“, „Integrationsunfähigkeit“). Sie werden in deterministischer Weise auf Individuen übertragen, um ihr Verhalten zu erklären, soziale Ungleichheiten, Ausschlüsse und Dominanz zu rechtfertigen, die Privilegien der jeweiligen Wir-Gruppe aufrechtzuerhalten und eine auf Homogenität ausgerichtete nationale Gemeinschaftskonstruktion zu stabilisieren. Wie Rassismus findet also auch AMR immer im Kontext ungleicher Machtverhältnisse statt.

Siehe auch Integration, Islamfeindlichkeit, Islamistischer/islamisierter Antisemitismus, Islamophobie, Kultur und Neorassismus.

Antipalästinensischer Rassismus

Antipalästinensischer Rassismus ist ein neuer, teilweise strittiger und nicht etablierter Begriff. In der deutschsprachigen Wissenschaft ist er nicht verbreitet, sondern erscheint hauptsächlich in englischsprachigen Publikationen. In Deutschland wird er vorwiegend in der Bildungsarbeit und in aktivistischen Kontexten benutzt. Dort dient er allerdings häufig als Kampfbegriff, um Israel zu dämonisieren (Israelbezogener Antisemitismus) und Maßnahmen gegen Antisemitismus z.B. auf Veranstaltungen als Rassismus brandmarken zu können. Hinzu kommt, dass die Ab- und Eingrenzung schwierig ist. Denn er überschneidet sich vor allem mit Antimuslimischem und auch mit Anti-Schwarzen Rassismus. Zweifelhaft bleibt auch, ob er für Deutschland eine historisch-strukturelle Verankerung als spezifischer Rassismus gegen Palästinenser:innen beanspruchen kann (struktureller Rassismus). Jedoch machen Palästinenser:innen auch spezifische Rassismuserfahrungen und treffen auf daraus erwachsende spezifische Herausforderungen. Betroffene benennen diese Erfahrungen unter Umständen als Antipalästinensischer Rassismus. Beides würde für einen eigenen Begriff für Rassismus gegenüber Palästinenser:innen sprechen.

Vergleichbar mit anderen Rassismen ist, dass Palästinenser:innen im Antipalästinensischen Rassismus als unterlegen dargestellt werden. Antipalästinensischer Rassismus äußert sich v.a. in pauschalen Zuschreibungen antisemitisch, terroristisch, gewaltbereit, frauen-  und queerfeindlich oder rückschrittlich zu sein. Die Folge davon kann sein, dass Palästinenser:innen allein für ihr Leid verantwortlich gemacht werden. Zudem ignorieren die genannten rassistischen Annahmen die tatsächlichen Ansichten der einzelnen Menschen, werten sie ab und entmenschlichen sie. Daneben können die genannten Zuschreibungen dazu beitragen, dass z.B. Demonstrationen von oder für Palästinenser:innen ohne Anhaltspunkte von Antisemitismus verboten werden und palästinensische Stimmen dadurch unsichtbar gemacht werden. Dies kann bei Palästinenser:innen zu dem Gefühl führen, dass palästinensischen Opfern im Israel-Palästina-Konflikt weniger Mitgefühl entgegengebracht werde und sie ihre Menschlichkeit unter Beweis stellen müssten: Beispielsweise indem sie aufgefordert werden, sich von der Terrororganisation Hamas zu distanzieren. Als weiteres Merkmal von Antipalästinensischem Rassismus werden Aussagen genannt, die Palästinenser:innen ihre spezifische kollektive (nationale) Identität absprechen. Dies kann geschehen, indem sie als Araber:innen oder Muslim:innen bezeichnet werden oder ihre Existenz als Gruppe mit einer eigenen kollektiven Identität gänzlich bestritten wird. Denn dies führt dazu, dass Palästinenser:innen als Gruppe unsichtbar gemacht und ausgelöscht werden und ihr Recht auf Selbstbestimmung bestritten wird. 

Antipalästinensischer Rassismus überschneidet sich mit Nationalismus, weil viele Palästinenser:innen zu den Staatenlosen in Deutschland gehören. Staatenlos zu sein kann zur Folge haben, dass die Betroffenen von grundlegenden politischen und sozialen Rechten ausgeschlossen sind. 

Antirassismus

Unter der Bezeichnung Antirassismus werden Ansätze verstanden, die auf die Beseitigung von Verhältnissen und Einstellungen abzielen, die rassistisch (bzw. von Rassismus bestimmt) sind. Kritiker:innen bemängeln das Fehlen einer selbstreflexiven und machtkritischen Komponente. Denn der Begriff unterstelle, dass es eine Position außerhalb rassistischer Verhältnisse gebe, die Personen einnehmen können, wenn sie sich selbst für rassismusfrei erklären. Ein Raum frei von Rassismus bzw. die Schaffung eines rassismusfreien Raumes, so die Kritik, sei aber – zumindest in der gegenwärtigen Gesellschaft – nicht möglich.

Wenn Rassismus verkürzend als irrationales Vorurteil, als absichtsvolles Handeln, oder als Form von Hass erklärt wird, wird jedoch genau die Logik bedient, dass Menschen außerhalb rassistischer Verhältnisse handeln könnten, wenn sie nur aufgeklärter oder freundlicher wären. Damit verbunden ist eine moralisierende Haltung, die Menschen als gut oder schlecht beurteilt. Dieser Haltung entsprechend empfinden Menschen Hinweise auf Rassismus als Vorwurf anstatt als Chance, rassistische Verhältnisse zu schwächen. Die Folge ist Weiße Zerbrechlichkeit. So verhindert eine moralisierende Haltung aufgrund der Angst, verurteilt zu werden, Rassismus zu thematisieren, sich mit der eigenen Verstrickung in rassistische Verhältnisse und mit neu entstehenden Formen von Rassismus auseinanderzusetzen.

Demgegenüber geht die rassismuskritische Perspektive davon aus, dass gesellschaftliches Handeln nur innerhalb rassistisch geprägter Verhältnisse möglich ist und plädiert für eine offene Auseinandersetzung mit rassistischen Realitäten.

Antiromaismus

Der Begriff wurde von Romani-Aktivist:innen geprägt, um eine Alternative zum Begriff Antiziganismus zu formulieren. Die Bezeichnung Antiromaismus – wie auch andere Begriffe für Gadjé-Rassismus, die die Eigenbezeichnungen Sinti:zze und/oder Rom:nja verwenden – wird jedoch kritisiert. Denn sie legt erstens den Eindruck nahe, es gebe eine ethnisch homogene Gruppe von Betroffenen, aus deren vermeintlich realen Eigenschaften Gadjé-Rassismus/Antiziganismus resultiere. Zweitens widerspricht der Eindruck ethnischer Homogenität der Tatsache, dass auch Personen und Gruppen, die sich nicht als Sinti:zze oder Rom:nja identifizieren, z.B. Jenische, von Gadjé-Rassismus/Antiziganismus betroffen sind und waren.

Siehe auch Rassismus

Antisemitismus

Antisemitismus ist, wenn eine „Wir”-Gruppe meistens auf abwertende Weise eine Trennlinie zwischen sich und „den Juden” zieht und diese Unterscheidung dazu benutzt, um sich der eigenen Identität zu versichern. Antisemitismus basiert auf einer doppelten Unterscheidung. Die „Wir”-Gruppe wird zunächst als „Volk“, „Staat“, „Nation“, „Rasse“, „Identität“, „Kultur“ oder Religion von anderen „Völkern“, „Staaten“ usw. unterschieden. Diese Einheiten werden in einer antisemitischen Logik immer als wesenhafte, einheitliche und harmonische Gemeinschaften verstanden. „Die Juden“ werden ihnen dann als Gegenprinzip gegenübergestellt. Durch eine entsprechende Stereotypisierung werden „die Juden“ für alle verunsichernden, als negativ und bedrohlich für das eigene Selbstbild empfundenen gesellschaftlichen Prozesse verantwortlich gemacht. Im Anschluss daran werden ihnen die Bedrohung und „Zersetzung“ jener als ursprünglich imaginierten Gemeinschaft(en) zugeschrieben. Daraus ergeben sich der Glaube an eine in Gut und Böse eingeteilte Welt, an das Wirken verborgener Mächte und Verschwörungen als weitere Grundelemente des Antisemitismus. Da „die Juden“ in dieser Logik die personifizierte Bedrohung darstellen, sind dem Antisemitismus außerdem die Umkehr von Opfern und Täter:innen und die Diskriminierung – bis zur Vernichtung – von Menschen, die als „Juden“ markiert werden, – auf interaktionaler, institutioneller und gesellschaftlich kultureller Ebene – eingeschrieben. Antisemitische Stereotype rechtfertigen diese Diskriminierungen. Als wichtige (Erscheinungs)formen von Antisemitismus werden in verschiedenen Typisierungen unterschieden: christlicher Antisemitismus/Antijudaismus, rassistischer, moderner, sekundärer bzw. Post-Shoah-Antisemitismus bzw. NS-vergleichender Antisemitismus, Israelbezogener bzw. antizionistischer Antisemitismus und islamistischer/islamisierter Antisemitismus.

Siehe auch Antisemitismuskritik, Holocaust, Nationalismus, Nationalsozialismus, Rassismus, Rechtsextremismus und Shoah

 

Antisemitismuskritik

Antisemitismuskritik geht davon aus, dass antisemitische Strukturen tief in unserer Gesellschaft verankert sind und alle Menschen Teil davon sind. Ziel der Antisemitismuskritik ist es, konsequent auf den Abbau von antisemitischen Denk- und Handlungsmustern hinzuwirken. Das erfordert ständige Selbstreflexion und bleibt ein andauernder Prozess.

Antisemitismuskritik muss genauso Rassismuskritik beinhalten und umgekehrt. Denn Rassismus und Antisemitismus haben Gemeinsamkeiten - u.a. wollen beide bestimmen, wer deutsch ist oder dazugehört, und wer nicht -, dürfen aber nicht gleichgesetzt werden. Denn dies führt häufig dazu, dass Antisemitismus als weniger wichtig verharmlost oder erst gar nicht erkannt wird. Denn Antisemitismus und Rassismus haben auch wichtige Unterschiede: V.a. werden „Juden” nicht einfach nur zu „Anderen” gemacht (Othering und Rassifizierung), sondern zum absolut Bösen. So schließt Antisemitismus jede Koexistenz zwischen „Juden” und Nicht-„Juden” aus und zielt deshalb letztlich auf Vernichtung.

Darüber hinaus verschränken sich beide Phänomene auch, z.B. indem die Kritik an einem der Phänomene umschlägt in eine Rechtfertigung des anderen Phänomens. Einerseits kann eine antisemitismuskritsche Haltung ohne eine rassismuskritische Haltung bspw. dazu führen, dass Muslim:innen pauschal vorgeworfen wird, antisemitisch zu sein (siehe Islamisierter/islamistischer Antisemitismus). Andererseits kann eine rassismuskritische Haltung ohne antisemitismuskritische Haltung dazu führen, dass behauptet wird, Juden:Jüdinnen seien eigentlich weißpositioniert und damit privilegiert. Diese Vorstellung ignoriert aber die lange Geschichte antisemitischer Verfolgungen und befeuert das Stereotyp „privilegierter Juden”. Und schließlich erleben viele Juden:Jüdinnen in Deutschland sowohl Antisemitismus als auch Rassismus, z.B. jüdische BIPoC* oder Menschen, die oder deren Familien aus der ehemaligen Sowjetunion stammen (Antislawischer Rassismus).

Siehe auch Diskriminierungskritik

Antislawischer Rassismus

Der Antislawische Rassismus oder Antislawismus stellt eine Form von Rassismus dar, den viele Rassismus-Debatten übersehen. Denn es handelt sich um einen Rassismus, der sich gegen häufig weiß gelesene (aber nicht weißpositionierte) Menschen (Menschen mit osteuropäischen Bezügen, Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, postsowjetische Migrant:innen) richtet. Rassismus muss sich jedoch nicht nur auf den Hautton beziehen, sondern kann auch an Sprache oder Akzent (Linguizismus), Name oder Aussehen, kulturelle Praktiken oder Religion anknüpfen. Aufgrund dieser Besonderheit des Antislawischen Rassismus und seiner Geschichte in Deutschland weisen kritische Stimmen darauf hin, dass die Kategorien weiß und BIPoC* von Antislawischem Rassismus Betroffene nicht berücksichtigen, weil sie in der Regel als weiß gelesen werden und trotzdem Rassismus erleben. 

Während des Nationalsozialismus erlebte der Antislawische Rassismus seinen Höhepunkt. In den Augen der Nationalsozialist:innen bildeten „Slaw:innen“ eine minderwertige „Rasse“, die aus einem als rückständig und barbarisch imaginierten „Osten“ stammten und die es deshalb zu kolonisieren und zu unterwerfen galt. Diese Ideologie war jedoch keine Erfindung der Nazis, sondern hat ihre Wurzeln bereits im Mittelalter, als polnische, sorbische, litauische und böhmische Menschen auf „deutschen“ Sklavenmärkten verkauft wurden. Seit dem 18. Jahrhundert betrachtete Preußen polnische und andere östliche Gebiete als koloniale Gebiete, eine Haltung, die auch in der Paulskirchenversammlung von 1848, im Kaiserreich und im Ersten Weltkrieg zum Vorschein kam. Gleichzeitig werteten Philosophen wie Immanuel Kant und Friedrich Wilhelm Hegel „Slaw:innen“ in ihren Schriften mit rassistischen Zuschreibungen ab. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts rekrutierte die in den damaligen deutschen Staaten entstehende Industrie – vor allem die Bergbauindustrie zahlreiche polnische Arbeiter, die als „Ruhrpolen“ bekannt wurden. Sie wurden von der Politischen Polizei überwacht und waren einer strengen Germanisierungspolitik unterworfen, z.B. mussten Gottesdienst auf Deutsch abgehalten werden. Zudem warben Gutsbesitzer:innen in den östlichen Provinzen des Deutschen Reichs zahlreiche Landarbeiter:innen aus Osteuropa als billige Arbeitskräfte an, die sie jederzeit wieder zurückschicken konnten. Kontinuitäten zu dieser Praxis finden sich im heutigen Umgang mit osteuropäischen Arbeitskräften z.B. in der Fleischverarbeitung, im Baugewerbe oder in der häuslichen Pflege.

Antiziganismus

Antiziganismus wird verstanden als strukturelle Diskriminierung  und als spezifische Form von Rassismus gegenüber Menschen, die als „Zi.stigmatisiert werden. Wie bei anderen Rassismen liegen die Ursachen für Antiziganismus in der Verfasstheit der modernen Gesellschaft (Weitere Infos zum Inhalt dieses Begriffs bietet der Eintrag zu Gadjé-Rassismus). Gegenüber Begriffsalternativen wie Antiromaismus, Romaphobie (siehe auch Xenophobie) oder Rassismus gegenüber Sinti:zze und Rom:nja hat Antiziganismus verschiedene Vorteile. So macht er u.a. präziser als jene Begriffe deutlich, dass die Betroffenengruppe nicht natürlich gegeben ist, sondern sie erst durch Diskriminierung sozial hergestellt wird. Zudem macht der Begriff deutlich, dass die Diskriminierung antiziganistischen Bildern entspringt, die nichts über reale Menschen aussagen, diese aber treffen. 

Nach ersten Verwendungen in den späten 1920er und 1930er Jahren in der damaligen Sowjetunion nutzte zuerst das rassistische Forschungsprojekt „Tsiganologie“ der Universität Gießen den Begriff. Das Projekt rechtfertigte den Völkermord an den europäischen Rom:nja und Sinti:zze (Porajmos) während des Nationalsozialismus mit antiziganistischen Stereotypen. In Abgrenzung zu dieser rassistischen Begriffsvariante haben Wissenschaftler:innen und Selbstorganisationen einen rassismuskritischen Antiziganismus-Begriff entwickelt. Durch den Kampf der Bürger:innenrechtsbewegung für mehr Aufmerksamkeit für das Phänomen gilt der Begriff inzwischen in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit als weitgehend etabliert und wird auch vom Zentraltrat deutscher Sinti und Roma offiziell verwendet. Seine Etablierung ging einher mit einer erhöhten Aufmerksamkeit für den Völkermord an den europäischen Sinti:zze und Rom:nja während des Nationalsozialismus, für die lange ignorierten Ansprüche der Überlebenden und für den nach dem Nationalsozialismus weiter in der Bundesrepublik vorherrschenden Antiziganismus.

Trotz seiner Leistungen und weiten Verbreitung bemängeln einige Romani-Wissenschaftler:innen und -Aktivist:innen, dass sich in dem Begriff Antiziganismus die diskriminierende Fremdbezeichnung wiederhole. Dies könne dazu führen, dass diese Fremdbezeichnung an neuer Legitimität gewinne und sich wieder stärker verbreite, obwohl sie vom weit überwiegenden Teil der Betroffenen als Selbstbezeichnung abgelehnt werde. Dies könne zur Reproduktion rassistischer Zuschreibungen und zu neuen Verletzungen führen. Denn die Fremdbezeichnung ist aufs engste mit abwertenden Stereotypen, Ablehnungen, Verfolgungen und Vernichtung verknüpft, die die Betroffenen auch heute noch erleben (Aus diesem Grund wird die Fremdbezeichnung in diesem Glossar nur durchgestrichen oder in abgekürzter Form und in Anführungszeichen verwendet.). Darüber hinaus, so wird kritisiert, ist der Begriff Antiziganismus stark mit der Diskurshoheit weißer Wissenschaftler:innen verbunden.

Asyl

In Deutschland haben Menschen nach Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes das Recht, Asyl zu beantragen. Menschen erhalten in Deutschland Asyl mit einer Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, wenn sie wegen ihrer „Rasse“, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (z.B. als Homosexuelle) in ihrem Herkunftsland einer schweren Menschenrechtsverletzung ausgesetzt sind. Internationalen Schutz als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention mit einer Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre erhalten sie gemäß § 3 Asylgesetz, wenn eine begründete Furcht vor Verfolgung aus den genannten Gründen vorliegt. Subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG wird gewährt, wenn Menschen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, z.B. die Androhung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder Bedrohung durch willkürliche Gewalt in einem bewaffneten Konflikt. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 mit einer Aufenthaltserlaubnis für mindestens ein Jahr gilt, wenn die Abschiebung in den Herkunftsstaat die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzen oder dadurch eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestehen würde. Geflüchtete sind in Deutschland in vielfältiger Weise institutionellem Rassismus ausgesetzt und dadurch in ihren Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe eingeschränkt.

Siehe auch Flucht und Migration

Ausbeutung

Ausbeutung bezeichnet in der marxistischen Theorie die Aneignung von Mehrwert durch die herrschende Klasse. Der Mehrwert ist der Wert, den Arbeiter:innen in der Mehrarbeitszeit erwirtschaften. Das ist die Zeit, die über die Arbeitszeit hinausgeht, die notwendig wäre, um den Wert zu produzieren, den sie für die Deckung ihres Lebensunterhalts und die Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft brauchen. Ausbeutung wird in der marxistischen Theorie als analytischer – nicht als moralischer – Begriff verwendet, da sie aus der Logik von Klassengesellschaften und im Besonderen aus der Logik des Kapitalismus folgt: Denn Unternehmer:innen sind gezwungen, Kapital zu erwirtschaften. Daher ist die klassenspezifische Ausbeutung ein Teil des Kapitalismus.

Ausbeutung bezieht sich neben der kapitalistischen Produktion auch auf Systeme der Sklaverei. Auch Staaten und Völker können von Ausbeutung betroffen sein. Im Kolonialismus erbeuteten die Kolonialstaaten die Rohstoffe, Ressourcen und Arbeitskräfte anderer Nationen und sichern sich so Wohlstand und Reichtum. Moderne Dependenztheorien kritisieren das bis heute andauernde Fortbestehen dieser Ausbeutungsverhältnisse. 

Ausbeutungsverhältnissen liegt ein Machtunterschied zwischen Ausbeutenden und Ausgebeuteten zugrunde. Da dieser Machtunterschied gerechtfertigt werden muss, ist Ausbeutung immer mit Erscheinungsformen von Macht und Herrschaft wie z.B. Rassismus (z.B. die Überrepräsentation von BIPoC* in wenig qualifizierten Tätigkeiten) oder Sexismus (z.B. die Überrepräsentation von Frauen im Bereich der Familien- und Sorgearbeit) verbunden. Für die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young stellt Ausbeutung eine der fünf Formen der Unterdrückung (im Sinne von struktureller Diskriminierung) dar, die Young als je eigenständige Kennzeichen struktureller Diskriminierung deutet.

Siehe auch Gewalt, Kulturimperialismus, Machtlosigkeit und Marginalisierung

Ausländerpädagogik

Die Ausländerpädagogik entstand zu Beginn der 1970er Jahre. Adressat:innen waren in den Anfangsjahren als „Gastarbeiterkinder“ und ab den 1980er Jahren als „Ausländerkinder“ titulierten Kinder. Kennzeichnend für die ausländerpädagogische Haltung war die Wahrnehmung dieser Kinder als defizitär, als pädagogisches Problem und als Störfaktor für die organisatorischen, didaktischen und methodischen Routinen der Bildungseinrichtungen. Die Maßnahmen in Form von segregativen Beschulungspraxen zielten lediglich auf eine „Integration auf Zeit“ ab. Die mangelnde Effektivität der entsprechenden Fördermaßnahmen wurde auf vermeintliche Defizite der Kinder in der sozialen Integration zurückgeführt – die wiederum durch das familiäre Umfeld und dessen als defizitär und dysfunktional betrachtete „fremde Kultur“ erklärt wurden. Im ausländerpädagogischen Paradigma, das auf Anpassung, Assimilation und Homogenisierung ausgerichtet war, spiegelten sich das nationalstaatliche Selbstverständnis der deutschen Schule und die Negierung der faktisch existierenden sprachlich-kulturell-religiösen Heterogenität (u.a. durch Migration) wider. Trotz zahlreicher Kritikpunkte sind ausländerpädagogische Ansätze auch heute noch in der pädagogischen Praxis wirksam.

Siehe auch Interkulturelles Lernen, Kultur, Migrationspädagogik, Nation, Nationalismus und Nationalismus

Aussiedler:innen

Als „Aussiedler:innen” werden nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes deutsche Staatsangehörige und deutsche „Volkszugehörige“ bezeichnet, die die Aussiedlergebiete (das sind die ehemaligen deutschen Ostgebiete, Danzig, Estland, Lettland, Litauen, die ehemalige Sowjetunion, Polen, die ehemalige Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, das ehemalige Jugoslawien, Albanien oder China) vor dem 1. Juli 1990 bzw. dem 1. Januar 1993 verlassen haben und in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind.

Siehe auch Ethnie, Ethnizität, Spätaussiedler:innen und völkischer Nationalismus

Autoritarismus

Autoritarismus kennzeichnet eine spezifische Haltung gegenüber Autoritäten, durch die die „gesamte Lebenspraxis auf gefühlsmäßig stark besetzte Unter- und Überordnungsverhältnisse ausgerichtet“ (Milbradt 2020: 58) wird. Das heißt, eine Person strebt danach, sich zu unterwerfen und andere zu beherrschen. Daraus zieht sie einen psychologischen Gewinn, der ihr Befriedigung verschafft. Indem sie die Freiheit und Unabhängigkeit des eigenen Selbst aufgibt, entlastet sie sich von der Verantwortung für eigene Entscheidungen und Urteile und dadurch auch von Zweifeln. Gleichzeitig nimmt sie Anteil an der Macht der Autorität und erfährt so eine Selbstaufwertung.

Weitere zentrale Bestandteile des Autoritarismus sind Konventionalismus, pathische Projektion, autoritäre Aggression, Rigidität und Machtdenken. Mit ihrer Unterwerfung unter eine Autorität geht die unhinterfragte Übernahme kollektiver Konventionen und Normen einher. Selbstanteile, die nicht diesen Erwartungen entsprechen, und unterdrückte Feindseligkeiten gegenüber der Autorität, werden verdrängt und auf andere projiziert – also ausgelagert (siehe auch Othering und Stereotypisierung). Auf diese Weise können die eigenen inakzeptabel erscheinenden Triebe dann an anderen bestraft oder abreagiert werden (autoritäre Aggression). Basis für die Projektion bildet das Denken in rigiden binären Gegensätzen (Rigidität), d.h. in starren, als unveränderlich, natürlich und ewig verstandenen Unterscheidungen und eindeutigen moralischen Bewertungen (z.B. gut/böse, sauber/schmutzig, Mann/Frau, Homo/Hetero, Körper/Geist). Diesem Denken zufolge sind Menschen entweder gut oder böse usw. Schattierungen der eigenen Persönlichkeit werden nicht zugelassen und wiederum auf andere projiziert. Mit Unterwerfung und Beherrschung geht schließlich ein Machtdenken einher, das menschliche Beziehungen in Hierarchien von Mächtigen und Machtlosen, Starken und Schwachen ordnet. Unterschiede sind demnach Ausdruck von Über- und Unterlegenheit. Macht fasziniert, machtlose Menschen lösen Aggressionen und den Wunsch nach Beherrschung aus. Als schwach wahrgenommene Autoritäten lösen aggressive Gegenreaktionen aus, die auch als „autoritäre Rebellion“ bezeichnet werden.

Eine der zentralen Annahmen des Autoritarismusansatzes lautet, dass das dynamische Geflecht des Autoritarismus sich an der „Oberfläche“ in der Anfälligkeit für antidemokratische und diskriminierendeIdeologien, politische Programme und Einstellungen äußert, die in Zeiten gesellschaftlicher Krisen aktiviert werden. Weitere zentrale Annahme ist, dass sich autoritäre Charakterzüge in einem ständigen dynamischen Wechselverhältnis mit gesellschaftlichen Bedingungen wie z.B. der Sozialisation, den Erfahrungen in Institutionen oder den wirtschaftlichen Verhältnissen ausbilden und formen.

Das Konzept des Autoritarismus bzw. des autoritären Charakters geht maßgeblich auf die Arbeiten Erich Fromms, Max Horkheimers, Herbert Marcuses, Leo Löwenthals, Else Frenkel-Brunswicks und Theodor W. Adornos zurück. Die heutige Sozialpsychologie arbeitet in Erhebungen mit dem Konstrukt des rechtsgerichteten Autoritarismus und fragt häufig lediglich die Kernbestandteile der autoritären Unterwerfung und autoritären Aggression ab. Ein spezifisch linker Autoritarismus konnte hingegen bislang nicht nachgewiesen werden.

Ein neueres Konzept der sozialpsychologischen Forschung ist das des sekundären Autoritarismus. Darunter wird das Phänomen verstanden, wenn Autoritarismus nicht mit der Unterwerfung unter eine Person einhergeht, sondern Menschen sich mit einer unpersönlichen Autorität identifizieren, die gleichzeitig sowohl Unterwerfung verlangt als auch Beherrschung und Teilhabe an ihrer Macht und Größe verspricht. Als solche Autoritäten können abstrakte Ideen und Kollektive auftreten, wie z.B. „die Wirtschaft“ oder „die Nation“.

Siehe auch Ambiguitätstoleranz und Rechtsextremismus