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Konflikte um die muslimische Jugendverbandsarbeit

Die Zusammenarbeit mit und unter Migrant:innenjugendselbstorganisationen ist nicht immer unbelastet und konfliktfrei. Zum Teil spielen Konflikte aus den Herkunftsländern der Familien bzw. den Bezugsländern einzelner Migrant:innenjugendselbstorganisationen stark in die Arbeit in Deutschland hinein. Dies soll im Folgenden am Beispiel der Jugendverbände türkeistämmiger junger Menschen erläutert werden. Das Verhältnis des Bundes der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ) zum Bund der Muslimischen Jugend (BDMJ), der Jugendorganisation der DITIB ist nicht nur durch das Verhältnis zwischen Sunnit:innen und Alevit:innen in der Türkei, sondern auch durch die Diskriminierungsgeschichte der Alevit:innen in der nur vermeintlich säkularen Türkischen Republik gekennzeichnet. Zudem spielen türkisch-kurdische Konflikte und Feindseligkeiten beispielsweise in das Verhältnis zwischen DIDF-Jugend, BDAJ und BDMJ hinein. Die DIDF-Jugend versteht sich als linker Arbeiterjugendverband und ihre Mitglieder haben damit überwiegend auch andere Parteipräferenzen (vor allem) in der Türkei als viele Mitglieder in anderen Verbänden mit einem hohen Anteil türkeistämmiger Mitgliedschaft.

Muslimische Jugendverbände beklagen eine zunehmend kritische oder feindliche Haltung ihnen gegenüber, die sie auch als Ausdruck von antimuslimischem Rassismus in der gesamten Gesellschaft wahrnehmen. Starke antimuslimische Ressentiments in der Mehrheitsgesellschaft stehen dabei im Vordergrund. Hinzu kommen beispielsweise persönliche und politische Anfeindungen türkischer Muslim:innen durch Alevit:innen, Kurd:innen oder Gegner:innen der türkischen Politik. Umgekehrt verweisen junge Alevit:innen auf Beschimpfungen und Bedrohungen aufgrund ihres Glaubens, ihrer politischen Verortung etwa zu Fragen der türkischen Politik oder ihre Kritik an Nationalismus und mangelnder demokratischer Ausrichtung in Moscheegemeinden und ihren Dachverbänden.

Die meisten Migrant:innenjugendselbstorganisationen betonen immer wieder, dass ihre Arbeit vor allem auf das (Zusammen-) Leben in Deutschland ausgerichtet ist und gesellschaftliche Fragen in Deutschland im Mittelpunkt stehen. In der Tat wird auch die gemeinsame Betroffenheit von Rassismus als gemeinsamer Erfahrungshintergrund immer wieder spürbar.

Gleichzeitig treffen die Organisationen auf unterschiedliche Bewertungen durch die Mehrheitsgesellschaft, die hier nur holzschnittartig benannt werden können: Die Alevit:innen gelten häufig als besonders gut integriert, zum Teil allerdings lediglich aufgrund von weniger oberflächlich ablesbaren Abweichungen: Alevit:innen fasten im Ramadan nicht, Alevitinnen tragen kein Kopftuch. Mitglieder der DIDF werden skeptisch beäugt, wenn sie Sympathien mit der PKK zum Ausdruck bringen. Mitglieder der DITIB werden als aus der Türkei, ihre Imame als von der türkischen Religionsbehörde Diyanet gesteuert wahrgenommen. Veränderungen im Handeln und in der Bewertung der türkischen Politik und der Situation in der Türkei können unmittelbar auf das Image einzelner türkisch und/oder kurdisch geprägter Migrant:innenjugendselbstorganisationen durchschlagen und ihr Standing in der deutschen Jugendverbandslandschaft beeinflussen. Dabei wird häufig zu wenig zwischen den Jugend- und den Gesamtorganisationen unterschieden. In der Diaspora-Situation werden aber häufig "die Reihen geschlossen", so dass Kritik am Gesamtverband eher zu einer verteidigenden und rechtfertigenden, vielleicht aber nur erklärend gemeinten Reaktion von Migrant:innenjugendselbstorganisationen führen kann. Dies überdeckt häufig die internen Auseinandersetzungen und Meinungsunterschiede, die es in diesen Organisationen genauso gibt wie in allen Jugendverbänden mit Gesamtverbänden.

Der geschlossene Rücktritt des Bundesvorstands des BDMJ im Frühjahr 2017 hat es in die bundesweite Presse geschafft und war ein Hinweis auf die nicht konfliktfreie Zusammenarbeit innerhalb der DITIB. Wichtige handelnde Personen aus dem zurückgetretenen Bundesvorstand gründeten dann im Herbst desselben Jahres das Muslimische Jugendwerk, das inzwischen als Bildungs- und Projektträger bundesweit auftritt. Es dauerte bis zum Sommer 2019, bis wieder ein Bundesvorstand des BDMJ gewählt wurde und damit die Jugendarbeit der DITIB wieder über ein selbständiges Leitungsgremium verfügte.

Vorwürfe einer antidemokratischen Haltung werden auch gegen einzelne Moscheegemeinden oder ‑verbände in muslimischen Dachverbänden erhoben, was zu Kontaktschuldketten führt, die bis auf einzelne Jugendgruppen durchschlagen können, die wenig oder gar keinen Kontakt zu den entsprechenden Verbänden haben. Gleichzeitig erfolgt häufig keine Distanzierung der Jugendverbände von demokratiefeindlichen Positionen im eigenen Umfeld – oft mit dem Hinweis darauf, dass Konflikte aufgrund der sensiblen bzw. feindseligen Atmosphäre intern diskutiert würden.

Die beschriebene problematische Situation vieler Migrant:innenjugendselbstorganisationen wird verschärft durch eine häufig zunächst in Form von befristeten Projektförderungen, zudem oft mit thematischen Vorgaben, einsetzende öffentliche Unterstützung oder sonstige finanzielle Förderung aus unterschiedlichsten Projekttöpfen. Von den in den letzten Jahren erzielten Fortschritten der Verstetigung der Förderung von Migrant:innenjugendselbstorganisationen haben die muslimischen Jugendverbände bisher nur unterproportional profitieren können – dies ist einer der Hintergründe für die Initiative für ein Bündnis Muslimische Jugendarbeit. Hinzu kommt, dass nicht alle muslimischen Träger als Jugendverbände organisiert sind, was eine Integration in das Feld der Kinder- und Jugendverbandsarbeit zusätzlich erschwert.