IDA kann mittlerweile auf eine ganze Reihe von Fachtagen zurückblicken, die sich mit möglichen zivilgesellschaftlichen Reaktionen auf die antidemokratischen Herausforderungen durch Rechtspopulist:innen beschäftigt haben. Hier dokumentiert IDA die Ergebnisse dieser Fachtage.
Häufig wird gefragt: Wer wählt die AfD oder sympathisiert mit ihr? Die Beantwortung dieser Frage sagt aber noch wenig darüber aus, warum ein Teil der Bevölkerung offen für die Politikangebote der AfD ist. Lassen sich Menschen vor allem mobilisieren, weil sie von den wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre abgehängt wurden? Wollen sie den demokratischen Parteien einen „Denkzettel“ verpassen? Oder ist die Partei für Menschen interessant, die sich mit ihren Ungleichwertigkeitsideologien in der Programmatik der Partei und den Aussagen ihrer Vertreter:innen wiederfinden?
Axel Salheiser ist Wissenschaftlicher Referent am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena und Co-Autor des Thüringen-Monitors. In der Einführungsveranstaltung zeigte er auf, dass sich die Wahlerfolge der AfD nicht überwiegend durch die individuelle soziale Situation der Wähler:innen erklären lassen und dass die meisten Wähler:innen die AfD nicht als Protestpartei auswählen, sondern sehr wohl wissen, für welche rassistischen, antisemitischen und rechtsextremen Positionen sie steht. Als erklärungskräftigsten Faktor machte er die Existenz einer normalisierten extrem rechten Alltagskultur vor Ort aus.
Özge Erdoğan ist Bundesvorsitzende des Bundes der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland und hat sowohl die jugendpolitische Perspektive als auch die einer Migrant:innenjugendselbstorganisation (MJSO) im Rahmen eines Webinars eingebracht. Sie hält ein breites jugendpolitisches Engagement gegen Rechtspopulismus und Rassismus für dringend erforderlich, auch um das Risiko von Rassismuserfahrungen für Mitglieder ihres Verbandes im öffentlichen Diskurs verringern. Darüber hinaus plädiert sie für Solidarität und Verbündete, um die Stimme von MJSOn insgesamt zu stärken.
Der Sozialarbeiter Tobias Burdukat aus Grimma im Landkreis Leipzig berichtete in seinem Webinar von seinem Konzept einer emanzipatorischen Jugendarbeit, das im "Dorf der Jugend" in Grimma umgesetzt wird. Er sieht erhebliche Probleme bei der Stärkung der demokratischen Kultur und Zivilgesellschaft vor Ort in Zeiten der AfD, solange durch eine hohe Abwanderungsquote flexibler und aufgeschlossener junger Menschen eine Jugendkultur auf dem Lande entsteht, in der Frustration verbreitet ist, rassistische Einstellungen oft unwidersprochen bleiben und rechtsextreme jugendkulturelle Elemente nicht als Störung empfunden werden.
Avital Grinberg und Ruben Gerczikow von der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands erläuterten in ihrem Webinar den Feigenblatt-Charakter der "Juden in der AfD", gingen aber auch auf die Anfälligkeit innerhalb der jüdischen Community für autoritäre oder antimuslimische Positionierungen ein. Sie betonten, dass die JSUD jedwede Kooperation mit der AfD ablehne, um sich nicht von der AfD instrumentalisieren zu lassen, und dass Antisemitismus weder mit Rassismus noch mit antimuslimischem Rassismus bekämpft werden könne.
In der gemeinsamen Abschlussdiskussion mit den Referent:innen des Eröffnungsvortrags und der drei Webinare wurden unterschiedliche Positionierungen zu der Eingangsfrage deutlich, ob sie sich einer Podiumsdiskussion mit der AfD stellen würden. Das gemeinsame Ziel unterschiedlicher Strategien im Umgang mit der AfD war aber eine Eingrenzung der Verbreitung und des Wirksamwerdens von Hass, Diskriminierung und Rassismus. Eine besonders wichtige Zielgruppe seien dabei vor allem die Personen, die sich in einzelnen Positionen der AfD wiederfinden oder überlegten, sie zu wählen, aber noch nicht entschieden seien. Bezweifelt wurde, dass das Ziel politischer Bildung im Kontext des Rechtspopulismus wirklich immer eine Förderung eines kritischen und emanzipatorischen Bewusstseins junger Menschen sei. Dies sei vor allem im ländlichen Raum, wo Schule neben dem Elternhaus die wesentliche Sozialisationsinstanz sei, oft nicht zu beobachten.
Ein zunächst ausgefallenes Online-Seminar zum Thema „Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen extrem rechten Populismus" wurde im September 2020 nachgeholt. Das Geschlechterverhältnis steht in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus regelmäßig auf der Tagesordnung und Antifeminismus ist eines der Ideologieelemente des Rechtsextremismus. Gleichzeitig finden sich Frauen oft wider eigenen Willen in einer Rolle wieder, in der sie – beispielsweise von extrem rechten Männern, die sich zu Rettern des „Abendlandes“ aufspielen – vor Männer „aus fremden Kulturen“ geschützt werden müssen, denen auf rassistische Art und Weise kollektiv frauenfeindliche Verhaltensweisen zugeschrieben werden, während gleichzeitig der Ideologie der extremen Rechten innewohnende naturalistische und antifeministische Frauenbilder nicht thematisiert werden.
Die Referentin Tina Leber erläuterte, dass der in der Diskussion zunehmend verwendete Begriff der Intersektionalität manchmal unterkomplex sei, da er besonders Mehrfachdiskriminierungen unter die Lupe nimmt. Häufig sei die Konstellation aber so, dass beispielsweise eine Person Rassismus und Sexismus erlebt, aber selbst Klassismus ausübt oder von ihrem sozialen Status profitiert und diesbezüglich privilegiert ist. Ein Denken in auf die Person bezogenen Opfer- und Täterbildern oder -kategorien werde damit der Komplexität unseres Alltags oft nicht gerecht.
Der eigentlich als eintägige Präsenzveranstaltung in Frankfurt am Main geplante Fachtag wäre der vierte seiner Art gewesen. Aufgrund der Corona-Pandemie fand er — auf mehrere Tage verteilt — im veränderten Format der „IDA-Online-Fachtage" statt. Wir danken allen Mitwirkenden, dass sie sich auf diese Form der Präsentation und Diskussion eingelassen haben, und allen Teilnehmenden für Ihr Interesse.
Das Stichwort der „politischen Neutralität“ hat seit einiger Zeit viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das liegt zum einen daran, dass die AfD den Hinweis auf eine vermeintlich notwendige „Neutralität“ vehement instrumentalisiert. Dazu kann sie inzwischen ihre Vertretung in allen Landesparlamenten und im Bundestag einsetzen. Gerade Jugendverbände und Jugendringe, aber auch Projekte und Vereine, die Gelder aus der Demokratieförderung erhalten, können hier bereits aus einem reichen Erfahrungsschatz berichten.
Zum einen versucht die AfD mit dem Verweis auf ein abstraktes „Neutralitätsgebot“ demokratische Akteur:innen zurückzudrängen und sich in Veranstaltungen „einzuklagen“. Zum anderen bemüht sich die AfD, dass Gebot der Chancengleichheit, an das staatliche Stellen bei der Vergabe staatlicher Leistungen an Parteien gebunden sind, auf die Empfänger:innen staatlicher Förderung zu übertragen. Und darüber hinaus verweist die Partei auf den Beutelsbacher Konsens und die darin festgehaltenen Prinzipien des Überwältigungsverbots, Kontroversitätsgebots und der Adressat:innenorientierung, um Kritik an ihren Positionen zu diskreditieren. Auch das Gemeinnützigkeitsrecht dürfte in Zukunft ein Einfallstor für ihre Angriffe bieten.
Zwei Vorstöße der AfD aus den letzten Monaten illustrieren diese Versuche: In einem Gesetzentwurf, den die AfD im Mai in den sächsischen Landtag eingebracht, möchte sie den Freistaat in der Landesverfassung auf „politische Neutralität“ „in den Bereichen der politischen Erziehung, Bildung und Information“ verpflichten. Außerhalb der staatlichen Parteienfinanzierung soll die Landesregierung dann keine Gelder zur Demokratieförderung mehr vergeben dürfen, weil das die Chancengleichheit der Parteien verzerre. Personen, die Fördergelder annehmen oder ausgeben, werden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bedroht. Mit ihrer Initiative zielt die AfD – wie aus der Gesetzesbegründung hervorgeht – besonders auf solche Akteur:innen, die gegen die AfD Position beziehen. Wenn menschenrechtsorientierte Bildungsarbeit schon als „nicht neutral“ gewertet wird, würde sie unter diesen Umständen unmöglich gemacht. Wohin die Reise bei einer Regierungsbeteiligung der AfD gehen würde, zeigt auch das Programm der sächsischen AfD für die Landtagswahl: Vereinen wie „Schule ohne Rassismus“ sollten die Fördergelder aus Steuermitteln gestrichen werden und stattdessen an Schulen „Heimatliebe“ vermittelt werden. In Brandenburg hat die AfD Mitte Juni einen Antrag in den Landtag eingebracht, das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ abzuschaffen. Bis dahin sollten mit sofortiger Wirkung aber wenigstens alle Mittel an die Bedingung geknüpft werden, dass sie „nicht zugunsten oder zulasten von politischen Parteien eingesetzt werden dürfen.“ Im Zuwendungsbescheid sollten die Empfänger:innen dazu verpflichtet werden, „das verfassungsrechtlich verankerte Neutralitätsgebot zu achten“.
Die von der AfD vorgebrachten Argumentationen berühren die juristische Frage, wann, in welchem Umfang und nach welchen Kriterien Empfänger:innen öffentlicher Mittel zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet sind. In einem ersten Vortrag „Das Neutralitätsgebot: Maulkorb für öffentlich subventionierte Bildungsarbeit?“ ging der Staatsrechtler Friedhelm Hufen auf diese Frage ein. Eine seiner wesentlichen Erkenntnisse war, dass geförderte Träger nicht wie staatliche Stellen zu behandeln seien, die zu (parteipolitischer und weltanschaulicher) Neutralität verpflichtet sein können. Denn freie Träger sind selbst Träger von Grundrechten, die auch und gerade der Staat ihnen garantieren muss. Sie sind z. B. in ihrer politischen Öffentlichkeitsarbeit durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt und müssen hierbei keinem abstrakten Neutralitätsgebot gerecht werden. Die Auseinandersetzung mit Programm und Handeln von Parteien im Rahmen von Bildungsarbeit oder Öffentlichkeitsarbeit ist aber zulässig, wenn sich hierfür Gründe in Menschenrechtsabkommen, im Grundgesetz, im Jugendschutz, Satzungen oder z. B. im Beutelsbacher Konsens finden lassen und wenn die Kritik sachlich und nachvollziehbar geäußert wird. Menschen und Parteien, deren politische Programmatik den Zielen und Grundsätzen einer Veranstaltung oder eines Förderprogramms widerspricht, können von geförderten Veranstaltungen ausgeschlossen werden.
In der sich anschließenden Workshopphase beantwortete Hufen weitere Fragen. Er konkretisierte seine Ausführungen und machte deutlich, dass immer der Einzelfall mit den von ihm dargelegten Maßstäben beurteilt werden muss.
Im zweiten Workshop ging es um die Frage, wie Mitarbeiter:innen von öffentlichen Verwaltungen auf AfD-Anfragen reagieren können. In einem Input arbeitete Ansgar Drücker Strategien heraus, mit denen die AfD Verbände, Vereine und Projekte diskreditiert, z. B. mit dem Vorwurf des „Linksextremismus“. Außerdem hielt er ein gegenseitiges Verständnis für die Perspektiven der Zuwendungsempfänger:innen und der Verwaltung für sinnvoll. Ein wichtiges Ergebnis der anschließenden Workshopphase war, dass die Rolle der Verwaltung vor allem in einer fachlichen Argumentation bzw. Auseinandersetzung mit Anträgen, Angriffen usw. der AfD gesehen wird. Diese Konzentration auf die fachliche und Sachebene nimmt die Verwaltung aus der Schusslinie und stellt ihre Positionierung in einen fachlichen statt in einen politischen Kontext. Ein Ausschluss von AfD-nahen oder gegen eine offene Gesellschaft stehenden Trägern von Zuwendungen in Bereichen wie Internationale Jugendarbeit oder Demokratieförderung kann mit der fehlenden Gewähr begründet werden, dass sich die potenziellen Antragsteller für die Ziele des jeweiligen Förderprogramms einsetzen wollen oder sie überhaupt nur mittragen können.
Angelika Ribler (Landessportbund Hessen) setzte in ihrem Workshop die Tetralemma-Methode ein, um den Umgang der Teilnehmer:innen mit Personen im eigenen Verband zu klären, die mit der AfD sympathisieren, sie wählen oder Funktionen für die Partei übernehmen.
Björn Bertram berichtete im Workshop 4 über seine Erfahrungen mit der AfD in der jugendpolitischen Praxis in Niedersachsen. Dies betraf vor allem die Fragen, wie mit Einladungen Dritter umgegangen wird, zu denen auch die AfD eingeladen ist, und das unangemeldete Erscheinen von AfD-Funktionär:innen zu eigenen Veranstaltungen. In der ersten Frage gibt es im Landesjugendring unterschiedliche Positionen. Was die zweite Frage angehe, sei Wachsamkeit angebracht. Auch der Stadtjugendring Hannover bestätigte, dass es wichtig sei, das Jugendringe sich darüber austauschen, welche Einladungen sie annehmen und wen sie zu ihren Veranstaltungen einladen und wen nicht. Des Weiteren berichtete der Stadtjugendring aus seinen Erfahrungen mit einem AfD-Vertreter im Jugendhilfeausschuss. Dieser habe sich zunächst zurückgehalten, aber gegen alle Vorschläge gestimmt, habe sich dann vereinzelt geäußert und Fragen gestellt, und sich schließlich positioniert und sich an Diskussionen beteiligt. Der Erfahrungsaustausch und die Diskussion ergaben schließlich, dass es wertvoll ist, in Jugendverbänden und -ringen über die eigenen Positionen zu diskutieren und daran zu arbeiten, die eigene Haltung wirkungsvoll zu vertreten, um einer Normalisierung menschenverachtender Positionen zu begegnen.
Am Nachmittag setzte der Politikwissenschaftler und Kommunikationsberater Robert Pietsch den Fachtag mit einem Input zum politischen Framing der AfD fort. Er erläuterte die Funktionsweise von Framing und neurechte Diskurs- und Diskussionsstrategien, mit denen versucht wird, öffentliche Debatten gezielt nach rechts zu verschieben. In einem dritten Schritt gab er nach Zielgruppen differenzierte Empfehlungen für die argumentative Auseinandersetzung mit nationalautoritär argumentierenden Menschen. Dabei, so seine Botschaft, ist es essenziell zu reflektieren, ob die eigenen Begriffe das eigene Weltbild konsistent abbilden und auf keinen Fall die Begriffe der AfD oder anderer extrem rechter Akteur:innen zu nutzen, weil diese auf einem Weltbild fußen, das nicht mit den Menschenrechten vereinbar sei.
Paulina Fröhlich, Politikwissenschaftlerin beim Progressiven Zentrum Berlin, analysierte zunächst, wie die AfD Emotionen in ihrer Kommunikation einsetze: Diese sei besonders durch Wut, Angst und Empörung auf der einen sowie Stolz bspw. auf Deutschland oder auf das Fahren eines Dieselautos gekennzeichnet. Im zweiten Teil ihres Inputs gab sie Einblicke in die Arbeit der Initiative „Kleiner 5“ und gab Beispiele für Möglichkeiten, die eigenen menschenfreundlichen Botschaften und Werte kreativ und öffentlichkeitswirksam zu vermitteln. Diese finden sich auf der Webseite kleinerfuenf.de.
Wie Klaus Bechtold in seinem abschließenden Tagungsfazit festhielt, bestehen beim Umgang mit extrem rechtem Populismus oder Mitgliedern im eigenen Verband wichtige Herausforderungen: Professionalisierung, Rationalisierung, Unterstützung durch Beratung, rechtliche Klärungen und Verständigung auf die eigenen Werte und die eigene Identität der jeweiligen Organisation. Dennoch gibt es in den Jugendverbänden im Großen und Ganzen weder Angst noch Panik vor dem der AfD, aber es werden Schwachstellen und Verletzbarkeiten deutlich. Erfahrungen, Qualifizierung und Strategiebildung können die Jugendverbände stärken. Auch wird die Auseinandersetzung Zeit und Energie kosten, aber es gibt Grund zum Optimismus.
Jugendverbände sind längst nicht mehr nur in der beobachtenden Rolle, wenn es um die Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus geht – wenn sie es denn je waren. Sie sind nicht nur intern mit Einstellungen konfrontiert, die durch extrem rechten Populismus befeuert werden. Inzwischen sind sie vielmehr auch Ziel von politischen Angriffen, von parlamentarischen Anfragen und von Anträgen in den Parlamenten auf allen Ebenen. Es lassen sich Muster, Wiederholungen, Schwerpunktthemen und kommunikative Strategien erkennen. Daher lohnt sich ein Austausch über die bisherigen Erfahrungen im Umgang mit rechtspopulistischen Angriffen auf die Jugend(verbands)arbeit, zu dem IDA e. V. Multiplikator:innen aus der Jugend(verbands)arbeit nach Frankfurt am Main eingeladen hatte. In einem einführenden Vortrag stellte Ansgar Drücker (IDA e. V.) zunächst Beispiele vor, die zeigen, wie die AfD Jugendverbände auf parlamentarischem Wege regelmäßig angreift. Anschließend systematisierte Sebastian Seng die argumentativen Muster in den AfD-Anfragen, die die Jugendverbandsarbeit betreffen, sei es durch direkte Anfragen — in der bspw. die Förderung und Gemeinnützigkeit eines Jugendrings in Frage gestellt wird, weil die AfD nicht zu einer Veranstaltung eingeladen wurde oder ein DITIB-Landesjugendverband Mitglied des Rings ist — oder durch Anfragen zu Tätigkeitsfeldern der Jugendverbandsarbeit, wie z. B. der Demokratieförderung. Deutlich wurde dabei, dass sich Jugendverbände auf diffamierende Anfragen und Angriffe vorbereiten sollten, da früher oder später jeder Verband direkt oder indirekt betroffen sein dürfte. Da die Ministerialverwaltung für die Beantwortung von Anfragen zuständig ist und es von der Haltung der jeweiligen Landesregierung abhängt, ob sie sich in ihren Antworten vor die Unabhängigkeit der Jugendverbände stellt, dürfte es in Zukunft für Jugendverbände wesentlich sein, stärker für ihre Arbeit und ihren Wert für eine plurale Gesellschaft zu werben als auch ihre Eigenständigkeit zu erläutern. Gute Kontakte zu Verwaltung, Politik und Journalist:innen sowie die Pflege dieser Kontakte dürften also in Zukunft unerlässlich sein. In seiner abschließenden Tagungsbeobachtung trug Klaus Bechtold, Grundsatzreferent beim Hessischen Jugendring, zentrale Ergebnisse der Vorträge, Workshops und Diskussionen zusammen. Er beleuchtete die von der AfD zunehmend gespielte Anforderung einer vermeintlichen Neutralität an freie Träger — angesichts ihrer eigenen Positionierung ein eher absurder Gedanke, der sich aber trotzdem zunehmend Bahn auch in Verwaltungen und Ministerien bricht. Spaltungsversuche in gute und schlechte Jugendarbeit und pauschale Vorwürfe von „Linksextremismus“ sind weitere sich wiederholende Strategien der AfD in den Bundesländern. Als wichtigste der während des Fachtags gesammelten Gegenstrategien benannte Klaus Bechtold die Orientierung der eigenen Arbeit und Argumentation an den Menschenrechten, die Reflexion der eigenen Wortwahl, eine solide Recherche und Analyse, insbesondere bei Veröffentlichungen, die Entwicklung von Grundsätzen und Positionen, die weitestmögliche Anonymisierung persönlicher Daten, die Erstellung von Gegengutachten und Stellungnahmen sowie eine Bezugnahme auf das Grundgesetz und das SGB VIII bei der Begründung jugendverbandlicher Werte, Arbeitsweisen und Positionen. Dabei sollten sich die Akteur:innen aber auch immer wieder selbstkritisch fragen: „Wo werde ich vorsichtig?“ Auch sollten die Arbeitsbelastung für die Auseinandersetzung mit Anfragen oder Anträgen aus dem politischen Raum, die sich aus der gesellschaftlichen Polarisierung zunehmend ergeben können, nicht unterschätzt werden. Sein Abschlussfazit lautete nicht darauf zu setzen die AfD entzaubern zu können, nicht mit Entsetzen und Betroffenheit auf die AfD zu reagieren und keine Kooperation mit ihr einzugehen. Für die weitere Beschäftigung mit der AfD regte er abschließend an, sich stärker über die Rolle auszutauschen, die Emotionen im extrem rechten Populismus spielen, und Umgangsmöglichkeiten zu diskutieren.
Die Jugendverbände haben keinen Grund, bei der Arbeit gegen Rechtspopulismus und die von ihm vermittelten diskriminierenden Einstellungen zu verzagen. Denn durch ihre jugendgerechte Bildungs- und Menschenrechtsarbeit leisten sie täglich ihren Beitrag dafür, dass Jugendliche selbstbestimmt ihre Stimme in demokratischen Prozessen erheben können. Um ihre Botschaften zu verbreiten, müssen Jugendverbände ihre Kommunikation über Soziale Medien allerdings professionalisieren. Nur so lässt sich ein Gegengewicht zu neurechten und rechtspopulistischen Netzangeboten aufbauen, deren Macher:innen das Internet bislang wesentlich erfolgreicher nutzen als die meisten anderen. Vielfach mangelt es an Öffentlichkeitsarbeit, die das bereits vorhandene vielfältige Engagement der Jugendverbände über Verbandsgrenzen hinweg bekannt macht. So kann ein Fazit des Fachtags lauten, zu dem auf Einladung von IDA am 29. Juni 2017 etwa 50 Menschen aus den verschiedensten Kontexten der Jugendverbandsarbeit nach Frankfurt am Main gekommen waren.
Gleich zu Beginn wurde am Beispiel der „Alternative für Deutschland“ (AfD) deutlich, dass rechtspopulistische Programmatik und Argumentationen sich durch einen verdinglichten Wir-Die-Gegensatz und eine Tendenz zu Verschwörungsdenken auszeichnen. Bei der Beschreibung des Phänomens sollte es weniger um die Frage gehen, ob z. B. eine Partei als rechtsextrem oder rechtspopulistisch zu bezeichnen sei, sondern darum konkret zu benennen, ob Aussagen bspw. völkisch, rassistisch, sexistisch oder Ähnliches seien. Gleichzeitig hilft es, sich deutlich zu machen, dass die AfD ein Scheinriese ist, da sich bspw. in der Geflüchtetenhilfe sehr viel mehr Menschen engagieren. Die AfD ist also eine laute Minderheit, so ließe sich behaupten. In den Workshops sprachen die Teilnehmer:innen zahlreiche Fragen an: Wie kann eine Gesprächsatmosphäre geschaffen werden, in denen diskriminierende Positionen zwar klar abgelehnt werden, aber dennoch Menschen mit berechtigten Sorgen gehört werden? Wie kann mit der verbandsinternen Heterogenität im Verständnis von Grundfragen umgegangen werden, wenn dies auch Auswirkungen auf die Positionen im Umgang mit der AfD hat? Wie können Dachverbände mit einer Vielfalt von Verbänden und Grundwerten zu gemeinsamen Positionen gelangen? Sollten Verbände eher formulieren, wofür sie stehen, oder ist es wichtig, auch klar und deutlich zu benennen, wogegen sie stehen? Lautet die Kernfrage tatsächlich, mit der AfD zu reden oder nicht, oder geht es vielmehr darum, die Rollen so zu verteilen, dass diejenigen die reden wollen, dies auch tun können, also unterschiedliche Strategien für unterschiedliche Situationen zu entwerfen? Was ist zu tun, wenn nicht nur einige unserer Mitglieder, sondern auch Funktionär:innen diskriminierenden Positionen rechtspopulistischer Akteur:innen tragen? Die Referent:innen und Teilnehmer:innen zahlreiche Antworten auf diese Fragen zusammen. Bspw. helfen klare Positionierungen der Beschlussgremien gegen Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Rassismus den Ehrenamtlichen und stärken ihnen den Rücken. Schulungen ermöglichen das Erkennen verschiedener Diskriminierungsformen und geben den Ehrenamtlichen Argumente an die Hand. All das muss jedoch an das Selbstverständnis des Verbands und seine Grundwerte rückgebunden werden, um in der Verbandspraxis zu wirken. Dazu gehört auch ein engagiertes Streiten über die Grundwerte und die Grenzen des Sagbaren im eigenen Verband.
Wenn es um Zielgruppen von Gegenstrategien geht, können sich bspw. Reaktionen auf parlamentarische Initiativen der AfD, die Jugendverbände angreifen und als „linksextremistisch“ zu diskreditieren versuchen, auf die externe oder interne Öffentlichkeit oder auf Abgeordnete oder Verwaltungen beziehen, um sie für Gegenreaktionen im Parlament mit Argumenten zu stärken. Jugendverbände sind dann stark, wenn sie mit einer gemeinsamen Stimme sprechen. Der AfD liegt wenig an Kindern und Jugendlichen als selbstbestimmten Akteur:innen, die sich mit Forderungen aktiv in die Politik einbringen und sich für Menschenrechte einsetzen. Insofern gefährdet die Partei eines der Fundamente der Jugendverbandsarbeit, ihren Pluralismus. Sich aber in der Auseinandersetzung die eigene Sprache nicht nehmen zu lassen, die Sprache der AfD nicht zu wiederholen und gleichzeitig entwendete und diskreditierte Begriffe wieder positiv zu besetzen, ist eine wichtige Anforderung, da sonst die Deutungen der Rechtspopulist:innen gestärkt werden. Der medialen Themen- und Deutungsverengung durch die AfD können Jugendverbände entgegentreten, indem sie aktiv vielfältige eigene Themen wie bspw. Bildung, Welthandel, Klimawandel usw. setzen, die Auseinandersetzung mit ihnen fördern und Deutungen vermitteln, die ohne Ausgrenzung auskommen.