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Muslimische Jugendarbeit in Deutschland

Wichtige Organisationen der Muslimischen Jugendarbeit sowie aktuelle Entwicklungen und Kontroversen

Muslimische Jugendarbeit findet in muslimischen Jugendverbänden und Jugendgruppen sowie in Moscheegemeinden statt. Ihr Grad der Eigenständigkeit und das Maß der Selbstbestimmung sind unterschiedlich – es ist aber eine Tendenz zur Gründung oder Stärkung eigenständiger Jugendverbände oder Jugendgruppen mit unterschiedlich enger Anbindung an Moscheegemeinden oder muslimische Dachverbände erkennbar. Muslimische Jugendarbeit ist heterogen organisiert – ein Dachverband besteht bisher nicht.

Jugendarbeit für junge Muslim:innen findet über muslimisch geprägte Organisationen hinaus natürlich an vielen Orten der offenen Jugendarbeit und in Jugendverbänden oder auch in Projekten verschiedenster Träger statt. Eine interkulturelle oder rassismuskritische Öffnung der etablierten Jugendverbände wird jedoch in diesem Überblick nicht behandelt (vgl. dazu etwa die beiden Reader des IDA zu Rassismuskritische Öffnung und Rassismuskritische Öffnung II).

Wer engagiert sich in der muslimischen Jugendarbeit?

Die muslimische Jugendarbeit umfasst nicht nur junge Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte, sondern auch zum Islam Konvertierte aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft oder junge Menschen, deren Familien schon seit vielen Generationen in Deutschland leben und die ggf. keinen oder kaum noch Bezug zu Herkunftsländern früherer Generationen haben. Eine zunehmende Anzahl junger Muslim:innen, die sich in der muslimischen Jugendarbeit engagieren oder ihre Angebote nutzen, verfügen über die deutsche Staatsangehörigkeit.

Da viele junge Muslim:innen Erfahrungen von (antimuslimischem) Rassismus machen oder Diskriminierungen erleben, ist auch diese Problematik in der muslimischen Jugendarbeit präsent, die somit häufig auch als Schutzraum, als Ort des Empowerments oder Setting, in dem vieles selbstverständlich ist und nicht dauernd erklärt werden muss, erlebt wird.

Einen Sonderfall bildet die Alevitische Jugendarbeit (Bsp.: der Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland), die gelegentlich unter muslimischer Jugendarbeit subsumiert wird. Unter den Teilnehmer:innen der (Jungen) Islamkonferenz finden sich deshalb häufig auch junge Alevit:innen. Aufgrund des Selbstverständnisses der meisten jungen Alevit:innen und des Bundes der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ) erscheint jedoch eine Darstellung als eigene Religionsgemeinschaft außerhalb des Islams angemessen.

Muslimische Jugendarbeit auf Bundesebene

Im Gegensatz zur evangelischen Jugendarbeit (mit der aej) und zur katholischen Jugendarbeit (mit dem BDKJ) gibt es bisher keinen Dachverband für die muslimische Jugendarbeit, der diesen Bereich jugendpolitisch vertritt und beispielsweise auf Bundesebene auch als Partner des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fungiert.

Dies liegt nicht nur an der Einwanderungsgeschichte vieler muslimischer Familien in Deutschland, die nicht auf vorhandene und über Jahrzehnte oder Jahrhunderte gewachsene Verbandsstrukturen und Institutionen zurückgreifen können, sondern auch an der inneren Organisation des Islams in Deutschland. Zwar gibt es Organisationen, die vom Namen her den Anspruch eines Dachverbands signalisieren, wie etwa den Zentralrat der Muslime, doch auch er vertritt nur einen Bruchteil der Moscheegemeinden in Deutschland. Zudem gibt es in mehreren großen Moscheeverbänden eine Orientierung an der Familienherkunft der Mitglieder. So ist etwa die DITIB eng an die türkische Religionsbehörde angebunden und weisen auch weitere muslimische Verbände eine Orientierung an den türkischen Wurzeln ihrer Mitglieder. Somit ist die sprachliche, kulturelle oder ethnische Herkunft der Muslim:innen in Deutschland häufig eine wichtiger Faktor für die Mitglieder von Muslim:innen in Moscheegemeinden oder muslimischen Verbänden, wenn sich auch hier die Orientierungen zunehmend diversifizieren. Dies führt dazu, dass viele junge Muslim:innen über ihre Familien ihre Kindheit und Jugend in einer bestimmten Moscheegemeinde verbringen und so häufig über die religiöse Unterweisung oder die Jugendarbeit in die Gemeinde hineinwachsen. Zunehmend entscheiden sich junge Muslim:innen aber auch im Jugendalter selbstbestimmt für andere Mitgliedschaften oder Vereinigungen.

Im Rahmen eines aus dem Bundesprogramm "Demokratie leben!" geförderten Modellprojekts „gemeinsam starkgemacht – für eine vielfältige und demokratische Jugend“ wird derzeit der Aufbau eines Bündnisses für muslimische Jugendarbeit begleitet und unterstützt, und zwar durch den Projektträger RAA mit Sitz in Berlin und weitere Kooperationspartner. Das Netzwerk umfasst zurzeit 14 Selbstorganisationen muslimischer Jugendlicher und baut auf die Erfahrungen des Vorgängerprojekts „Extrem demokratisch – muslimische Jugendarbeit stärken“ auf. Das Projekt soll nicht nur die Selbstorganisation stärken, sondern auch ihre Verknüpfung mit vorhandenen Strukturen der Jugendverbandsarbeit unterstützen. Zusätzlich sollen Qualitätsstandards für die muslimische Jugendarbeit entwickelt werden.

Weitere Informationen finden sich auf der Projekt-Website unter https://www.jugendarbeit-staerken.de/buendnis-muslimische-jugendarbeit/. Hier findet sich auch das folgende Leitbild, das die mitwirkenden muslimischen Jugendorganisationen sich gemeinsam gegeben haben:

Leitbild

Unter Wahrung der Eigenheit der einzelnen Akteure sollen gemeinsame Themen und Bedarfe ermittelt werden, um diese mit gebündelter Stimme zu vertreten bzw. umzusetzen. Das Bündnis will damit dazu beitragen, Jugendarbeit in muslimischen Organisationen insgesamt zu professionalisieren, sichtbarer zu machen und zu mehr Anerkennung und Ressourcen zu verhelfen. Das Bündnis versteht sich als ein Netzwerk, das offen ist für alle Akteur*innen der Jugendarbeit, die sich selbst als muslimisch verstehen und mit ihrer Jugendarbeit bundesweit über Landesgrenzen hinweg wirken wollen.

Die Förderung der muslimischen Jugendarbeit ist zudem ausdrücklich Teil des von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmenkatalogs des Kabinettausschusses gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Die Aktivitäten für diesen Aufgabenbereich werden im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend koordiniert, das zunächst für die Haushaltsjahre 2021 und 2022 zusätzliche Mittel aus dem Topf zur Umsetzung des Maßnahmenkatalogs bewirtschaftet.

Gelegentlich wird nach der Zahl der muslimischen Jugendlichen oder nach dem Potenzial für muslimische Jugendarbeit gefragt. Es ist schwierig die Gruppe der muslimischen Jugendlichen zahlenmäßig zu erfassen, da viele Menschen aus muslimischen Familien nicht Mitglied einer Moscheegemeinde oder sonstigen islamischen Vereinigung sind, ggf. ihre familiäre Religion gar nicht praktizieren, aber dennoch aufgrund ihrer familiären Bezüge zu einem islamisch geprägten Land häufig als Muslim:innen gezählt werden. Insofern ist schon die Gesamtzahl der Muslim:innen in Deutschland schwer zu schätzen und es gibt kaum verlässlich und stark voneinander abweichende Schätzungen. Gerade bei jungen Menschen kommt hinzu, dass sie sich häufig auch von den religiösen Praktiken der Familie abwenden, sich anders orientieren oder sich beispielsweise als Atheist:innen identifizieren – ggf. mit oder ohne Outing gegenüber der eigenen Herkunftsfamilie.