Kritisches Weißsein (engl. Critical Whiteness) bezeichnet den kritischen Blick auf Weißsein als soziale Kategorie. Im Gegensatz zu anderen Rassismusanalysen, die BIPoC* als „Opfer“ im Blick haben, werden die Auswirkungen von Rassismus auf die Sozialisation und Psyche weißpositionierter Menschen betrachtet. Auch wenn klar ist, dass es keine „Rassen“ gibt, sind rassifizierte Kategorisierungen eine soziale Realität.
Während BIPoC* strukturell ethnisiert und als anders markiert werden, wird der Gegenentwurf, der diese rassistischen Konstruktionen erst möglich macht – das Weißsein – strukturell ausgeblendet und mit ihm alle weißen Privilegien und Ungleichheiten, die damit einhergehen. Bspw. finden sich schon im Kindesalter weißeMenschen selbstverständlich in Büchern, Filmen und Liedern repräsentiert, während z.B. Schwarze Menschen kaum als selbstverständlich Anwesende auftauchen. Dadurch bleibt Weißsein Norm und Normalität und es gelingt nicht, die rassistischen Machtstrukturen zu erkennen und zu hinterfragen.
Von Schwarzen Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen in den USA und später in Europa erkämpft, hat sich diese Sichtweise auch im wissenschaftlichen Kontext etabliert: Die Critical Whiteness Studies (Kritische Weißseinsforschung) sind inzwischen auch an deutschen Universitäten vertreten und bilden mit ihrer Perspektive bspw. einen integralen Bestandteil der Migrationspädagogik.
KritischesWeißsein muss jedoch Antisemitismuskritik beinhalten, u.a. weil Weißsein in Deutschland mit christlicher Sozialisation verbunden ist und Juden:Jüdinnen aufgrund ihrer vergangenen und gegenwärtigen Verfolgungserfahrungen aus der weiß-deutschen Norm ausgeschlossen sind.
Kritiker:innen des Ansatzes der Critical Whiteness warnen davor, dass durch die Anwendung des Schemas von Schwarz und weiß neue Essentialisierungen und Homogenisierungen entstehen können. Von konservativen bis rechtsextremen, aber auch anderen Akteur:innen wird diese Kritik genutzt, um den Ansatz in Gänze als ungeeignet und rein ideologisch motiviert zu diskreditieren. Eine weitere Kritik wird auf Basis einer an Karl Marx orientierten materialistischen Kapitalismuskritik geäußert (siehe Kapitalismus). Deren Vertreter:innen bemängeln, dass Fragen der Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur und der Verteilung von Arbeit und Reichtum zugunsten von Identitätsfragen und Selbstreflexion ausgeblendet würden.
Siehe auch Postkolonialismus, Rassismus, Weiße Zerbrechlichkeit und White Passing