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Kolonialismus

Unter Kolonialismus im modernen Sinn wird ein Herrschaftsverhältnis verstanden, in dem auswärtige Kolonisierende ganze Gesellschaften fremdbestimmen und ihren Bedürfnissen und Interessen unterwerfen. Die Kolonisierenden bilden meistens eine Minderheit und unterscheiden sich kulturell von den Kolonisierten. Sie weigern sich nicht nur, kulturelle Praktiken der kolonisierten Bevölkerung anzunehmen, sondern erwarten vielmehr, dass die Kolonisierten ihre Werte und Gepflogenheiten übernehmen, da sie sich und ihre Lebensweise für höherwertig halten. Zum Kolonialismus gehört deshalb die Überzeugung der Kolonisierenden, dass ihre Herrschaft durch einen höheren Auftrag - eine Sendungsmission - gerechtfertigt ist. Die Herrschaft wurde entweder übernommen, indem die Kolonisierenden die wichtigsten Ämter mit Beamten der Kolonialmacht besetzten (direkte Herrschaft) oder indem sie die Verwaltung traditionellen Eliten überließen, die mit der Kolonialmacht kooperierten (indirekte Herrschaft).

Die Hochzeit des modernen Kolonialismus lag zwischen dem 15. und dem 20. Jahrhundert, als v.a. europäische (und später auch weiße US-amerikanische) Menschen begannen, Afrika, Australien, Teile Asiens und Amerika politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell zu unterwerfen. Dabei enteigneten, unterwarfen, unterdrückten, verschleppten, vergewaltigten, versklavten und töteten sie die lokale Bevölkerung. Sie legitimierten dies mit einer rassistischen Ideologie, die ihre angebliche biologische, zivilisatorische und religiöse Überlegenheit behauptete. Aufgrund dieser Überzeugungen wurden das Wissen und die kulturellen Praktiken der Kolonisierten geringgeschätzt und teilweise ausgelöscht (siehe Epistemische Gewalt, Epistemizid und Kulturimperialismus). 

In der Kolonialismusforschung werden drei Formen von Kolonien unterschieden. In Beherrschungskolonienwurde eine relativ geringe Anzahl von Bürokraten, Soldaten und Geschäftsleuten eingesetzt, um die Kolonie wirtschaftlich auszubeuten und die Herrschaft abzusichern. Ein Beispiel hierfür ist Britisch-Indien. Stützpunktkolonien entstanden an Küsten durch Seeflotten. Sie sollten das Hinterland für den Handel erschließen, die Herrschaft auf See absichern und formal selbstständige Staaten kontrollieren. Beispiele sind Hongkong und Singapur. In Siedlungskolonien beuteten dauerhaft ansässige Farmer:innen und Plantagenbesitzer:innen billige Arbeitskräfte, wie Leibeigene, Zwangsarbeiter:innen oder versklavte Menschen, aus, um billiges oder enteignetes Land zu bebauen und zu besiedeln. Die kolonisierte Bevölkerung wurde dabei entweder verdrängt und vernichtet oder als billige Arbeitskraft vernutzt. Beispiele für Siedlerkolonien sind die USA, Neuseeland, Australien oder Kanada. In israelfeindlichen Aussagen wird oft behauptet, dass Israel eine Kolonie weißer europäischer Siedler:innen und der Zionismus siedlerkolonialistisch sei. Solche Behauptungen ignorieren die tatsächlichen Entstehungsbedingungen sowohl des Zionismus als auch Israels, um Israel zu dämonisieren und seine Existenz zu bestreiten. Dabei handelt es sich um israelbezogenen Antisemitismus.

Auch das Deutsche Kaiserreich hatte bis 1919 mehrere Kolonien in Afrika, Asien und Ozeanien. Bis in die 1970er Jahre hinein weigerten sich europäische Regierungen, den kolonisierten Gebieten ihre Unabhängigkeit zuzugestehen. Die Folgen des Kolonialismus sind noch heute spürbar – sowohl in den kolonisierten als auch ehemals kolonisierenden Gesellschaften (siehe Postkolonialismus).