Passing bedeutet, anders wahrgenommen zu werden als die eigene Selbstpositionierung ist. Im Falle des White Passing werden BIPoC* in bestimmten Kontexten als weiß gelesen (engl. White appearing oder White presenting), machen aber gleichzeitig in anderen Kontexten Rassismuserfahrungen. Menschen, denen White Passing „gelingt”, sind also nicht zwangsläufig geschützt vor Rassismus, auch wenn bestimmte Situationen individuell vielleicht vermieden werden können und die Erfahrung, weiß gelesen zu werden, mit vermeintlichen Privilegien einhergeht. Sie entsprechen nicht dem vorherrschenden Bedürfnis nach einer eindeutigen Einteilung und Hierarchisierung und sind deswegen (zusätzlich) anderen Arten von Zuschreibung und Exklusion ausgesetzt, etwa wenn sie darauf hingewiesen werden, dass sie ja weder „richtig Schwarz“ noch „richtig weiß“ seien. So findet letztendlich ein doppeltes Othering statt: Das Gegenüber möchte bestimmen, wie sich die Person identifiziert.
Im Zusammenhang mit Antisemitismus kommt dem White Passing eine andere Bedeutung zu, weil manche es als Beleg verstehen, dass Juden:Jüdinnen weiß seien. Sie würden das weiße Privileg der Unsichtbarkeit genießen. Für weiß gelesene Juden:Jüdinnen ist dieses vermeintliche Weißsein aber an die Bedingung geknüpft, ihr Jüdischsein und damit einen wichtigen Teil der eigenen Identität verheimlichen zu müssen oder sich in ihrem Jüdischsein an die herrschende christliche Norm anpassen zu müssen, um möglichst in ihrem Jüdischsein nicht aufzufallen. Deswegen wird hier auch von Conditional Whiteness gesprochen. Unsichtbarkeit stellt für Juden:Jüdinnen also kein weißes Privileg dar, sondern eine Überlebensstrategie. Für die Existenz von BIPoC* Juden:Jüdinnen, für ihre Rassismuserfahrungen und für die Jahrtausende lange Verfolgungsgeschichte von Juden:Jüdinnen wird in der dargestellten Annahme somit kein Platz gelassen.
Siehe auch Selbstzuschreibung