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Glossar

Im Glossar erläutert IDA zentrale Begriffe aus seinen Arbeitsbereichen kurz und verständlich. Das Glossar wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Sie vermissen einen Begriff? Schreiben Sie uns einfach an Info(at)IDAeV.de.

Familialismus / Familismus

Der Begriff Familialismus (auch: Familismus) beschreibt der Soziologin Gisela Notz zufolge eine Ideologie, in deren Mittelpunkt ein eingeschränktes Bild von Familie steht. Familialismus ist dadurch gekennzeichnet, dass die heterosexuelle Kleinfamilie aus Kind(ern), Mutter und Vater als Ideal und Voraussetzung der Gesellschaft betrachtet wird. Dementsprechend wird sie in den Mittelpunkt politischer Maßnahmen gestellt und soll möglichst privilegiert und gefördert werden. Familien, die diesem Leitbild nicht entsprechen, oder Menschen, die keine Elternschaft anstreben (können), werden entsprechend marginalisiert oder sogar bekämpft. Mit Familialismus gehen häufig politische Forderungen einher, die Zusammensetzung der Bevölkerung in einer gewünschten Richtung zu beeinflussen. Insofern ist Familialismus häufig mit Rassismus, Klassismus, Sexismus und Antifeminismus verbunden. Frauen werden dann in der Rolle der Mutter und Hausfrau gesehen und gleichstellungspolitische Forderungen bekämpft.

Farbenignoranz

Wenn Personen behaupten, sie würden keine „Hautfarbe“ wahrnehmen und keine Unterschiede sehen, möchten sie damit versichern, dass diese in ihren Denkmustern und Verhaltensweisen scheinbar keine Rolle spielt. Dabei wird auf die Gleichheit aller und vermeintliche Chancengleichheit verwiesen, um sich persönlich von Rassismus freizusprechen. Solch ein farbenignoranter Rassismus wird noch häufig als „Farbenblindheit“ (engl. color blindness) oder „farbenblinder“ Rassismus bezeichnet, was jedoch eine ableistische Abwertung von Blindheit beinhaltet.

Der Ansatz, rassifizierte Unterschiede zu ignorieren, wird sehr kritisch diskutiert, da er tatsächlich nicht dazu führt, dass bestehender Rassismus reduziert wird. Stattdessen führt Farbenignoranz dazu, dass Rassismus als andauerndes Problem bestritten und zu einem Problem der Vergangenheit erklärt wird. Folglich verhindert Farbenignoranz, dass rassistische Strukturen und Denkmuster bekämpft werden. Bestehende Machtverhältnisse in Form von weißen Privilegien, Zugängen und Ressourcen für weiß-gelesene Menschen werden stattdessen mit positiven Eigenschaften der weißen Person begründet (z.B. hart arbeitend) und der Einfluss rassistischer Gesellschaftsstrukturen ausgeblendet. Mit dieser Aufwertung der weiß gelesenen Personen geht oft eine gleichzeitige Abwertung von BIPoC* einher, die auf Stereotypen, Vorurteilen und sonstigen ethnisierenden, kulturalisierenden bzw. rassistischen Erklärungen beruht (z.B. Faulheit). Die Berufung darauf, „Hautfarbe“ nicht zu sehen, kann zudem eine bewusste oder unbewusste Ablenkungsstrategie sein, wenn eine Person auf institutionellen, strukturellen Rassismus oder Alltagsrassismus aufmerksam gemacht wird. Die betreffende weiße Person nutzt mit einer farbignoranten Argumentation dann ihr Privileg, sich aussuchen zu können, ob sie sich mit Rassismus beschäftigt, und spricht überdies einem:r BIPoC* einen Teil ihrer Person und Lebensrealität ab.

Siehe auch Gaslighting, Sekundärer Rassismus und Weiße Zerbrechlichkeit (White Fragility)

Faschismus

Der Begriff Faschismus, abgeleitet vom italienischen „fascio (dt. Bündel), den Amtszeichen der Leibwachen im antiken Rom), beschreibt eine politische Bewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Italien entstand. Als Führer der Faschisten:innen galt Benito Mussolini. Er gründete 1919 die männerbündischen und paramilitärischen „fasci di combattimento“ (dt. Kampfbünde) und übernahm 1922 – nur kurz nach der Gründung der „Partito Nazionale Fascista“ (dt. National-faschistische Partei) – gewaltsam die Macht in Italien. Merkmale des italienischen Faschismus waren neben dem Führerkult (it. Duce) und dem absoluten Willen zur Macht eine nationalistische sowie antikommunistische, antidemokratische und antipluralistische Einstellung. Nach dem italienischen Vorbild entstanden innerhalb und außerhalb Europas faschistische Bewegungen.

Unter Faschismus können daher erstens alle Personen oder Organisationen verstanden werden, die sich selbst als faschistisch beschreiben oder sich auf ein historisches Vorbild berufen. Zweitens kann Faschismus aber auch als analytische Kategorie dienen, um objektiv bestehende Übereinstimmungen zwischen Personen oder Organisationen und faschistischen Vorbildern zu benennen. Drittens wurde und wird der Faschismus-Begriff auch als politischer Kampfbegriff polemisch übersteigert und entgrenzt verwendet. Z.B. war es in den 1960er Jahren in der radikalen Linken der Bundesrepublik üblich, auch Demokratien mit kapitalistischem Wirtschaftssystem als faschistisch zu denunzieren. Und auch die DDR setzte in ihrer Staatsideologie, dem Marxismus-Leninismus, Faschismus als Kampfbegriff ein.

Ein Vorteil des analytischen Faschismus-Begriffs ist, dass mit ihm einerseits verschiedene europäische Bewegungen miteinander verglichen werden können. Andererseits hat er aber auch einen Nachteil. Zwar diente der italienische Faschismus den deutschen Nationalsozialist:innen in vielerlei Hinsicht als Vorbild, dennoch unterscheiden sich Nationalsozialismus und Faschismus voneinander. Mit Faschismus sind nicht zwingend völkischerRassismus und Antisemitismus verbunden. Eine Gleichsetzung kann damit zu einer (auch unbeabsichtigten) Verharmlosung der besonderen rassistischen und antisemitischen Qualität des Nationalsozialismus beitragen. Heutige extrem rechte Bewegungen, die in Zielsetzung und Ideologie an die Epoche des Faschismus anknüpfen, werden gelegentlich unter dem strittigen Begriff Neofaschismus zusammengefasst. 

Siehe auch Gewalt, Nationalismus und Rechtsextremismus

Feminismus

Feminismus strebt nach einer Gesellschaft, in der Menschen aller Geschlechter auf allen Ebenen die gleichen Rechte, die gleiche Anerkennung und die gleichen Chancen haben. Er bezeichnet sowohl eine politische und soziale Theorie, die die gemachten Geschlechterdifferenzen und -ungerechtigkeiten in den Mittelpunkt stellt, als auch eine soziale Bewegung, die sich für die Gleichstellung von FLINTA* und gegen das Patriarchateinsetzt. Der Begriff Feminismus wurde im 19. Jahrhundert geprägt, als Frauen, die damals noch um das Wahlrecht und ihre Anerkennung als politische Subjekte kämpften, begannen, sich selbst als Feministinnen zu bezeichnen.

Der Feminismus kritisiert die cis-männliche Herrschaft und Privilegien, die strukturell in unserer Gesellschaft verankert sind. Er war und ist aber nie darauf aus, cis Männer zu unterdrücken oder zu beherrschen, sondern kämpft stets für die Gleichwertigkeit der Geschlechter, die vielerorts noch nicht erreicht ist. Heute wird der Begriff jedoch auch oft abwertend verwendet (siehe Antifeminismus), insbesondere wenn Frauen auf cis-männliche Privilegien und Vormachtstellungen hinweisen. Neben dem klassischen Feminismus gibt es auch Strömungen wie den Queerfeminismus, der die Perspektiven und Rechte von LGBTQIA* in den Fokus nimmt und damit die geschlechtliche, sexuelle und amouröse Vielfalt anerkennt und unterstützt.

Siehe auch Gender, Queer und Sexismus

Femizid

Der Begriff Femizid bzw. Feminizid wurde von Diana E. H. Russell, einer feministischen Aktivistin und Soziologin, 1976 das erste Mal öffentlich verwendet. Russell definierte Femizid als „[d]ie Tötung einer oder mehrerer Frauen durch einen oder mehrere Männer, weil sie Frauen sind“. Femizid ist eine extreme Form geschlechtsbezogener Gewalt. Femizide sind in einen Prozess eingebettet, der durch den Wunsch nach Kontrolle über Frauen motiviert und weniger eine (affektive) Reaktion auf ein Ereignis ist. Dies steht in Verbindung mit dem Willen sie zu töten, wenn sie versuchen, sich aus der Kontrolle zu lösen. Überwiegend werden Femizide durch cis-männliche Partner, Ex-Partner, Väter oder Brüder verübt. Für die Besitzansprüche gegenüber Frauen oder Mädchen, die durch Femizide zum Ausdruck kommen, sind patriarchale Sozialisation sowie die Ausübung und Aufrechterhaltung geschlechtsspezifischer Macht (Patriarchat) ausschlaggebende Punkte.

Siehe auch Gender, Misogynie, Sexismus und Toxische Männlichkeit

Femonationalismus

Der Begriff Femonationalismus wurde von Sara M. Farris geprägt. Er verweist auf die Vereinnahmung von Frauenrechten und feministischen Forderungen für eine rassistische (meist antimuslimische), nationalistische, sexistische und extrem rechte Agenda, wie dies z.B. im Anschluss an die Silvesternacht in Köln 2015/16 zu beobachten war. Feministinnen nimmt sie von dem Begriff aus, da sich ihre Begründungen von denen nationalistischer und konservativer Akteur:innen unterscheiden würden. Außerdem beschränkt Farris den Begriff ausdrücklich auf einen übersteigerten, chauvinistischen und völkischen Nationalismus.

Siehe auch Antifeminismus und Rechtsextremismus

Fetischismus

Fetischismus taucht häufig im sexuellen Kontext auf und bezeichnet eine sexuelle Fixierung auf bestimmte Objekte oder Körperteile. Der Begriff stammt sowohl vom portugiesischen Wort „feitiçio“ (dt. Zauber) als auch vom lateinischen Verb „facere“ (dt. machen). Im 19. Jahrhundert haben westliche Kolonisator:innen bestimmte Riten oder Objekte Indigener Völker, denen magische oder spirituelle Kräfte zugeschrieben wurden, als Fetische betrachtet. Der Begriff wurde zur Beschreibung angeblich irrationaler Objektbeziehungen verwendet und als Mittel, um nicht-westliche Gesellschaften abzuwerten und zu exotisieren. Diese Fetischisierung des Anderen diente dazu, koloniale Herrschaftsideologien zu rechtfertigen. Die Vorstellung, dass afrikanische und Indigene Völker an "primitive" Objekte glaubten, verstärkte die Wahrnehmung, dass sie der "zivilisierenden Mission" Europas bedurften (siehe Kolonialismus). Später wurde der Begriff jedoch weiterentwickelt, um sexuelle Fixierungen (z.B. auf einzelne Körperteile) zu beschreiben.

Je nachdem, welche ethnisierten oder rassifziertenZugehörigkeiten Menschen zugeschrieben werden, passiert die Fetischisierung auf unterschiedliche Weise. Auf Dating Plattformen beispielsweise kann es dazu kommen, dass arabisch gelesenen Männern und Schwarzen Männern bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden, die eine Beziehung mit ihnen besonders „spannend” für weiße machen. Auch in der modernen Pornoindustrie wird Fetischismus oft mit rassistischen Stereotypen verschränkt. So gibt es z.B. das Genre des „Interracial Porn”, bei dem Schwarze Menschen beim Sex mit weißen Darsteller:innen objektiviert werden. Dabei wird auf alte kolonialistische Bilder derprimitiven”, „hypersexuellen” und „triebgesteuerten” Anderen zurückgegriffen. Besonders Frauen of Color werden dabei zum Objekt sexueller Begierde von weißen Männern. Ebenso existieren auf Porno-Seiten eigene Suchkategorien für Black und Indigenous People.

Ein weiterer problematischer Aspekt des rassistischen Fetischismus ist die spezifische Fetischisierung im Kontext des Antiasiatischen Rassismus. Asiatisch markierte Frauen werden häufig als besonders „verfügbar“ und „unterwürfig“ inszeniert. Dies verstärkt ebenfalls tief verwurzelte koloniale stereotype Vorstellungen von asiatisch markierten Frauen als „gefügig“ oder „exotisch“. Die Verschmelzung von Fetischismus und rassistischenStereotypen trägt so dazu bei, die sozialen und sexualisierten Hierarchien zu zementieren und strukturell marginalisierte Gruppen weiter zu entwerten (Struktureller Rassismus).

FLINTA*/FINTA*

Das Akronym FLINTA* kommt aus dem Queerfeminismus und steht für Frauen und Lesben sowie inter*, nicht-binäre, trans* und agender Personen und Personen, die sich nicht mit den inkludierten Labels identifizieren aber auch nicht cis-männlich sind. Das Akronym versucht alle Geschlechtsidentitäten zu umfassen, die in der patriarchal strukturierten Gesellschaft diskriminiert werden. Das L für Lesben ist häufig inkludiert, da einige Lesben den Begriff nicht nur als Beschreibung ihrer sexuellen Orientierung, sondern auch für ihre Geschlechtsidentität nutzen. Eine Abwandlung in der Jugendarbeit ist MINTA*, darin wird Frauen durch Mädchen ersetzt.

Siehe auch Gender, Identität (individuelle), Queer, Trans* und Trans*feindlichkeit

Flucht

Unfreiwillige, erzwungene Migration wird Flucht genannt und fällt unter den Begriff Fluchtmigration. Er beschreibt die Migration von Menschen, die aufgrund von Krieg, Gewalt, Verfolgung oder anderen existenziellen Bedrohungen ihr Zuhause verlassen müssen. Binnenflucht bezeichnet dabei die Flucht innerhalb eines Landes. Die meisten geflohenen Menschen bleiben im Herkunfts- oder in den Nachbarländern. Nach internationalem Recht ist ein Flüchtling jemand, der aufgrund von staatlicher Verfolgung (etwa aufgrund der Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) sein:ihr Herkunftsland oder Aufenthaltsort verlassen musste oder von der Regierung des Herkunftslandes keinen Schutz bei Verfolgung erwarten kann. Diese eng gefasste Definition wird oft kritisiert, weil auch Menschen, die bspw. aufgrund von extremer Armut oder Umweltkatastrophen ihr Land verlassen müssen, fliehen. Diese Art der Flucht wird oft nicht anerkannt und etwa als „Wirtschaftsmigration“ verharmlost. Begrifflichkeiten in diesem Themenfeld werden häufig genutzt, um die Migration von Menschen zu (de)legitimieren. Während bspw. bei Migration u.a. aus wirtschaftlichen Gründen innerhalb der EU von „Mobilität“ gesprochen und dieser Umstand positiv konnotiert wird, wird Migration aus wirtschaftlichen Gründen in die EU häufig als „Wirtschaftsflucht“ betitelt und damit implizit als ungerechtfertigt dargestellt.

Siehe auch Asyl, Geflüchtete und Migrationsgesellschaft

Fremdenfeindlichkeit

Fremdenfeindlichkeit ist ein sozialpsychologisches Konzept und wird als Dimension Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit betrachtet. Es bezeichnet eine ablehnende Haltung und Verhaltensweise gegenüber Menschen, denen auf Basis von Merkmalen wie vermeintlicher Nationalität, Ethnizität, nicht-christlicher Religion bzw. Sozialisation oder nicht-weißer „Hautfarbe“ „Fremdheit“ zugeschrieben wird. Als „fremdenfeindlich“ wird außerdem gewertet, wenn Betroffene auf dieser Grundlage als bedrohlich wahrgenommen, benachteiligt, angefeindet oder tätlich angegriffen werden. 

Aus rassismuskritischer Perspektive wird der Begriff kritisiert und es wird stattdessen von Rassismusgesprochen. Denn zum einen markiert der Begriff unabhängig davon, ob es sich bei den betroffenen Personen um deutsche Staatsangehörige handelt oder nicht, diese als „fremd“ und wiederholt dadurch den Ausschluss. Zum anderen unterstellt der Begriff unter Ausblendung anderer Ebenen von Rassismus einen Vorrang der individuellen Einstellungsebene und eine Konzentration auf bewusste feindselige Handlungen.

Siehe auch Othering und Rassifizierung

Fremdzuschreibung

Eine Fremdzuschreibung ist die Zuweisung einer Eigenschaft, sozialen Position oder Zugehörigkeit beziehungsweise individuellen oder kollektiven Identität durch eine andere Person oder Gruppe. Zuschreibungen geschehen entlang von Kategorien wie Ethnizität, Nation, aber auch Gender und Klasse. Dabei können Fremdzuschreibungen diskriminieren, wenn die zugewiesene Zugehörigkeit mit Stereotypen und Vorurteilen verknüpft ist oder die Zuschreibung im Widerspruch zur Selbstidentifikation einer Person steht; jemand wird beispielsweise als männlich gelesen, obwohl die Person sich selbst als Frau positioniert; oder Personen werden aufgrund ihres Erscheinungsbildes migrantisiert, ohne eine Migrationsgeschichte zu haben. Die Zuschreibung einer (vermeintlichen) Ethnizität bezeichnet mensch als Ethnisierung. Wenn die Fremdzuschreibung keine ethnische, sondern eine kulturelle Grundlage hat, wird die Bezeichnung Kulturalisierung verwendet. Durch eine ständige Konfrontation mit Zuschreibungen (siehe auch: Othering) können diese verinnerlicht, ins Selbstbild integriert und damit zu Selbstzuschreibungen werden. Wird das eigene Selbstbild durch rassistische und diskriminierende Fremdzuschreibungen dominiert, spricht mensch vom doppelten Bewusstsein