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Glossar

Im Glossar erläutert IDA zentrale Begriffe aus seinen Arbeitsbereichen kurz und verständlich. Das Glossar wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Sie vermissen einen Begriff? Schreiben Sie uns einfach an Info(at)IDAeV.de.

Gadje-Rassismus

Gadjé-Rassismus ist ein Begriff, den Romani-Aktivist:innen und -Wissenschaftler:innen vorgeschlagen haben, um die Bezeichnung „Antiziganismus“ zu ersetzen. Er hat u.a. den Vorteil, dass er keine homogene Gruppe der von ihm Betroffenen unterstellt, sondern den Blick auf die Mehrheitsgesellschaft und die Funktionen lenkt, die Gadjé-Rassismus für sie erfüllt. (Gadjé bezeichnet im Romanes Nicht-Rom:nja, bedeutet aber auch Bauer, Mann, Mensch; Einzahl männlich: Gadjo, weiblich: Gadjé, Mehrzahl: Gadjé). Denn unter Gadjé-Rassismus ist eine historisch gewachsene Praxis zu verstehen, die von Nicht-Rom:nja ausgeht. Sie klassifizieren Menschen unter Bezugnahme einerseits auf phänotypische und kulturelle Merkmale (ethnisierende Definition) und/oder soziale Merkmale (soziale Definition), die als (so gut wie) unveränderlich verstanden werden, in eine unveränderlich gedachte Fremdgruppe, deren Angehörige dann mittels Fremdbezeichnungen wie „Zi.“, „Landfahrer“, „mobile ethnische Minderheit“, Zuschreibungen von wesenhaften und normabweichenden Eigenschaften und Verhalten homogenisiert und stigmatisiert werden. Zentrale Zuschreibungen des Gadjé-Rassismus an die Betroffenen sind: Nicht-Identität (die Betroffenen werden als Dritte dargestellt, die an keinem Ort zu Hause sind. Sie dienen als Anti-These zu Nationalität, Religion und Moral), Parasitentum (den Betroffenen wird unterstellt auf Kosten anderer zu leben) und Vormodernität (die Betroffenen werden als trieb- und naturhaft beschrieben, als unfähig zu Zivilisation, Vernunft und einer planvollen, zukunftsgerichteten Tätigkeit, also zum Überleben in einer modernen industriekapitalistischen Gesellschaft). Diese Zuschreibungen sind im kulturellen Gedächtnis der Gadjé verankert und treten häufig in romantisierender Form auf, indem sie das „sorglose“, „freie“ und „ungebundene“ Leben der Betroffenen verklären (siehe Exotisierung). Auf diese Weise verschleiern sie den abwertenden Gehalt romantisierender Zuschreibungen und den für die Situation der Betroffenen tatsächlich verantwortlichen Gadjé-Rassismus. Sie führen zu und rechtfertigen diskriminierende Praktiken der Gadjé auf interaktionaler, institutioneller und gesellschaftlich-kultureller Ebene, die u.a. Akte der Gewalt bis hin zur Vernichtung (siehe Porajmos) umfassen und die Lebenschancen der Betroffenen einschränken.

Siehe auch Antiromaismus, Ethnie, Identität (individuelle), Identität (kollektive), Rassismus, Sinti:zze und Rom:nja und Sprache

Gaslighting

Gaslighting ist ein Begriff aus der Psychologie und beschreibt eine Form der psychischen Gewalt, bei der jemand bewusst die Selbstwahrnehmung einer anderen Person manipuliert und sie verunsichert, mit der Folge, dass sie im Laufe der Zeit nicht mehr zwischen Wahrheit und Schein unterscheiden kann. Das kann beispielsweise durch Lügen, Verdrehungen von Aussagen oder Unterstellungen geschehen, bis die betroffene Person irgendwann an sich und ihrer Wahrnehmung der Realität zweifelt. Für die ausübende Person geht es oft darum den anderen Menschen von sich emotional abhängig zu machen oder ihr eigenes Selbstwertgefühl zu erhöhen, indem das des Anderen erniedrigt wird. 

In Bezug auf Rassismus wird von häufig von Gaslighting gesprochen, wenn weiße Menschen die Rassismuserfahrungen, Situationsbewertungen und Gefühle von BIPoC* nicht anerkennen, abwerten, in Frage stellen und die eigene Definition von rassistischen Situationen durchzusetzen (siehe Sekundärer Rassismus). Im politischen Kontext beschreibt der Begriff eine Strategie politischer Akteur:innen, offensichtliche Lügen als Wahrheit darzustellen, um von Kritik an der eigenen Person abzulenken oder den/die Gegner:innen zu diskreditieren. Dies kann in einer Täter-Opfer-Umkehr resultieren.

Geflüchtete

Der Begriff Geflüchtete:r wird oft als rassismuskritische Alternative oder Synonym für „Flüchtling“ (siehe Asyl) verwendet, um den verniedlichenden und pejorativen (abwertenden) Charakter der Endung -ling im Deutschen zu vermeiden, wie sie in Wörtern wie Lehrling, Günstling oder Schützling auftritt. Mit dem Begriff soll deutlich gemacht werden, dass die Flucht eine Erfahrung der Person ist, aber keinen umfassenden Personenstatus begründet, wie das Wort „Flüchtling“ suggeriert. Daher wird der Begriff sehr häufig als Adjektiv benutzt, z.B. geflüchtete Person oder geflüchteter Jugendlicher.

Gleichzeitig geht er aber über die juristische Kategorie „Flüchtling“ hinaus und schließt damit auch Menschen ein, die ihr Herkunftsland verlassen mussten, aber keinen offiziellen Flüchtlingsstatus besitzen. Zudem betont der Begriff, dass die Flucht bereits abgeschlossen ist und legt einen stärkeren Fokus auf das Verlassen des Herkunftslandes. Wenn Geflüchtete:r als Substantiv genutzt wird, bleibt am Begriff Geflüchtete:r wie im Fall von „Flüchtling“ die hauptsächliche Nutzung als Fremdzuschreibung und die Reduzierung von Menschen auf ein biografisches Ereignis fraglich.

Siehe auch Asyl, Migration und Sprache

Gender

Der aus dem Englischen stammende Begriff beschreibt das soziale Geschlecht und die individuelle Geschlechtsidentität. In Abgrenzung zur körperlichen Geschlechtlichkeit (engl. sex) sind mit sozialem Geschlecht die gesellschaftlich, sozial und kulturell hergestellten Geschlechterrollen von Frauen und Männern sowie die gesellschaftlich dominanten Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit gemeint. Betont wird damit, dass Vorstellungen über „typisch weibliche“ oder „typisch männliche“ Aufgaben und Rollen nicht naturgegeben sind, sondern auf kulturellen Traditionen und gesellschaftlichen Konventionen beruhen. Gleichzeitig sind soziales Geschlecht und biologische Merkmale eng miteinander verflochten: Einerseits formen gesellschaftliche Vorstellungen und Normen die Wahrnehmung biologischer Geschlechtsmerkmale, andererseits beeinflussen biologische Zuschreibungen die sozialen Konstruktionen von Geschlecht. Eine strikte Trennung beider Dimensionen ist daher nicht möglich, sondern sie beeinflussen sich wechselseitig. 

Die individuelle Geschlechtsidentität von Personen wiederum ist zuerst einmal unabhängig von ihrer körperlichen Geschlechtlichkeit - auch wenn häufig davon ausgegangen wird, dass sich beides entspricht (siehe Cissexismus) - und kann das soziale Geschlecht stark beeinflussen, muss das aber nicht. Es gibt vielfältige Gründe, aus denen trans* Personen ihr soziales Geschlecht (noch) nicht ihrer Geschlechtsidentität anpassen. Wissenschaftlich untersucht werden diese Verhältnisse in der Disziplin der Gender und Queer Studies.

Siehe auch Heteronormativität, Heterosexismus, Identität (individuelle) und Sexismus

 

Gender und Queer Studies

Die interdisziplinäre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Geschlecht, Sexualität, der Zwei-Geschlechter-Ordnung und Heteronormativität findet in den Gender Studies und Queer Studies statt. Die Forschung und Lehre der beiden Fachrichtungen stehen in engem Zusammenhang miteinander und finden häufig gemeinsam statt. Die Gender und Queer Studies zielen darauf ab, eindeutige geschlechtliche und sexuelle Identitäten, Kategorien und Lebensmodelle zu dekonstruieren und machtkritisch zu diskutieren. Die Gender und Queer Studies als Wissenschaft sowie ihre Vertreter:innen sind regelmäßig das Ziel antifeministischer Angriffe, die sie als „Genderideologie” dämonisieren und bekämpfen. In diesem Kontext sind sie außerdem Gegenstand verschiedener Verschwörungserzählungen.

Siehe auch Cissexismus und Heterosexismus

Geschichtsrevisionismus

Geschichtsrevisionismus bezeichnet ein Vorgehen, bei dem historische Ereignisse, die als allgemein wissenschaftlich erwiesen gelten, verfälscht und umgedeutet werden. Aus ideologisch-politisch motivierten Gründen wird das auf historischen Fakten gegründete Geschichtsbild abgelehnt. Besonders bekannte Beispiele hierfür sind die Leugnung und Verharmlosung des Holocausts sowie das Abstreiten der Verantwortung Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg. Diese Verfälschung historischer Fakten ist ein Bestandteil extrem rechter Ideologien und gründet sich auf Nationalismus und Antisemitismus.

Geschützter(er) Raum

Gesellschaftlich-kultureller Rassismus

Um gesellschaftlich-kulturellen Rassismus – auch als symbolischer Rassismus bezeichnet – handelt es sich auch, wenn Menschen unter Bezug auf eine rassistische Differenzordnung (Rassifizierung und Othering) nicht als zugehörig, „normal“ oder „wertvoll“ mitgedacht und anerkannt werden und sich solche Vorstellungen in stereotypen Darstellungen in kulturellen Produktionen niederschlagen, z.B. in Medien, Werbung, Literatur, Theater, Schul- und Kinderbüchern. Dabei werden z.B. die Lebensrealitäten von BIPoC* ausgeblendet und/oder es wird behauptet, jede:r könne durch eigene Leistung alles erreichen (Farbenignoranz). Dazu gehört also auch die Frage, wer implizit als Zielgruppe von Texten usw. – also als implizite Norm – mitgedacht wird (Weißsein). Symbolischer Rassismus hat also die Funktion, „die Anderen“ „symbolisch aus der Familie der Nation, aus der Gemeinschaft auszuweisen“ (Hall 2000, 13f.).

Siehe auch Kulturimperialismus, Repräsentationsverhältnisse und Symbolische Macht

Gewalt

Definitionen von Gewalt variieren je nach historischem und gesellschaftlichem Kontext. Oft wird zwischen einem „engen“ oder „weiten“ Verständnis von Gewalt unterschieden. Will mensch auch Dimensionen struktureller Gewalt erfassen, ist ein weiter Gewaltbegriff nötig. Der weiße norwegische Konfliktforscher Johan Galtung prägte den Begriff der strukturellen Gewalt als Gewalt, die in die sozialen Strukturen einer Gesellschaft oder eines Systems eingebaut und damit allgegenwärtig ist. Wird die Gewalt durch das gesellschaftliche System nicht nur ermöglicht, sondern auch legitimiert und akzeptiert, spricht eins von institutioneller Gewalt. 

Im Gegensatz zur direkten Gewalt kann strukturelle Gewalt auf keinen Täter:keine Täterin zurückgeführt werden. Strukturelle Gewalt beruht auf Ungleichheit und ist immer in ein Machtverhältnis eingelassen. Struktureller Rassismus und die Gewalt im patriarchalen Geschlechterverhältnis, wie Femizide oder die Morde an trans* Menschen sind Beispiele und Ausdruck struktureller Gewalt. In diesem Sinne identifiziert auch die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young Gewalt als eine und die äußerste Form der fünf Formen der Unterdrückung (im Sinne von struktureller Diskriminierung), die Young als je eigenständige Kennzeichen struktureller Diskriminierung deutet.

Als direkte oder personale Gewalt wird die physische und psychische Gewalt bezeichnet, die auf die Verletzung oder Schädigung der anderen Person abzielt. Gemeint sind hier vor allem konkrete Taten. Auch sexualisierte Gewalt und Alltagsrassismus lassen sich dem Begriff der direkten Gewalt zuordnen.

Siehe auch Ausbeutung, Kulturimperialismus, Machtlosigkeit und Marginalisierung.

Globale Gerechtigkeit

Der durchschnittlich hohe Lebensstandard im globalen Norden lässt sich nur durch die Ausbeutung anderer Erdteile, der dort lebenden Menschen und der Umwelt aufrechterhalten. Zudem sind von Entscheidungen, die in Europa getroffen werden nicht nur Europäer:innen betroffen, sondern oft haben sie auch erhebliche Auswirkungen auf Menschen weltweit. Dies ist eine Fortführung von kolonialen Herrschaftsstrukturen. Globale Gerechtigkeit würde bedeuten, dem etwas entgegenzusetzen, indem Gerechtigkeit nicht nur auf den Nationalstaat bezogen, sondern auf internationale Beziehungen ausgeweitet wird. Dies kann etwa geschehen, wenn europäische Unternehmen auch im Ausland auf die Einhaltung der Menschenrechte, einen angemessenen Mindestlohn und in der Europäischen Union gültige Arbeitsrechtsnormen und Umweltstandards verpflichtet würden. Dadurch wäre gewährleistet, dass die Globalisierung nicht nur in Wirtschaft und Wissenschaft für die Eliten im globalen Norden Vorteile bringt, sondern im Sinne einer Globalisierung aller Lebensbereiche (auch der Sozialpolitik) letztendlich tatsächlich zu mehr Wohlstand und einer demokratischen Partizipation für alle Menschen führen könnte. 

Siehe auch imperiale Lebensweise und Postkolonialismus

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) lag einem zehnjährigen Forschungsprojekt des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld zugrunde, das von 2002 bis 2012 durchgeführt worden ist. Die Ergebnisse sind unter dem Titel Deutsche Zuständeveröffentlicht worden. Seit 2014 wird das Konzept in den alle zwei Jahre erscheinenden Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung fortgeführt. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie Menschen mit unterschiedlicher sozialer, religiöser und ethnischer Herkunft sowie mit verschiedenen Lebensstilen in der weiß-deutschen Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden und Projektionsfläche für feindselige Einstellungen sind. Anfänglich wurden sieben Facetten offener oder verdeckter Menschenfeindlichkeit untersucht. Zwischenzeitlich waren es bis zu 13 Ausdrucksformen von GMF. Inzwischen werden diese in vier Dimensionen (Antisemitismus, Rassismus, Hetero-/Sexismus und Klassismus) zusammengefasst. Ihr gemeinsames Merkmal ist die gesellschaftliche Konstruktion von Ungleichwertigkeit.

Siehe auch Ethnie, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt, Homofeindlichkeit, Islamfeindlichkeit und Trans*feindlichkeit