Israelbezogener Antisemitismus ist eine Form des Antisemitismus, die die Strukturmuster von Antisemitismus mit Bezug auf Israel und den Israel-Palästina-Konflikt reproduziert. Im israelbezogenen Antisemitismus werden Israel, „die Israelis“ oder „die Zionisten“ stellvertretend für „die Juden“ zum Objekt klassischer antisemitischer Zuschreibungen. Sie dienen als Projektionsflächen und Anlässe, sich auch nach der Shoah wieder und weiterhin antisemitisch zu äußern. Israelbezogener Antisemitismus ermöglicht also, Antisemitismusvorwürfe nach der Shoah zu umgehen. Daher besteht ein enges Verhältnis zum Post-Shoah-Antisemitismus.
Um israelbezogenen Antisemitismus festzustellen, hat Nathan Sharansky, ehemaliger israelischer Minister für Diasporafragen, den sogenannten 3D-Test vorgelegt. „D” steht jeweils für Dämonisierung, Doppelmoral (häufig fälschlicherweise übersetzt mit doppelte Standards) und Delegitimierung. Im Anschluss daran sind weitere Kriterienkataloge entstanden, die den 3D-Test weiterentwickeln. Die Antisemitismusforschung und Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel hat den 3D-Test präzisiert, indem sie auf der Basis sprachwissenschaftlicher Analysen das Kriterium der De-Realisierung eingeführt hat. Das bedeutet, dass die Wahrnehmung und Bewertung Israels und des Handelns israelischer Akteur:innen auf eine einzige Deutung hin ausgerichtet sind, in der Israel als alleinige Ursache für Gewalt und Unrecht erscheint. Wahrnehmung und Bewertung Israels entkoppeln sich von der überprüfbaren Realität und lassen ein Zerr- und Feindbild Israels entstehen. Dies geschieht beispielsweise, indem Israel als alleiniger Aggressor im Israel-Palästina-Konflikt dargestellt wird, mittels Apartheid-Vorwürfen oder Gleichsetzungen mit dem Nationalsozialismus. Ein sehr häufig angewendetes Mittel ist die Dekontextualisierung von Sachverhalten. So werden israelische Sicherheits- und Verteidigungsmaßnahmen aus dem Konfliktgeschehen herausgelöst, so dass sie als einseitige und willkürliche Gewalt gegen Palästinenser:innen erscheinen.
Bestandteil der De-Realisierung ist zudem, dass Juden:Jüdinnen und die öffentlich wahrnehmbaren Ausdrucksformen jüdischen Lebens mit Israel identifiziert werden. In der Folge weisen Antisemit:innen den Betroffenen z.B. eine Verantwortung für die Politik Israels zu, fordern sie als Juden:Jüdinnen zu einer Rechtfertigung der israelischen Politik oder des staatlichen Handelns Israels oder zu einer Distanzierung oder machen sie zur Zielscheibe von Anfeindungen, Angriffen oder gar Gewalt. Selbst israelische Staatsbürger:innen sind nicht individuell für das Handeln ihrer Regierung verantwortlich. Wenn Juden:Jüdinnen auf der ganzen Welt für israelische Politik verantwortlich gemacht oder zur Rechenschaft gezogen werden, wird ihnen die Rolle von Stellvertreter:innen für das konstruierte Feindbild zugewiesen und ein homogenes jüdisch-israelisches Scheinkollektiv geschaffen. Dies reproduziert das antisemitische Stereotyp, „Juden” seien illoyal gegenüber den Staaten, deren Bürger:innen sie sind, und würden eine international verschworene Gemeinschaft bilden. Es werden in diesem Fall also die antisemitischen Strukturmuster der „Figur des Dritten” und der Zuschreibung von verborgener Übermacht und Verschwörung reproduziert (siehe Antisemitismus).
Als unmittelbare Folgen der De-Realisierung ergeben sich Dämonisierung, Doppelstandardisierung und die Delegitimierung Israels: Israel wird oft unter Rückgriff auf alte antisemitische Mythen als das absolut Böse präsentiert (siehe Antijudaismus und Moderner Antisemitismus), z.B. durch Gleichsetzungen mit dem Nationalsozialismus (Dämonisierung). In Bezug auf Israel wird mit zweierlei Maß gemessen (Doppelmoral/Doppelstandardisierung), indem z.B. Maßnahmen, die in anderen Fällen als legitime Selbstverteidigung bewertet würden, als Beweis für Grausamkeit oder böse Absichten gedeutet werden. Oder wenn aus der Shoah abgeleitet wird, Israelis hätten eine besondere moralische Verantwortung, der sie nicht gerecht würden, wenn sie Gewalt anwenden. Oder wenn Israel als einzigem Land der Welt ein eigenes Kritikgenre, die „Israel-Kritik”, gewidmet wird. Schließlich zielen Dämonisierung und Doppelstandardisierung auf die Delegitimierung Israels, d.h. dass die Rechte Israels auf staatliche Existenz, Selbstbestimmung und Selbstverteidigung angezweifelt oder abgesprochen werden.
Die Strukturmuster, die sich in den Merkmalen der De-Realisierung, Dämonisierung, Doppelstandardisierung und Delegitimierung zeigen, gipfeln also darin, Juden:Jüdinnen schutzlos zu stellen und erneut vernichten zu können. Diese Merkmale mit dem Einwand zurückzuweisen, sie seien Bestandteil der Dynamik jedes gewaltsamen nationalen Konflikts, ist daher nicht stichhaltig.