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Glossar

Im Glossar erläutert IDA zentrale Begriffe aus seinen Arbeitsbereichen kurz und verständlich. Das Glossar wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Sie vermissen einen Begriff? Schreiben Sie uns einfach an Info(at)IDAeV.de.

Identität (individuelle)

In der Psychologie beinhaltet das Bewusstsein der eigenen Identität, dass mensch sich - in Abgrenzung zu „Anderen“ - als Individuum erlebt. Die Entwicklung von Identität ist ein lebenslang anhaltender Prozess der Definition und Neudefinition der eigenen Person, das im Wechselverhältnis zu anderen Menschen steht. Dabei handelt es sich nicht um etwas Ungebrochenes, Kontinuierliches und in sich Stimmiges, sondern um etwas, das Menschen an den Schnittpunkten verschiedener Differenzlinien und Positionierungen immer wieder neu konstruieren. Welche Differenzlinien und Positionierungen für die individuelle Identität zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmend sind, hängt z.B. von der konkreten Situation, den aktuellen Lebensbedingungen und der gesellschaftlichen Funktion der Differenzlinien ab, die sie als soziale Platzanweiserinnen erlangen.

Siehe auch Identität (kollektive)

Identität (kollektive)

Während es bei der individuellen Identität um die Erfahrung des Einzelnen geht, steht bei der kollektiven Identität das Kollektiv im Vordergrund. „Kollektiv“ beschreibt eine Gruppe von Menschen (soziales Gebilde), die sich durch gemeinsame Normen und Werte auszeichnen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft bewusst miteinander interagieren (organisierte Kollektive) oder ob sie lediglich ein Gefühl von Zusammengehörigkeit verspüren, ohne jedoch bewusst oder abgestimmt gemeinsame Ziele und Handlungen zu verfolgen (unorganisierte Kollektive). Eine kollektive Identität sichert einer Gruppe oder Gesellschaft „Kontinuität und Wiedererkennbarkeit“ (Jürgen Habermas) als wichtige Bedingung für das Zugehörigkeitsgefühl der Gruppenmitglieder und die Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen. Ihren Kern bilden allgemein akzeptierte Werte, Normen und Weltbilder, die festlegen, was als normal und legitim gilt. Familien, Völker, aber auch Nationen, können demnach als Kollektive verstanden werden, deren Bestand durch kollektive Identitäten hergestellt wird. Kollektive Identitäten können sich aber auch aus ähnlichen individuellen Erfahrungen von Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen der Diskriminierung und damit einhergehenden sozialen Positionen ergeben (Positionierung). Demgegenüber spielen z.B. Weißsein oder Nicht-Jüdischsein häufig keine Rolle für individuelle oder kollektive Identitäten, weil beides als Norm häufig unbenannt bleibt.

Beispiele für kollektive Identitäten sind Ethnizitäten. Nationen und Völker existieren nicht „an sich” und von Natur aus, sondern nur insofern sich Menschen wechselseitig als deren Mitglieder definieren und an ihre Existenz glauben. Dadurch, dass Menschen an sie glauben, richten Menschen ihr Handeln an kollektiven Identitäten aus, was ihnen wiederum reale Geltung verschafft und zu ihrer Institutionalisierung führt, z.B. in Form von Pässen. Problematisch werden kollektive Identitäten, wenn, wie z.B. im Fall der Nation, die Identifikation mit einer kollektiven Identität zur Voraussetzung dafür wird, Teilhaberechte ausüben zu dürfen (siehe Nationalismus). Aus kritischen Perspektiven wird der Konstruktionscharakter einer nationalen Kollektivbildung und ggf. auch ihr Aufsetzen von oben hervorgehoben, und damit auch ihre ideologische Funktion, beispielsweise als Grundlage für Nationalismus oder Faschismus. 

Rechtsextreme Ideologien stellen kollektive Identität als eine natürliche Gegebenheit dar, der Menschen sich zu unterwerfen haben. Dabei werden Menschen nach bestimmten Merkmalen, wie z.B. Sprache, homogenisiert, die Vielfalt innerhalb der „Wir”-Gruppe und Gemeinsamkeiten mit „den Anderen” geleugnet (siehe Völkischer Nationalismus).

Ein entscheidender Unterschied besteht zwischen Gruppen, die sich selbst eine kollektive Identität zuschreiben, und solchen, denen diese Identität von außen auferlegt wird. Während eine selbst gewählte kollektive Identität auf Reflexion und gemeinsamer Erfahrung basiert und häufig das Ziel der Solidarität verfolgt, kann eine aufgezwungene Identität als Machtmittel genutzt werden, um Gruppen zu kontrollieren oder ihre Vielfalt zu unterdrücken.

Siehe auch Othering

Imperiale Lebensweise

Imperiale Lebensweise meint die Art und Weise, mit der die Alltagshandlungen von Menschen in westlich-industrialisierten Gesellschaften Menschen und Umwelt in Gesellschaften des globalen Südens negativ beeinflussen, ohne dass sich Menschen in Industrieländern dessen bewusst sein müssen. In Deutschland alltäglicher Luxus wie Kaffee, Fleisch, elektronische Geräte oder Tourismus wird nur durch die Ausbeutung der Umwelt und anderer Menschen (etwa der Arbeiter:innen und Bäuer:innen des globalen Südens) möglich gemacht. Dass Menschen in westlichen Industrieländern sich sehr wenig Gedanken machen und die Ansprüche an ein gutes Leben als rechtmäßig und unproblematisch betrachten, obwohl sie theoretisch um die Kosten für andere wissen, ist ebenfalls Ausdruck der Imperialität der Lebensweise westliche Industriegesellschaften. Wenn sie die Konsequenzen erreichen, bspw. durch vermehrte Migrationsbewegungen, wollen sie sie nicht wahrhaben und aus ihrem Blickfeld verbannen, um ihre Lebensweise nicht hinterfragen zu müssen.

Siehe auch Globale Gerechtigkeit, Kapitalismus und Postkolonialismus

Incels

Der Begriff Incel setzt sich aus den englischen Wörtern „involuntary (dt. unfreiwillig) und celibate (sexuell enthaltsam) zusammen. Der Begriff entstand als Name von Online-Selbsthilfegruppen für schüchterne Menschen. Diese entwickelten sich jedoch zu Hassforen heterosexueller cis Männer und sind nun eine eigene Internet-Subkultur. Incels haben, nach Eigenaussage, unfreiwillig keinen Geschlechtsverkehr und auch keine romantischen/sexuellen Beziehungen zu Frauen und geben dem Feminismus und der liberalen freien Gesellschaft die Schuld daran. Die Ideologie der Incels ist antifeministisch und schließt eine toxische Männlichkeit mit ein, die für Außenstehende und sie selbst schädlich ist. Ihre ausgedrückten Gefühle und Überzeugungen sind geprägt von Misogynie, dem Anspruch, ein Recht auf Sex mit Frauen zu haben, einem negativen Selbstbild und Selbstmitleid. Auch sind sie von der Anwendung von Gewalt gegenüber Frauen und sexuell aktiven Männern überzeugt, obwohl sie paradoxerweise Frauen begehren und sich nach ihrer Zuneigung sehnen. Bei vielen Incels verbinden sich Misogynie mit Rassismus, da sie BIPoC* Männern vorwerfen, ihnen zustehende Sexualpartnerinnen wegzunehmen.

Indigene Völker und Gemeinschaften (Indigenous Peoples)

Indigene Völker und Gemeinschaften (engl. Indigenous Peoples) existieren in vielen Teilen der Welt. Weltweit leben ca. 5000 Indigene Völker und Gruppen, bestehend aus ca. 370 Millionen Indigenen Personen. Die UN-Arbeitsgruppe Indigene Bevölkerungen definiert Indigene als Bevölkerungsgruppen, die sich erstens als Nachkommen der Bewohner:innen eines bestimmten räumlichen Gebietes betrachten, die bereits vor der Eroberung, Kolonisierung oder Staatsgründung dort lebten, die zweitens eine enge (emotionale, wirtschaftliche und/oder spirituelle) Bindung an ihren Lebensraum haben und drittens eine sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheidende ausgeprägte ethnisch-kulturelle Identität (Ethnizität) als Gemeinschaft mit eigenen soziopolitischen und kulturellen Traditionen haben. Diese Definition übersieht jedoch, dass viele Indigene Menschen nicht auf dem Land ihrer Vorfahr:innen leben und eine Beziehung dazu pflegen (können). Alternative Begriffsbeschreibungen orientieren sich an subjektiven Ansätzen: Indigen ist, wer sich als Indigen versteht (siehe Identität (individuelle)). Oder: Indigen ist, wer Indigene Vorfahr:innen hat. Diese Perspektiven auf Indigene Identität haben besondere Bedeutung für Personen und Gemeinschaften, denen (sexuelle/sexualisierte) Gewalt, Versklavung, Verschleppung, Völkermord und weitere Grausamkeiten wiederfahren sind, z.B. im Rahmen des Kolonialismus. Generationen von Indigenen Familien und Gemeinschaften wurden (und werden weiterhin) dadurch ihrer kollektiven Identität und Kultur beraubt. 

Indigen (von lat. „in einem bestimmten Gebiet geboren“ oder „in einem bestimmten Gebiet zuhause“) ist eine allgemeine Bezeichnung für Indigene Personen, Völker und Gruppen, die passender ist als die verschiedenen verbreiteten rassistischen Fremdbezeichnungen. Jedoch sollte für eine spezifische Gruppe oder Volk und ihre Angehörigen immer ihre Selbstbezeichnung genutzt werden, z.B. Sámi (Schweden, Norwegen, Finnland), Ainu (Japan), Māori (Neuseeland), Diné (auch Navajo, USA) oder nehiyawak (auch Cree, Kanada). Darüber hinaus werden in unterschiedlichen Regionen verschiedene Sammelbezeichnungen genutzt. Beispiele dafür sind: First Nations (Kanada), Native Americans (USA), Aboriginal Peoples (Australien) oder Pueblos Indígenas (Südamerika).

Im Kontext des Israel-Palästina-Konflikts wird der Begriff des Indigenen immer wieder instrumentalisiert. Palästinenser:innen werden dann als „Indigene“ mit einer besonderen Bindung an das Land dargestellt. Israelis werden dadurch implizit zu unrechtmäßigen Kolonisierenden gemacht und dämonisiert. In der Folge wird Israel die Existenzberechtigung abgesprochen. Mit dieser Argumentation wird jedoch die durchgehende jüdische Besiedlung im heutigen Israel seit der Gründung des Judentums verkannt (siehe Israelbezogener Antisemitismus).

Siehe auch Anti-Indigener Rassismus und Ethnie

Individueller Rassismus

Auf der individuellen Ebene umfasst Rassismus persönliche Haltungen, Einstellungen oder Handlungen. Individueller Rassismus reicht von offenen rassistischen Beleidigungen bis hin zu einem Alltagsrassismus, der sich sehr viel subtiler ausdrückt. In der Bundesrepublik Deutschland wird Rassismus häufig auf diese Ebene, ihre offenen und absichtsvollen Erscheinungsweisen verkürzt.

Die Unterscheidung einer individuellen Ebene von Rassismus ist allerdings auch unscharf. Denn der Begriff bezieht sich einerseits auf die Ebene des Subjekts – also auf Prozesse der Verinnerlichung von Othering bzw. Rassifizierungen, Stereotypen und Dominanz – andererseits auf die Ebene der direkten Interaktion (interaktionaler Rassismus).

Siehe auch Fremdenfeindlichkeit, Vorurteil und Xenophobie

Inklusion

Der Begriff Inklusion stammt vom lateinischen Wort „includere“ (dt. einschließen, einbeziehen). Grundsätzlich beschreibt das Ziel der Inklusion eine Gesellschaft, in der jeder Mensch – unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Religionszugehörigkeit, Bildung, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, möglichen Behinderungen oder sonstigen individuellen Merkmalen – akzeptiert wird und jeder Person die gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht wird. Eine gesellschaftliche Normalität gibt es somit in einer inklusiven Gesellschaft nicht mehr, da diese von Vielfalt und Unterschieden geprägt ist. 
Der Begriff wird häufig in einer engeren Definition nur auf die Inklusion von Menschen mit Behinderungen bezogen und gilt in diesem Sinne in Deutschland als ein politisches Ziel, das seit 1994 auch in Artikel 3 des Grundgesetzes („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“) und seit 2006 im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankert ist. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2008, die mittlerweile von 182 Staaten, darunter auch Deutschland, unterzeichnet wurde, ist Inklusion von Menschen mit Behinderung auf Basis von drei Grundsätzen (Selbstbestimmung, Teilhabe und Gleichstellung) auch als Recht auf transnationaler Ebene festgeschrieben.
Inklusion setzt sich aber vermehrt auch in der anfangs genannten breiten Definition durch, u.a. im Themenbereich Migration. Dort dient Inklusion als eine Art Nachfolgebegriff für Integration, der die weiterentwickelte Blickweise vertritt, dass das Gestalten des Zusammenlebens in der Migrationsgesellschaft eine gemeinsame Aufgabe von Dominanzgesellschaft und Zugewanderten ist - statt der einseitigen Erwartung von Anpassung an Zugewanderte. 

Institutioneller Rassismus

Institutioneller Rassismus resultiert aus der Anwendung formeller und informeller „ungeschriebener“ Gesetze, Regeln, Vorschriften, Normen und Verfahren. In seiner direkten Form erlauben formelle und informelle Regeln eine gezielte Unterscheidung und Ungleichbehandlung von BIPoC* gegenüber weißen Personen. In seiner indirekten Variante werden formelle und informelle Handlungsmuster und Regeln der Gleichbehandlung, die in den Mitgliedschaftsbedingungen einer Institution eingeschrieben sind, auf alle gleichermaßen angewandt, haben aber auf BIPoC* diskriminierende Auswirkungen. Rassismus ist hier also das Ergebnis einer Gleichbehandlung, die die unterschiedlichen Voraussetzungen von Personen nicht berücksichtigt. Das ist z.B. der Fall, wenn Schulen das Vermitteln der Bildungssprache Deutsch nicht als ihre Aufgabe, sondern Deutschkenntnisse als Voraussetzung betrachten, die Kinder schon mitbringen müssen. Formen von institutionellem Rassismus sind Seiteneffekt-Rassismus und Past-in-present-Rassismus. Institutioneller Rassismus führt dazu, dass der Zugang zu Ressourcen, Partizipation und Anerkennung sowie die Möglichkeiten, ihre Potenziale auszuschöpfen, für BIPoC* trotz des Gleichheitsgrundsatzes strukturell eingeschränkt sind (Struktureller Rassismus), während weiße Personen dabei privilegiert sind.

Siehe auch Rassismuskritische Öffnung

Integration

In der Soziologie bezeichnet „Integration“ einerseits den Prozess, der die Menschen einer Gesellschaft verbindet und dafür sorgt, dass sich eine kollektive Identität, Werte und Normen herausbilden können, die das Zusammenleben ermöglichen (etwa in Form von Gesetzen, die allgemein akzeptiert sind). Im alltäglichen politischen und öffentlichen Gebrauch wird das Wort andererseits meistens genutzt, um die Eingliederung besonders von migrierten Menschen und/oder BIPoC* in die eine vermeintlich einheitliche „deutsche Gesellschaft und Kultur“ zu beschreiben. Das kommt dem soziologischen Begriff der Sozialintegration nahe. Im Gegensatz zu Inklusion meint der Begriff dabei die einseitige Anpassung der migrierten Menschen (und häufig auch ihrer Nachkommen) an die weiß-deutsche Mehrheitsgesellschaft, etwa indem sie Deutsch lernen, arbeiten und sich an die Gesetze halten. Die Verantwortlichkeit für „Integration“ wird also den Betroffenen selbst überantwortet.

Dabei wird oft außer Acht gelassen, dass migrierte Menschen und BIPoC* häufig auf institutionellen Rassismus stoßen, etwa bei der Arbeitssuche, und dieser ihre „Integration“, ihre Teilhabe und die Verwirklichung ihrer Menschenrechte verhindert. Die Mehrheitsgesellschaft und Politik sind daher gefordert, diese Hürden abzubauen, um gleiche Zugangschancen für alle zu gewährleisten. Zudem ist es problematisch, wenn Forderungen, „sich zu integrieren“ nur auf Menschen bezogen werden, die nicht als deutsch wahrgenommen werden. Bspw. werden Forderungen, sich an geltendes Recht zu halten oder sich zum Grundgesetz zu bekennen, nicht an alle Menschen in Deutschland gerichtet, sondern eben nur an „die Anderen“. Der Begriff wirkt also erstens verandernd (Othering), indem er eine einheitliche deutsche Gesellschaft (die es so natürlich nicht gibt) voraussetzt, in die alle „anderen“ sich eingliedern müssen, um gleichberechtigt dazugehören zu dürfen. Zweitens werden diese „Anderen“ als grundsätzlich defizitär im Gegensatz zum imaginären „Wir“ beschrieben. Gleichzeitig behält sich die Mehrheitsgesellschaft die Deutungshoheit darüber vor, was als „deutsch“ zu gelten hat (etwa im Sinne einer „Leitkultur“) und an welchen Kriterien „Integration“ gemessen werden soll. Diese Kriterien und entsprechende Forderungen kann sie immer wieder verändern, wobei die Betroffenen aber (so gut wie) keine Mitsprache besitzen. In diesem Sinne ist „Integration“ ein Mittel, Macht und Weiße Privilegien abzusichern und Dominanz auszuüben. Solidarität, Anerkennung und die Garantie von Rechten sind weitaus hilfreicher, um eine gerechte Gesellschaft zu gestalten, an der alle teilhaben können.n.

Siehe auch Desintegration, epistemische Gewalt, Othering, Social Justice

Interaktionaler Rassismus

Diese Ebene des Rassismus bezieht sich darauf, wie in alltäglichen Situationen symbolische Grenzen zwischen „uns” und „den Anderen“ gezogen, Zugehörigkeiten verhandelt, Zuschreibungen und Stereotype genutzt und Ausschlüsse vollzogen werden (siehe auch Othering, Rassifizierung und Alltagsrassismus). In Interaktionen dient Rassismus häufig als symbolisches Kapital, auf das weißpositionierte Menschen zurückgreifen können, um eigene Interessen durchzusetzen (siehe Weiße Privilegien und Symbolische Macht).

Interdependenz

Interdependenz bedeutet wechselseitige Abhängigkeit oder Bedingtheit. Der Begriff verweist auf die Kritik am Konzept der Intersektionalität, dass das Bild der Straßenkreuzung dazu führe, dass verschiedene Diskriminierungs-, Macht- und Ungleichheitsverhältnisse (z.B. Rassismus, Adultismus, Klassismus usw.) als prinzipiell getrennte Stränge erscheinen würden, die sich nur punktuell überschneiden. In diesem Kontext verweist Interdependenz zwischen sozio-politischen Positionierungen darauf, dass eine Verschränkung von Abwertungserfahrungen aufgrund von Zugehörigkeiten stattfindet, die nicht lediglich gleichzeitig geschehen, sondern unauflöslich miteinander verwoben sind, sich gegenseitig auslösen, beeinflussen und verstärken können.

Beispielsweise wird eine migrantisierte Person durch eine erfolgreiche Sportkarriere oder die Aufnahme eines Studiums anders wahrgenommen. Mit einem sozialen Aufstieg kann ihre Rassifizierung in den Hintergrund rücken. Gleichzeitig kann die Rassifizierung einen sozialen Aufstieg aber auch beeinträchtigen (siehe Klassismus). Beide Positionierungen bedingen sich gegenseitig.

Interkulturelle Öffnung (IKÖ)

Der Begriff Interkulturelle Öffnung bezeichnet einen Prozess, der allen Menschen den Zugang zu Organisationen sowie sozialen und öffentlichen Diensten unabhängig von ihrer Herkunft, religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung, individuellen Lebenseinstellung oder Lebensweise ermöglichen soll. Auf dem Papier gibt es den Begriff der Interkulturellen Öffnung bereits seit den 1990er Jahren. Damals als Reaktion auf (vermeintliche) „Integrationsprobleme” von Migrant:innen entstanden, sollte mit ihm der Prozess der Anpassung öffentlicher Institutionen an die Realität der Migrationsgesellschaft eingeleitet werden. Speziell für Migrant:innen geschaffene Sonderdienste sollten abgeschafft und stattdessen in bestehende Soziale Dienste integriert werden. Zudem wurde von Verwaltungsmitarbeiter:innen verlangt, sich auf dem Gebiet der „Interkulturellen Kompetenz“ fortzubilden, sprich sich Wissen über „fremde“ Kulturen anzueignen. Sowohl der Begriff der Interkulturellen Öffnung als auch der Interkulturellen Kompetenz sind jedoch strittig, weil sie in integrationspolitischen Diskursen meist eine gegenteilige Wirkung auslösen. Ihre Verwendung trägt dazu bei, BIPoC* und migrierte Menschen als „Fremde“ zu konstruieren (Othering), selbst wenn sie beispielsweise in der dritten Generation in Deutschland leben. Der Begriff wird daher zunehmend weniger verwendet, und stattdessen das Konzept der Rassismuskritischen Öffnung verfolgt.

Interkulturelles Lernen

Interkulturelles Lernen oder interkulturelle Pädagogik meinen die Kompetenzerweiterung im interkulturellen Feld, d.h. die Befähigung zum Umgang mit kulturell gedeuteter Heterogenität. Ähnlich wie die „interkulturelle Kompetenz“ wird auch das interkulturelle Lernen als ein Angebot der Fort- und Weiterbildung meistens auf ethnisch-kulturelle Aspekte beschränkt. Interkulturelles Lernen soll also den Umgang mit nationalen und/oder ethnisierten Differenzen erleichtern. Allzu häufig stehen dabei nach wie vor Informationen über „die Kultur“ der (vermeintlichen) Herkunftsländer von in der Bundesrepublik lebenden Migrant:innen und ihrer Nachkommen im Vordergrund, wodurch ethnisierende Zuschreibungen über „die“ jeweilige Kultur forciert werden. Kritik wird auch am technischen Verständnis von Kompetenz als zu erlernendem Rezeptwissen geübt, was der Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit pädagogischer Situationen und Handelns widerspricht (siehe Ambiguitätstoleranz). Nur ein interkulturelles Lernen, das auch Migrationsursachen, Diskriminierungserfahrungen der Migrant:innen, teilweise durch rassistische Strukturen geprägte Lebensrealitäten von Migrierten etc. fokussiert und auch die eigene gesellschaftliche Position der Lernenden nicht ausblendet, wird der Pluralität in der Migrationsgesellschaft gerecht.

Siehe auch Ausländerpädagogik, Ethnizität, Migration, Migrationspädagogik, Nation und Nationalismus 

Internalisierung

Internalisieren bedeutet, etwas zu verinnerlichen. Unter Internalisierung versteht mensch die Aneignung und Übernahme von Zuschreibungen, (kulturellen) Werten, Normen oder sozialen Rollen. Die verinnerlichten Werte oder Rollen werden dann als zur eigenen Person zugehörig empfunden. Auch Fremdzuschreibungen können internalisiert und damit zu Selbstzuschreibungen werden. Die Verinnerlichung rassistischer und diskriminierender Zuschreibungen führt zur Ausbildung eines doppelten Bewusstseins und wird als „internalisierte Unterdrückung“ bezeichnet.

Intersektionalität

Der Begriff Intersektionalität wurde geprägt von der Schwarzen US-amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw. Er beruht auf den Perspektiven und Erkenntnissen Schwarzer feministischer Theoretikerinnen und Aktivistinnen, wie Sojourner Truth, bell hooks und Audre Lorde. Inhaltlich beschreibt er die Analyse der Interdependenz (gegenseitigen Bedingtheit) und des Zusammenwirkens verschiedener Kategorien von Differenzen mit Dimensionen sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung. Um ein umfassendes Verständnis von Diskriminierung zu erhalten, dürfen deren einzelne Formen (etwa Rassismus, Sexismus oder Heterosexismus) nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Ein homosexueller Muslim, der migriert ist und Wirtschaftswissenschaften studiert, könnte bspw. aufgrund seiner sexuellen Identität  und/oder seiner Religion und/oder einer (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft von Diskriminierung betroffen sein. Gleichzeitig stehen ihm aufgrund seiner Genderzugehörigkeit und seines Bildungshintergrundes verschiedene Ressourcen zur Verfügung, die ihn in diesen Aspekten privilegieren. Intersektionalität meint also nicht lediglich Mehrfachdiskriminierung, sondern die Tatsache, dass die Interdependenz von Differenzlinien und ihre gesellschaftlichen Folgen zu ganz spezifischen Formen der Diskriminierung führen.

Islamfeindlichkeit

Islamfeindlichkeit ist ein sozialpsychologisches Konzept, das als Dimension Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) betrachtet und auch synonym mit dem Begriff „Muslimfeindlichkeit“ verwendet wird. Im Rahmen des GMF-Konzepts diente es bis ins Jahr 2014 dazu, eine ablehnende Haltung und Verhaltensweise gegenüber als Muslim:innen markierten Menschen zu bezeichnen. Dabei werden diese als homogene Gruppe konstruiert, der negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Diese Negativbilder können sich in Aussagen, Handlungen oder einer medial einseitigen Darstellung widerspiegeln und dazu führen, dass Betroffene diskriminiert, beleidigt oder tätlich angegriffen werden. Wie das Konzept der Fremdenfeindlichkeit wird der Begriff der Islamfeindlichkeit aus rassismuskritischer Perspektive stark kritisiert, u.a. weil sich das Konzept ausschließlich auf der Einstellungsebene bewegt, unbewusste Diskriminierung und strukturelle Aspekte ausblendet und von einer grundsätzlichen gegebenen Differenz zwischen Muslim:innen und Nicht-Muslim:innen ausgeht, statt deren Herstellung zu analysieren. Daher wird stattdessen von Antimuslimischem Rassismus gesprochen.

Islamisierter/Islamistischer Antisemitismus

Islamisierter Antisemitismus beschreibt die Erscheinungsformen antisemitischer Welt- und Feindbilder sowie Stereotype, die in islamisch geprägten Gesellschaften präsent sind, ihren Ursprung im europäischen Antisemitismus haben und die Strukturmerkmale des europäischen Antisemitismus teilen. Sie wurden seit der Mitte des 19. und vor allem im 20. Jahrhundert anhand europäischer Schriften und Entwicklungen an den politischen, kulturellen und religiösen Kontext angepasst und übernommen. Wichtige historische Entstehungszusammenhänge waren Kolonialismus und Nationalsozialismus. Beispielsweise förderten die Nationalsozialist:innen die Rezeption von Antisemitismus im Nahen Osten.

Dieser Antisemitismus entstammt historisch nicht dem Islam, sondern wurde lediglich an islamische Strukturen angepasst, u.a. durch die instrumentalisierende Deutung antijüdischer Korantexte durch Islamisten. Daher wird auch von islamistischem Antisemitismus gesprochen. Der Begriff des islamisierten Antisemitismus übt außerdem Kritik an der Praxis, dass bestehende antisemitische Weltbilder, Feindbilder und Stereotype in islamischen Gesellschaften auf einen islamischen Hintergrund zurückgeführt werden, ohne den europäischen Ursprung des islamisierten Antisemitismus anzuerkennen (siehe auch Antimuslimischer Rassismus). 

Islamkritik

Der Begriff Islamkritik wird häufig in Debatten über den Islam verwendet, wenn dieser im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Missständen (Sexismus, Heterosexismus o. Ä.) thematisiert wird. Islamkritik zeigt sich dann, wenn beispielsweise die Schlechterstellung von Frauen aus der Perspektive von selbsternannten Islamkritiker:innen allein aus der Religion heraus erklärt wird. Auf diese Weise wird die Benachteiligung und Schlechterstellung von Frauen isoliert von historischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen betrachtet. Mehr noch greifen Islamkritiker:innen auf vereinfachte Erklärungsmuster und Verallgemeinerungen zurück und verbreiten dadurch Vorstellungen eines wesenhaften und einheitlichen Islam (siehe auch Essentialisierung und Rassifizierung). Dies hat zur Folge, dass die vielfältigen kulturellen Lebensweisen und unterschiedlichen religiösen Strömungen des Islams unsichtbar gemacht werden. 

Insbesondere medienwirksame und rechtspopulistische Islamkritiker:innen verweisen häufig auf eine vermeintlich neutrale Religionskritik, um dem Vorwurf des Antimuslimischen Rassismus ausweichen zu können. Demnach funktioniert die Islamkritik als Deckmantel für Antimuslimischen Rassismus, der sich darin äußert, dass Muslim:innen und Personen, die als solche gelesen werden, ausgegrenzt und pauschal abgewertet werden. Auffallend ist auch, dass es keine analogen Kritiken am Christentum oder Judentum gibt, die unter Begriffe wie Christentumkritik oder Judentumkritik fallen würden. So lässt sich Islamkritik auch nicht in eine allgemeine Religionskritik einordnen, sondern verweist vielmehr auf den Zustand, dass der Islam mit Verweis auf ein Negativimage allein herausgegriffen wird.

Islamophobie

Der vor einigen Jahren aus dem Englischen und Französischen ins Deutsche übertragene Begriff wird im Deutschen als Synonym für Islamfeindlichkeit bzw. Muslimfeindlichkeit verwendet oder – in Anlehnung an den Begriff der Xenophobie – als gegen Muslim:innen oder den Islam gerichtete „Fremdenangst“ definiert. Er verweist vor allem auf tief sitzende Ängste, negative Einstellungen und emotional begründete Abwehr und Feindseligkeit. Wie andere Begriffe auch wird er aus rassismuskritischer Perspektive stark kritisiert. Der Begriffsteil „phobie” wirkt, als handele es sich um eine klassische Angststörung handelt, die eine quasi natürliche Reaktion auf Muslim:innen darstellt, dies ist jedoch nicht der Fall. Stattdessen wird häufig der genauere Begriff Antimuslimischer Rassismus verwendet.

Siehe auch Fremdenfeindlichkeit und Rassismus

Israelbezogener Antisemitismus

Israelbezogener Antisemitismus ist eine Form des Antisemitismus, die die Strukturmuster von Antisemitismus mit Bezug auf Israel und den Israel-Palästina-Konflikt reproduziert. Im israelbezogenen Antisemitismus werden Israel, „die Israelis“ oder „die Zionisten“ stellvertretend für „die Juden“ zum Objekt klassischer antisemitischer Zuschreibungen. Sie dienen als Projektionsflächen und Anlässe, sich auch nach der Shoah wieder und weiterhin antisemitisch zu äußern. Israelbezogener Antisemitismus ermöglicht also, Antisemitismusvorwürfe nach der Shoah zu umgehen. Daher besteht ein enges Verhältnis zum Post-Shoah-Antisemitismus.

Um israelbezogenen Antisemitismus festzustellen, hat Nathan Sharansky, ehemaliger israelischer Minister für Diasporafragen, den sogenannten 3D-Test vorgelegt. „D” steht jeweils für Dämonisierung, Doppelmoral (häufig fälschlicherweise übersetzt mit doppelte Standards) und Delegitimierung. Im Anschluss daran sind weitere Kriterienkataloge entstanden, die den 3D-Test weiterentwickeln. Die Antisemitismusforschung und Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel hat den 3D-Test präzisiert, indem sie auf der Basis sprachwissenschaftlicher Analysen das Kriterium der De-Realisierung eingeführt hat. Das bedeutet, dass die Wahrnehmung und Bewertung Israels und des Handelns israelischer Akteur:innen auf eine einzige Deutung hin ausgerichtet sind, in der Israel als alleinige Ursache für Gewalt und Unrecht erscheint. Wahrnehmung und Bewertung Israels entkoppeln sich von der überprüfbaren Realität und lassen ein Zerr- und Feindbild Israels entstehen. Dies geschieht beispielsweise, indem Israel als alleiniger Aggressor im Israel-Palästina-Konflikt dargestellt wird, mittels Apartheid-Vorwürfen oder Gleichsetzungen mit dem Nationalsozialismus. Ein sehr häufig angewendetes Mittel ist die Dekontextualisierung von Sachverhalten. So werden israelische Sicherheits- und Verteidigungsmaßnahmen aus dem Konfliktgeschehen herausgelöst, so dass sie als einseitige und willkürliche Gewalt gegen Palästinenser:innen erscheinen. 

Bestandteil der De-Realisierung ist zudem, dass Juden:Jüdinnen und die öffentlich wahrnehmbaren Ausdrucksformen jüdischen Lebens mit Israel identifiziert werden. In der Folge weisen Antisemit:innen den Betroffenen z.B. eine Verantwortung für die Politik Israels zu, fordern sie als Juden:Jüdinnen zu einer Rechtfertigung der israelischen Politik oder des staatlichen Handelns Israels oder zu einer Distanzierung oder machen sie zur Zielscheibe von Anfeindungen, Angriffen oder gar Gewalt. Selbst israelische Staatsbürger:innen sind nicht individuell für das Handeln ihrer Regierung verantwortlich. Wenn Juden:Jüdinnen auf der ganzen Welt für israelische Politik verantwortlich gemacht oder zur Rechenschaft gezogen werden, wird ihnen die Rolle von Stellvertreter:innen für das konstruierte Feindbild zugewiesen und ein homogenes jüdisch-israelisches Scheinkollektiv geschaffen. Dies reproduziert das antisemitische Stereotyp, „Juden” seien illoyal gegenüber den Staaten, deren Bürger:innen sie sind, und würden eine international verschworene Gemeinschaft bilden. Es werden in diesem Fall also die antisemitischen Strukturmuster der „Figur des Dritten” und der Zuschreibung von verborgener Übermacht und Verschwörung reproduziert (siehe Antisemitismus).

Als unmittelbare Folgen der De-Realisierung ergeben sich Dämonisierung, Doppelstandardisierung und die Delegitimierung Israels: Israel wird oft unter Rückgriff auf alte antisemitische Mythen als das absolut Böse präsentiert (siehe Antijudaismus und Moderner Antisemitismus), z.B. durch Gleichsetzungen mit dem Nationalsozialismus (Dämonisierung). In Bezug auf Israel wird mit zweierlei Maß gemessen (Doppelmoral/Doppelstandardisierung), indem z.B. Maßnahmen, die in anderen Fällen als legitime Selbstverteidigung bewertet würden, als Beweis für Grausamkeit oder böse Absichten gedeutet werden. Oder wenn aus der Shoah abgeleitet wird, Israelis hätten eine besondere moralische Verantwortung, der sie nicht gerecht würden, wenn sie Gewalt anwenden. Oder wenn Israel als einzigem Land der Welt ein eigenes Kritikgenre, die „Israel-Kritik”, gewidmet wird. Schließlich zielen Dämonisierung und Doppelstandardisierung auf die Delegitimierung Israels, d.h. dass die Rechte Israels auf staatliche Existenz, Selbstbestimmung und Selbstverteidigung angezweifelt oder abgesprochen werden.

Die Strukturmuster, die sich in den Merkmalen der De-Realisierung, Dämonisierung, Doppelstandardisierung und Delegitimierung zeigen, gipfeln also darin, Juden:Jüdinnen schutzlos zu stellen und erneut vernichten zu können. Diese Merkmale mit dem Einwand zurückzuweisen, sie seien Bestandteil der Dynamik jedes gewaltsamen nationalen Konflikts, ist daher nicht stichhaltig.