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Glossar

Im Glossar erläutert IDA zentrale Begriffe aus seinen Arbeitsbereichen kurz und verständlich. Das Glossar wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Sie vermissen einen Begriff? Schreiben Sie uns einfach an Info(at)IDAeV.de.

Kapital

Kapital bezeichnet im weiteren Sinne jedes materielle oder immaterielle Vermögen, das geeignet ist, zur Verbesserung von Produktions- und Lebensmöglichkeiten beizutragen und somit Ungleichheit bedingt.

Im marxistischen Verständnis ist Kapital ein Wert, der in Prozessen des Austauschs von Waren und Dienstleistungen eingesetzt wird, um vermehrt zu werden und so einen Mehrwert zu generieren. Im Kapitalismus ist dieser Prozess end- und maßlos, da Kapitalist:innen durch die Konkurrenz anderer Kapitalist:innen zur ständigen Bewegung von Kapital gezwungen sind.

Eine der einflussreichsten Kapitaltheorien ist die des weißen französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Bourdieu lehnt sich an den Kapitalbegriff von Karl Marx an, verallgemeinert ihn jedoch und unterscheidet verschiedene Arten des Kapitals, die zu Gewinn und Erhaltung von gesellschaftlichem Status dienen. Er setzt es daher auch mit Macht gleich. Ökonomisches Kapital ist unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar, soziales Kapital sind die Ressourcen, die sich aus dem Netz von Beziehungen und Gruppenzugehörigkeiten Einzelner ergeben und für Anerkennung und Unterstützung nutzbar sind. Das kulturelle Kapital oder Bildungskapital bezeichnet alle Kulturgüter und -ressourcen, die als symbolische Machtmittel gelten. Mit symbolischem Kapital beschreibt Bourdieu den symbolischen Effekt aller Kapitalformen, also wie diese Legitimierung und Anerkennung finden und dadurch zum Ansehen ihrer Träger:innen beitragen. Kapitalakkumulation beschreibt den Prozess der Sammlung und Weitergabe von Kapital.

Kapitalismus

Der Kapitalismus ist eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die gekennzeichnet ist von der enormen Bedeutung von Privateigentum für die Produktion, der Lohnarbeitsabhängigkeit großer Bevölkerungsteile und des Interesses der Produktionsmittelbesitzer:innen (Kapitalist:innen) an Profitmaximierung als wirtschaftliche Triebkraft. Kapitalismus funktioniert daher nur durch Ausbeutung und ist nicht an gesellschaftlichen Bedürfnissen ausgerichtet. 

Neben der Notwendigkeit einer stetig wachsenden und effizienten Produktion ist der Kapitalismus zugleich auf den anhaltenden Konsum dieser Produkte angewiesen. Das Privatleben wird somit zunehmend durch Konsumentscheidungen und -möglichkeiten bestimmt. Daher wird dem Kapitalismus auch eine kulturelle Kraft zugeschrieben, denn kapitalistische Denk- und Handlungsweisen haben in Form von Effizienz-, Optimierungs- und Konsumdenken auch Eingang in die Alltags- und Lebensgestaltung gefunden. Zugleich ist der Kapitalismus als eine wesentliche Bedingung für die Herausbildung und Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen wie Rassismus und Antisemitismus zu betrachten, die die Moderne kennzeichnen (siehe auch Racial Capitalism).

Der Kolonialismus und dessen Auswirkungen und globale Wirtschaftsstrukturen sind bis heute unmittelbar mit dem Kapitalismus und der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen verbunden. Antisemitismus kommt in Zusammenhang mit Kapitalismus u.a. in Form verkürzter Kapitalismuskritik vor, was sich z.B. in Teilen der Anti-Globalisierungs- bzw. globalisierungskritischen Bewegung feststellen lässt, die teilweise auch Bezug auf antisemitische Verschwörungsmythen nimmt. 

Mit dem Begriff kapitalistisch werden Denkweisen und Handlungen bezeichnet, die dem Kapitalismus entsprechen und zuarbeiten. Antikapitalistisch sind Denkweisen und Handlungen, die ihn ablehnen und beenden wollen.

Klasse

Als eine Klasse werden Bevölkerungsgruppen mit einer von ökonomischen Verhältnissen bestimmten gemeinsamen Stellung in der gesellschaftlichen Sozialstruktur bezeichnet. Nach Karl Marx bilden sich die Klassen aufgrund der Arbeitsteilung und ungleichen Eigentumsverteilung. Klasse ist somit die analytische Kategorie der Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe. Es gibt jedoch zahlreiche weitere Klassentheorien, die versucht haben, den Marx’schen Klassenbegriff weiterzuentwickeln, auch andere als ökonomische Kriterien für Klasse zu berücksichtigen und den Klassenbegriff analytisch zu präzisieren, wie z.B. Max Weber, Pierre Bourdieu und Erik Olin Wright.

Siehe auch Kapitalismus und Klassismus

Klassismus

Der Begriff Klassismus bezeichnet die strukturelle Diskriminierung  von Menschen aufgrund ihres (zugeschriebenen) ökonomischen, sozial- oder bildungspolitischen Status bzw. ihrer (zugeschriebenen) ökonomischen, sozial- oder bildungspolitischen Herkunft. Dies kann auf interaktionaler, institutioneller oder auch gesellschaftlich-kultureller Ebene stattfinden.

Siehe auch Klasse und Sozialdarwinismus

Kolonialismus

Unter Kolonialismus im modernen Sinn wird ein Herrschaftsverhältnis verstanden, in dem auswärtige Kolonisierende ganze Gesellschaften fremdbestimmen und ihren Bedürfnissen und Interessen unterwerfen. Die Kolonisierenden bilden meistens eine Minderheit und unterscheiden sich kulturell von den Kolonisierten. Sie weigern sich nicht nur, kulturelle Praktiken der kolonisierten Bevölkerung anzunehmen, sondern erwarten vielmehr, dass die Kolonisierten ihre Werte und Gepflogenheiten übernehmen, da sie sich und ihre Lebensweise für höherwertig halten. Zum Kolonialismus gehört deshalb die Überzeugung der Kolonisierenden, dass ihre Herrschaft durch einen höheren Auftrag - eine Sendungsmission - gerechtfertigt ist. Die Herrschaft wurde entweder übernommen, indem die Kolonisierenden die wichtigsten Ämter mit Beamten der Kolonialmacht besetzten (direkte Herrschaft) oder indem sie die Verwaltung traditionellen Eliten überließen, die mit der Kolonialmacht kooperierten (indirekte Herrschaft).

Die Hochzeit des modernen Kolonialismus lag zwischen dem 15. und dem 20. Jahrhundert, als v.a. europäische (und später auch weiße US-amerikanische) Menschen begannen, Afrika, Australien, Teile Asiens und Amerika politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell zu unterwerfen. Dabei enteigneten, unterwarfen, unterdrückten, verschleppten, vergewaltigten, versklavten und töteten sie die lokale Bevölkerung. Sie legitimierten dies mit einer rassistischen Ideologie, die ihre angebliche biologische, zivilisatorische und religiöse Überlegenheit behauptete. Aufgrund dieser Überzeugungen wurden das Wissen und die kulturellen Praktiken der Kolonisierten geringgeschätzt und teilweise ausgelöscht (siehe Epistemische Gewalt, Epistemizid und Kulturimperialismus). 

In der Kolonialismusforschung werden drei Formen von Kolonien unterschieden. In Beherrschungskolonienwurde eine relativ geringe Anzahl von Bürokraten, Soldaten und Geschäftsleuten eingesetzt, um die Kolonie wirtschaftlich auszubeuten und die Herrschaft abzusichern. Ein Beispiel hierfür ist Britisch-Indien. Stützpunktkolonien entstanden an Küsten durch Seeflotten. Sie sollten das Hinterland für den Handel erschließen, die Herrschaft auf See absichern und formal selbstständige Staaten kontrollieren. Beispiele sind Hongkong und Singapur. In Siedlungskolonien beuteten dauerhaft ansässige Farmer:innen und Plantagenbesitzer:innen billige Arbeitskräfte, wie Leibeigene, Zwangsarbeiter:innen oder versklavte Menschen, aus, um billiges oder enteignetes Land zu bebauen und zu besiedeln. Die kolonisierte Bevölkerung wurde dabei entweder verdrängt und vernichtet oder als billige Arbeitskraft vernutzt. Beispiele für Siedlerkolonien sind die USA, Neuseeland, Australien oder Kanada. In israelfeindlichen Aussagen wird oft behauptet, dass Israel eine Kolonie weißer europäischer Siedler:innen und der Zionismus siedlerkolonialistisch sei. Solche Behauptungen ignorieren die tatsächlichen Entstehungsbedingungen sowohl des Zionismus als auch Israels, um Israel zu dämonisieren und seine Existenz zu bestreiten. Dabei handelt es sich um israelbezogenen Antisemitismus.

Auch das Deutsche Kaiserreich hatte bis 1919 mehrere Kolonien in Afrika, Asien und Ozeanien. Bis in die 1970er Jahre hinein weigerten sich europäische Regierungen, den kolonisierten Gebieten ihre Unabhängigkeit zuzugestehen. Die Folgen des Kolonialismus sind noch heute spürbar – sowohl in den kolonisierten als auch ehemals kolonisierenden Gesellschaften (siehe Postkolonialismus).

Kritisches Weißsein

Kultur

Kultur ist ein mehrdeutiger Begriff, der sich um die Gesamtheit der materiellen und immateriellen Ergebnisse menschlicher Wirkens dreht. Der enge Kulturbegriff bezieht sich auf Kunst und Geisteskultur, der weite auf die Lebenswelt des Menschen. Im Gegensatz zu klassischen Definitionen einer weitgehend homogenen, statischen und in sich geschlossenen Kultur (Kulturalismus), die als Kollektiv verstanden wird, wird heute hervorgehoben, dass Kultur einem ständigen Veränderungsprozess unterliegt, in sich heterogen ist, nicht an ein bestimmtes Territorium gebunden und fließend ist. Menschen werden zudem als mehreren „Kulturen“ zugehörig betrachtet (z.B. Nationalität, Organisation, Religion, Generation, Familie), die durch zahlreiche Differenzlinien und mit ihnen verbundene Erfahrungen gebrochen sind. In diesem Sinne wird unter Kultur diejenige Lebenswelt verstanden, die eine Person als „eigene“ definiert, weil sie Normalität und Plausibilität bietet und soziales Routinehandeln ermöglicht.

Siehe auch Kulturalisierung und Neorassismus

Kulturalisierung

Unter Kulturalisierung wird die Praxis verstanden, Kultur als wesentliche, zentrale und determinierende Erklärung für (individuelle) Handlungen, Einstellungen, Verhaltensweisen, Konflikte oder Ausdrucksweisen zu verstehen. Häufig wird dabei der Kulturbegriff ethnisiert und Menschen werden beispielsweise auf ihre – angebliche – „türkische Kultur“ festgeschrieben. Dadurch werden sie in ihrer Vielfältigkeit und Komplexität nicht wahrgenommen, sondern ausschließlich auf eine (vermeintliche oder tatsächliche) kulturelle Zugehörigkeit reduziert. Dass es sich hierbei häufig um Fremdzuschreibungen und nicht um die eigene subjektive Identifikation handelt, gerät bei kulturalisierenden Interpretationen der Wirklichkeit häufig aus dem Blick. Durch Kulturalisierungen werden die Dichotomisierung (Zweiteilung) der Gesellschaft in Zugehörige („Wir“) und Nicht-Zugehörige („Die Anderen“) verstärkt (Othering) und Stereotype und Zuschreibungen reproduziert.

Siehe auch Ethnie, Identität (kollektive), Kulturalismus, Naturalisierung und Neorassismus

Kulturalismus

Als Kulturalismus lassen sich kulturalisierende Denkweisen bezeichnen, in denen Kultur als funktionale Entsprechung von „Rasse“ dient. Während klassischer Rassismus biologische Merkmale als Begründung für soziale Hierarchien nutzt (Biologisierung), ersetzt der Kulturalismus diese durch kulturelle Unterschiede. Kultur wird dabei als etwas Starres dargestellt, das Menschen in ihrem Verhalten festlegt, wodurch soziale Ungleichheiten als natürlich und unveränderlich erscheinen. Dieser Mechanismus zeigt sich beispielsweise in der Annahme, dass bestimmte Gruppen aufgrund ihrer Kultur „nicht integrierbar” seien oder unüberwindbare Differenzen zu anderen Kulturen aufweisen. Um die problematischen Effekte des Kulturalismus zu vermeiden, ist es notwendig, Kultur als dynamisch, hybrid und kontextabhängig zu verstehen.

Siehe auch Identität (kollektive), Naturalisierung und Neorassismus

Kulturelle Aneignung

Als kulturelle Aneignung (engl. cultural appropriation) wird ein Prozess bezeichnet, bei dem kulturelle Elemente einer Gesellschaft oder Community enteignet und aus dem Zusammenhang gerissen in einen anderen Kontext gesetzt werden. In großem Maße ist das während des Kolonialismus passiert: Noch heute befinden sich während der Kolonialzeit geraubte Gegenstände in westlichen Museen, oftmals wird ihre Bedeutung für die jeweilige Kultur nicht oder unzutreffend dargestellt. Symbole und Gegenstände werden exotisiert und sich von Menschen angeeignet, die oftmals ihre Bedeutung und Geschichte nicht kennen. Häufig wird dabei die Geschichte der Unterdrückung und Gewalt ausgeblendet, die dazu geführt hat, dass diese Aneignung erst möglich wurde. Das Tragen von bestimmten Symbolen wurde bei der kolonisierten Bevölkerung einst gewaltvoll bestraft (und wird auch heute noch oft genug mit Diskriminierung, Ausschluss und Othering sozial sanktioniert). Wenn nun die Nachkommen der Unterdrücker:innen und Mitglieder einer Mehrheitsgesellschaft, die immer noch Anpassung von Minderheiten fordert, völlig sorglos und unkritisch diese Symbole tragen, eignen sie sich erneut die Deutungshoheit darüber an (Epistemische Gewalt). Das ist nur aufgrund postkolonialer Kontinuitäten möglich, die aber oftmals nicht entsprechend (an)erkannt werden. Deswegen bedarf es auch auf der individuellen Ebene Sensibilität, was bspw. das Tragen bestimmter Kleidungen und Frisuren betrifft. An die Stelle der unreflektierten Aneignung, weil etwas als „schön“ wahrgenommen wird, könnte wertschätzendes Interesse bezüglich der Herkunft und Bedeutung treten.

Siehe auch Anerkennung, Critical Whiteness, Exotisierung, Postkolonialismus

Kulturimperialismus

Unter Kulturimperialismus wird die zielstrebige und systematische Ausweitung eines kulturellen Macht- und Einflussbereiches verstanden. Dabei werden andere kulturelle Erfahrungsräume verdrängt und untergeordnet. 

Für Iris Marion Young ist Kulturimperialismus eine der fünf Formen der Unterdrückung (im Sinne von struktureller Diskriminierung). Er zeichnet sich dadurch aus, dass die Erfahrungen, das Wissen und die kulturellen Praktiken der herrschenden Gruppe universalisiert und zur Norm gemacht werden (siehe auch Dominanz und Dominanzgesellschaft), während von struktureller Diskriminierung betroffene Menschen verandert (Othering), stereotypisiert und unsichtbar gemacht werden. Dadurch leistet Kulturimperialismus dem Phänomen des doppelten Bewusstseins Vorschub.

Kulturimperialismus zeigt sich beispielsweise, wenn weiße Menschen BIPoC* ihre Rassismuserfahrungen absprechen (Sekundärer Rassismus) oder wenn in einer Einrichtung Religion zur Privatsache erklärt, sich aber gleichzeitig nur christliche Feiertage zu eigen macht.

Siehe auch Ausbeutung, Epistemische Gewalt, Gewalt, Machtlosigkeit, Marginalisierung, Rassismus und Symbolische Macht

Kulturrassismus