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Glossar

Im Glossar erläutert IDA zentrale Begriffe aus seinen Arbeitsbereichen kurz und verständlich. Das Glossar wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Sie vermissen einen Begriff? Schreiben Sie uns einfach an Info(at)IDAeV.de.

Machtlosigkeit

Für die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young stellt Machtlosigkeit eine der fünf Formen der Unterdrückung (im Sinne von struktureller Diskriminierung) dar. Für Young deutet Machtlosigkeit ein eigenständiges Kennzeichen struktureller Diskriminierung. Machtlos sind Young zufolge Menschen, über die Macht ausgeübt wird, indem sie Anordnungen befolgen müssen, die aber selbst nur selten in der Position sind, Macht auszuüben und Anordnungen zu erteilen. Machtlosigkeit schränkt die Möglichkeiten von Menschen ein, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und auszuüben, und geht mit einem Mangel an Achtung und Respekt den Betroffenen gegenüber einher (siehe auch Anerkennung).

Mit dem Begriff der Machtlosigkeit beschreibt Young den Umstand, dass strukturell diskriminierte Menschen in ihrer Lebensgestaltung in überdurchschnittlichem Maß fremdbestimmt und seltener in angesehenen Positionen vertreten sind als Menschen, die der gesellschaftlichen Norm entsprechen. So sind beispielsweise BIPoC* unter Lehrer:innen und Frauen in leitenden Funktion in Wirtschaft, Verwaltung und Politik unterrepräsentiert.

Siehe auch Ausbeutung, Gewalt, Kulturimperialismus und Marginalisierung.

Marginalisierung

Marginalisierung bezeichnet die Verdrängung von Individuen oder Bevölkerungsgruppen an den Rand der Gesellschaft. Die Verdrängung kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen, also zum Beispiel geografisch, wirtschaftlich, sozial oder kulturell sein; meist spielt sie sich auf mehreren Ebenen gleichzeitig ab. Marginalisierung findet in einem Machtgefüge statt und geht mit Diskriminierung einher: Je weiter am gesellschaftlichen Rand sich eine Gruppe befindet, desto weniger Macht hat sie und desto stärker ist sie gegenüber der gesellschaftlichen „Mitte“ benachteiligt.

Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young definiert Marginalisierung als Ausschluss von der Partizipation am sozialen Leben und als eine von fünf Formen der Unterdrückung (im Sinne von struktureller Diskriminierung). Marginalisierung beinhaltet den Verlust von Ressourcen, Einflussmöglichkeiten sowie Status und kann sich auf die psychische und körperliche Gesundheit auswirken. Wenn es sich bei der marginalisierten Gruppe um eine Minderheit handelt, lässt sich in diesem Fall auch von Minderheiten- oder Marginalisierungsstress sprechen. Aber Marginalisierung betrifft nicht nur zahlenmäßige Minderheiten. So wird in einer patriarchalen Gesellschaft Weiblichkeit marginalisiert, obwohl Frauen keine Minderheit sind.

Siehe auch Ausbeutung, Gewalt, Kulturimperialismus und Machtlosigkeit.

Marginalisierungsstress

Der Begriff Marginalisierungsstress wurde von der englischen Minority Stress Theory abgeleitet und beschreibt die erhöhte Belastung von strukturell marginalisierten Gruppen durch Stressfaktoren wie Stereotype,Mikroaggressionen und Diskriminierung. Eine erhöhte und ständige Konfrontation mit diesen Stressfaktoren führt zu einem höheren Stresslevel, kann in chronischen Stress münden und damit die mentale und körperliche Gesundheit langfristig beeinträchtigen. Das Minority Stress-Konzept geht zudem davon aus, dass die Stressfaktoren Teil gesellschaftlicher Strukturen sind, Angehörige der Mehrheitsgesellschaft aber nicht mit ihnen konfrontiert werden.

Race-related Stress bezieht sich in diesem Kontext auf die negativen gesundheitlichen Folgen aufgrund rassistischer Diskriminierungserfahrungen. 

Mehrheitsgesellschaft

Der Begriff Mehrheitsgesellschaft bezeichnet denjenigen Teil einer Gesellschaft, der wegen der Größe seines Anteils an der Gesamtbevölkerung oder seiner Machtposition die kulturelle Norm eines Gemeinwesens definiert und repräsentiert. Angehörige der Mehrheitsgesellschaft sind gegenüber Minderheiten grundlegend privilegiert; sie besitzen eine allgemeine Definitions- und Deutungsmacht. Bei der Einteilung in Mehrheit und Minderheit können unterschiedliche Differenzlinien relevant (gemacht) werden. Jede Einteilung schafft aber eine symbolische Grenze und damit auch die Gefahr der Dichotomisierung. Darüber hinaus ist solch eine Kategorisierung untrennbar mit Prozessen der Homogenisierung und Essentialisierung verbunden. 

Im Kontext von Machtverhältnissen sind jedoch nicht nur Mehrheits- und Minderheitenverhältnisse ausschlaggebend: So stellen z.B. Frauen, oder in bestimmten Altersgruppen auch BIPoC* keine Minderheit dar, werden aber trotzdem benachteiligt oder diskriminiert. Sprachliche und konzeptuelle Versuche, dieses Verhältnisse darzustellen, sind Begriffe wie Dominanzgesellschaft, minorisiert oder marginalisiert.

Migrant:innenjugendselbstorganisationen (MJSO)

Migrant:innenjugendselbstorganisationen (MJSO) sind Migrant:innenselbstorganisationen (MSO), die von und für Jugendliche gegründet werden. Dabei müssen die Organisationen keine vorgegebene Rechtsform haben. Nicht alle MJSO sind als eigenständige Vereine organisiert oder besitzen eine Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe. Zum Teil handelt es sich (ggf. zunächst) auch um informelle Gruppen ohne formale Anbindung oder um eigenständige Gruppen innerhalb einer Erwachsenenorganisation (z.B. einer MSO). Die Mitglieder sind nicht notwendigerweise selbst migriert, sondern sind häufig in Deutschland geboren und fühlen sich durch ihren familiären Migrationshintergrund mit der MJSO verbunden. Insofern wird der Begriffsbestandteil „Migrant:innen“ nicht trennscharf verwendet. Neben dem Begriff MJSO findet auch der Begriff VJM für Verein(igung) oder Verband von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bzw. familiärer Migrationsgeschichte Verwendung.

Migrant:innenselbstorganisationen

Migrant:innenjugendselbstorganisationen (MJSO) sind Migrant:innenselbstorganisationen (MSO), die von Jugendlichen und/oder für Jugendliche gegründet wurden. Dabei müssen die Organisationen keine vorgegebene Rechtsform haben. Nicht alle MJSO sind als eigenständige Vereine organisiert oder besitzen eine Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe. Zum Teil handelt es sich (ggf. zunächst) auch um informelle Gruppen ohne formale Anbindung oder um eigenständige Gruppen innerhalb einer Erwachsenenorganisation (z.B. einer MSO). Die Mitglieder sind nicht notwendigerweise selbst migriert, sondern sind häufig in Deutschland geboren und fühlen sich durch ihre familiäre Einwanderungsgeschichte mit der MJSO verbunden. Insofern wird der Begriffsbestandteil „Migrant:innen“ nicht trennscharf verwendet. Neben dem Begriff MJSO findet auch der Begriff VJM für Verein(igung) oder Verband von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bzw. familiärer Einwanderungsgeschichte Verwendung. Aktuellere Begriffe wie beispielsweise BIPoC*-Jugendgruppen greifen stärker Selbstbezeichnungen auf.

Migrantisch situiertes Wissen

Das Konzept „situierten Wissens“ wurde 1988 von der weißenfeministischen Wissenschaftsphilosophin Donna Haraway für die feministisch-wissenschaftstheoretische Debatte entwickelt. Haraway geht dabei von einer grundsätzlichen Bedingtheit jeglichen Wissens aus. Dies bedeutet: Situiertes Wissen ist stets begrenzt. Auch als universell präsentiertes (wissenschaftliches) Wissen ist nicht neutral, sondern sozial, kulturell und historisch verortet und nur eine mögliche Wissensform unter vielen. Herrschendes Wissen muss folglich stets aus unterschiedlichen Perspektiven heraus kritisch überprüft, dekonstruiert und interpretiert werden.

Migrantisch situiertes Wissen verweist auf das kritische Wissen um die Wirkungsmechanismen und -orte von Rassismus aufgrund der eigenen individuellen und kollektiven Erfahrungen migrantisierter Menschen. Es ist Wissen, was augenscheinlich durch die Betroffenen erschaffen werden muss, obwohl es eigentlich längst vorhanden ist, aber in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen nicht thematisiert oder sichtbar gemacht bzw. aus weißer Perspektive als nicht legitim empfunden wird. Daher muss die Expertise der Betroffenen in der Thematisierung und Aufarbeitung rassistischer Strukturen handlungsleitend sein.

Ein wichtiges Beispiel für die Bedeutung migrantisch situierten Wissens ist die Aufarbeitung der NSU-Morde. Angehörige und Überlebende der Gewalttaten kritisierten eine gesellschaftliche Ignoranz und Ausblendung des strukturellen Rassismus, der u.a. in den Ermittlungspraktiken der Polizei zum Ausdruck kam. Migrantisch situiertes Wissen ist damit Strategie, Gegennarrativ und Perspektive zugleich. Über eigene, widerständige Praktiken der Bedeutungsproduktion und Artikulation bewiesen Angehörige und Betroffene, wie struktureller Rassismus sich trotz Ignoranz und Ausblendung dennoch thematisieren und darstellen lässt. 

Migrantisierung

Der Begriff beschreibt den Prozess der Zuschreibung einer Migrationsgeschichte (siehe auch Fremdzuschreibung), unabhängig davon, ob eine Person selbst migriert ist oder nicht. Gleichzeitig werden nicht alle Menschen, die tatsächlich migriert sind, auch migrantisiert. So werden weiße Menschen in den seltensten Fällen als Migrant:innen gelesen. Migrantisierung ist eine Praxis der Mehrheitsgesellschaft und geht mit Prozessen der Rassifizierung und des Othering (siehe auch Migrationsandere) einher, die Menschen zu Fremden machen und sie an einen Herkunftsort außerhalb Deutschlands bzw. Europas verweisen. Dabei sind migrantisierte Personen häufig nicht nur von Rassismus betroffen, sondern können unabhängig von ihrem sozio-ökonomischen Status auch Klassismus erleben, da Migrantisierung häufig mit einer Klassenzuweisung einhergeht, die gesellschaftlich weniger angesehen ist.

Siehe auch Integration und Migrationshintergrund

Migration

Der Begriff Migration bezeichnet auf Dauer angelegte Wechsel des Wohnortes von Personen. Dabei kann es sich um Wanderungsbewegungen innerhalb eines Staatsgebietes (Binnenmigration) oder um eine Staatsgrenzen überschreitende Wanderungsbewegung handeln (internationale Migration). In Bezug auf die Richtung von Migration wird zwischen Immigration bzw. Einwanderung und Emigration bzw. Auswanderung unterschieden. Wenn Menschen sich frei entscheiden können, wo sie leben, – wenn also keine oder nur wenige restriktive Gesetze bestehen –, tendieren sie dazu, zwischen der Herkunftsgesellschaft und dem Zielland der Migration zu pendeln (Pendelmigration). In Bezug auf die Motive und Formen der Migration wird u.a. zwischen freiwilliger (z.B. Arbeitsmigration, Familienmigration, Altersmigration) und unfreiwilliger Migration (z.B. Flucht, Vertreibung, Versklavung) unterschieden. Migration ist kein ausschließliches Phänomen der Moderne. Dass Menschen ihren Geburtsort oder das Geburtsland verlassen, gehört seit jeher zur Geschichte der Menschheit. 

Siehe auch Aussiedler:innen, Imperiale Lebensweise, Integration, Migrationshintergrund, Nation, Nationalismus, Rassismus, Spätaussiedler:innen und Völkischer Nationalismus

Migrationsandere

Der Begriff Migrationsandere geht auf den Migrationspädagogen Paul Mecheril zurück und soll aufzeigen, dass Menschen entlang unterschiedlicher Aspekte, wie Staatsbürger:innenschaft, Mehrsprachigkeit, Aussehen, Religion usw. in Abgrenzung zum mehrheitsgesellschaftlichen „Eigenen“ als „Andere“ markiert werden. Obwohl bereits eine Vielzahl an Bezeichnungen, wie „Menschen mit Migrationshintergrund“, „Menschen mit Migrationsgeschichte“ oder „Menschen mit Migrationserfahrung“ existieren, betont keiner dieser Bezeichnungen den Prozess der Andersmachung (Othering) der bezeichneten Menschen. Dabei wird gerade in Abgrenzung zu „Menschen mit Migrationshintergrund“ ein mehrheitsgesellschaftliches „Wir“ entworfen, das sich beispielsweise als frei von Migration versteht. Im Gegensatz dazu wird mit dem Begriff Migrationsandere nicht nur deutlich, dass Menschen entlang bestimmter Merkmale zu „Anderen“ gemacht werden, sondern auch betont, dass Menschen erst aus einer bestimmten Beobachtungsperspektive heraus vom „Eigenen“ als „Andere“ abgegrenzt werden. Darin wird auch ersichtlich, dass die Bezeichnung Migrationsandere ein relationaler Begriff ist, da das „Eigene“ nicht ohne das „Andere“ und umgekehrt begründet werden kann. So wird mit dem Begriff Migrationsandere ein gesellschaftliches Verhältnis ausgedrückt, das von Differenz- und Dominanzverhältnissen gekennzeichnet ist.

Migrationsgesellschaft

Der Begriff Migrationsgesellschaft ist im Jahr 2004 von Paul Mecheril im Rahmen seines Entwurfs einer Migrationspädagogik geprägt worden. Er geht über die Begriffe der Zuwanderungs- oder Einwanderungsgesellschaft hinaus. Denn im Gegensatz zu ihnen setzt Migrationsgesellschaft Nationalstaaten nicht als selbstverständliche nach außen abgeschlossene Bezugsgrößen von Migrationsphänomenen voraus. Dadurch schließt der Begriff Migrationsgesellschaft erstens ein weiteres Spektrum von historischen und gegenwärtigen Wanderungsphänomenen ein, z.B. Pendelmigration. Zweitens erfasst er Phänomene, die für Migrationsgesellschaften – also potenziell für die Erfahrungen aller ihrer Angehörigen – charakteristisch sind. Dazu zählen u.a. die Entstehung transnationaler sozialer Räume und Zugehörigkeiten, Hybridität, die Herstellung von Fremdheit, Alltagsrassismus, die Aushandlung von Grenzvorstellungen und Zugehörigkeitsordnungen. Drittens entzieht sich der Begriff Migrationsgesellschaft dem interessengeleiteten Zweck, das Prinzip der Nationalstaaten weltweit zu stabilisieren.

In einer missverständlichen Verwendung wird der Begriff nur auf migrierte Menschen und deren direkte Nachkommen bezogen. Diese Verwendung konstruiert eine „deutsche Gesellschaft“, die frei von Migration ist, und eine „Migrationsgesellschaft“, die von dieser Norm abweicht und nicht wirklich „deutsch“ ist. Diese Verwendung wirkt also ausschließend, verandernd (Othering) und letztendlich rassistisch. Vielmehr bezieht sich Migrationsgesellschaft auf alle Menschen in Deutschland. Deutschland ist als Ganzes eine Migrationsgesellschaft.

Siehe auch Einwanderungsgesellschaft, Nation und Nationalismus.

Migrationshintergrund

Nachdem die Unterscheidung zwischen „Ausländer:innen“ und „Deutschen“ als unzureichend für die Beschreibung migrationsbedingter Diversität in der Bundesrepublik wahrgenommen worden ist, ist mit dem Mikrozensusgesetz von 2004 der Begriff des „Migrationshintergrundes“ eingeführt worden. Das für die Durchführung des Mikrozensus zuständige Statistische Bundesamt erhob regelmäßig, wer in Deutschland einen Migrationshintergrund hat, und definierte: „Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt“. Hieran erhob sich Kritik, da die Bezeichnung „Migrationshintergrund” von Betroffenen vielfach als diskriminierend empfunden wurde, zumal die Begriffsverwendung im gesellschaftlichen Diskurs und in den Medien häufig negativ konnotiert ist. Seit 2023 wurden die Auswertungen aus dem Mikrozensus daher auf das Konzept der Einwanderungsgeschichte umgestellt. Als Personen mit Einwanderungsgeschichte gelten seitdem statistisch „Eingewanderte (erste Generation) und ihre direkten Nachkommen (zweite Generation)”. Die Gegenkategorie umfasst somit Personen „ohne Einwanderungsgeschichte“.

Beide Begriffe ziehen also unabhängig von der Staatsbürgerschaft der Betroffenen auch eine Grenze zwischen „normalen“ und „nicht normalen“ Deutschen. Mit anderen Worten bezieht er sich auf eine Norm, nämlich nicht migriert zu sein, und ermöglicht es, diejenigen zu markieren, die von dieser Norm abweichen. Nach der Einführung auf institutioneller Ebene hat sich der Begriff auch im alltäglichen Sprachgebrauch durchgesetzt, wenn deutlich gemacht werden soll, dass jemand vielleicht kein:e „Ausländer:in“ im staatsbürgerlichen Sinn ist, aber doch von einer vermeintlichen Norm des „Deutschen“ abweicht. Auch Deutsche können also mit einem Migrationshintergrund betitelt werden, selbst wenn ihre Familie seit vielen Generationen in Deutschland lebt. D.h. Es spielen auch rassistische Vorannahmen aufgrund des Aussehens eine Rolle, die zu einem Othering Anlass geben. 

Um Repräsentationsverhältnisse und rassistische Strukturen (bspw. in Führungspositionen oder in staatlichen Behörden) zu beschreiben, ist das Konzept ebenfalls nicht hilfreich, da potenzielle Betroffenheit von Rassismus sich nicht mit einem „Migrationshintergrund“ oder einer „Einwanderungsgeschichte“ deckt (bspw. gibt es Schwarze oder muslimische Deutsche, die der Definition zufolge keinen „Migrationshintergrund“ oder „Einwanderungsgeschichte“ haben). Deswegen werden Forderungen laut, statt des „Migrationshintergrundes“ die Diskriminierungserfahrungen von Menschen zu messen.

Siehe auch Neorassismus

 

Migrationspädagogik

Die Migrationspädagogik wurde zu Beginn der 2000er Jahre erstmals von Paul Mecheril als eine Perspektive auf das Verhältnis von Pädagogik und Migration systematisch dargestellt. Im Unterschied zu den kulturalisierenden Herangehensweisen der Ausländerpädagogik und Interkulturellen Pädagogik setzt die Migrationspädagogik „kulturelle Differenzen“ nicht voraus, sondern stellt die angenommene Naturhaftigkeit und die vermeintliche Unveränderlichkeit, die „Kulturen“ zugesprochen wird, sogar infrage. „Kulturelle Differenz“ wird nicht als selbstverständlich existenter Unterschied, sondern als Praxis des Unterscheidens betrachtet, auf die unter bestimmten Bedingungen Akteur:innen (z.B. Pädagog:innen) zurückgreifen. Migrationspädagogik befasst sich also damit, wie Ordnungen der Zugehörigkeit unter den bestehenden rassistischen Machtverhältnissen politisch, kulturell, juristisch und in Interaktionen hergestellt werden, innerhalb derer Menschen unterschieden und so positioniert werden, dass ihnen unterschiedliche Werte der Anerkennung und Möglichkeiten des Handelns zugewiesen werden. Aus dieser Beschäftigung leitet die Migrationspädagogik keine konkreten pädagogischen Handlungsvorgaben ab, sondern fordert dessen kontinuierliche Reflexion.

Siehe auch Interkulturelles Lernen und Kultur

Mikroaggressionen

Unter Mikroaggressionen werden die Folgen bewusster und unbewusster Akte verstanden, die durch offene und subtile Botschaften strukturell diskriminierte Menschen wiederholt und nadelstichartig verletzen, indem sie sie als abweichend von der dominanten Norm darstellen, stereotypisieren, entwürdigen und symbolisch ausschließen. Beispiele für Mikroaggressionen sind Alltagsrassismen.

Minderheit

Der Begriff Minderheit (oder Minorität) beschreibt eine kleinere Gruppe von Menschen innerhalb einer größeren Gesellschaft oder eine Gruppe, die in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen unterrepräsentiert ist. Minderheiten können sich durch soziale, ethnische, religiöse oder politische Merkmale von der Mehrheit unterscheiden.

Zu einer Minderheit zu gehören, kann Vorteile oder Nachteile haben. Während manche Minderheiten privilegiert sind, wie etwa reiche Eliten, werden andere benachteiligt, ausgegrenzt und diskriminiert. Um solchen Benachteiligungen entgegenzuwirken, dienen Minderheitenrechte dem Schutz vor Unterdrückung und fördern gleichzeitig Vielfalt und individuelle Entfaltung, zentrale Werte in modernen Demokratien.

Auch Gruppen, die in der Gesamtbevölkerung die Mehrheit oder fast die Mehrheit bilden, können durch Diskriminierung zur Minderheit werden. So sind Frauen in Machtpositionen in Deutschland immer noch unterrepräsentiert. Um diesen Prozess sprachlich hervorzuheben, wird auch von minorisiert oder marginalisiert gesprochen (siehe auch Dominanzgesellschaft und Mehrheitsgesellschaft).

Geschichtlich betrachtet, wurden Minderheiten oft verfolgt, wie im Nationalsozialismus, wo Juden:Jüdinnen, Sinti:zze und Rom:nja systematisch ermordet wurden. In demokratischen Gesellschaften gilt jedoch, dass niemand wegen Herkunft, Religion oder anderen Merkmalen diskriminiert werden darf – ein Prinzip, das im Grundgesetz verankert ist.

Misogynie

Misogynie geht auf das Griechische „misein“ hassen und „gyne“ Frau zurück und bezeichnet die Abwertung von Frauen und die Annahme, dass Frauen von Natur aus minderwertig seien. Misogynie bezieht sich auch auf die institutionelle und strukturelle Verankerung abwertender Annahmen gegenüber Frauen, die dazu führen, dass Frauen Zugang zu Macht und Einfluss verwehrt wird und sie in eine untergeordnete Rolle gedrängt werden.

Im Gegensatz zu Sexismus, der als Ideologie dient, um patriarchale Gesellschaftsordnungen zu rechtfertigen (Patriarchat), wird Misogynie laut der Philosophin Kate Manne als Mechanismus verstanden, der diese Ordnung mit Handlungen und Normen aktiv durchsetzt.

Misogynie steht auch in enger Verbindung zu Antifeminismus, der gezielt gegen feministische Bestrebungen arbeitet und Frauenrechte sowie Gleichstellung untergräbt. Besonders Schwarze Frauen erleben eine spezifische Form von Frauenhass, die Rassismus und Sexismus kombiniert und mit dem Begriff „misogynoir" bezeichnet wird (siehe auch Intersektionalität).

MJSO

Moderner Antisemitismus

Der moderne Antisemitismus beinhaltet die offene Abwertung und Diskriminierung von Juden:Jüdinnen auf der Basis negativer und seit Jahrtausenden tradierter Stereotype, die Juden:Jüdinnen als vermeintlich vererbbar zugeschrieben werden. Ab dem 18. Jahrhundert wurde im Antisemitismus zum einen behauptet, dass Juden:Jüdinnen nicht zur Nation gehören und deshalb rechtlich nicht gleichgestellt sein könnten. Gleichzeitig wurden und werden Juden:Jüdinnen immer wieder aufgefordert, sich zu assimilieren – also aufzuhören, als Juden:Jüdinnen zu existieren –, um so ihre Gleichstellung zu erreichen. Zum anderen nahmen Juden:Jüdinnen im antisemitischen Denken den Platz von „inneren Anderen” ein: Sie gehörten zum Inneren der Nation, waren im antisemitischen Denken aber gleichzeitig nicht Teil der Nation. Damit stellten sie das Prinzip der Nation selbst in Frage. Diese Gegenüberstellung von eigenem „Volk”, allen anderen „Völkern” und „Juden” bildet bis in die Gegenwart das Grundmuster des modernen Antisemitismus. Dem modernen Antisemitismus werden verschwörungstheoretische Zuschreibungen etwa von einer besonderen ökonomischen oder politischen Macht von Juden:Jüdinnen zugeordnet. Damit werden alle als bedrohlich empfundenen Tendenzen der modernen Gesellschaft und die Ursache für innere Ambivalenzen „den Juden“ zugeschrieben (siehe auch Ambiguitätstoleranz).

Multiplikator:in

Der Begriff Multiplikator:in leitet dass sich vom lateinischen Wort „multiplicare“ (dt. vervielfachen) ab und hat seinen Ursprung in der Arithmetik. In der Bildungsarbeit beschreibt er sowohl Personen als auch Institutionen, die bildungsförderliche Fachinformationen, Strategien und Kompetenzen weiter vermitteln bzw. Methoden anwenden und so zu einer Vervielfältigung des jeweiligen Wissensstandes und der Kompetenzen bei Teilnehmer:innen, Kolleg:innen, Mitarbeiter:innen usw. beitragen. Andere Fachrichtungen, in denen der Multiplikator:innen-Begriff Verwendung findet, sind die Volkswirtschaft, die Werbung und die Digitaltechnik. 

Muslim:a

Die Begriffe Muslim und Muslima bzw. der weniger gebräuchliche Begriff des Moslem bezeichnen Personen, die dem Islam angehören. Dabei sagt die Bezeichnung noch nichts über die Richtung des Islam (u.a. Schiit:innen, Sunnit:innen) oder den Grad der Religiosität aus. Einer oft zitierten Schätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2016 zufolge leben in Deutschland etwa 4,4 bis 4,7 Mio. Muslim:as. Dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von 5,4 bis 5,7%. Wie viele praktizierende Muslim:as genau in Deutschland leben, ist aufgrund unterschiedlicher Methoden der Befragung und Hochrechnung, fehlender statistischer Daten und Ungenauigkeiten bei der Erfassung der Religionszugehörigkeit aber nicht genau ermittelbar. Die genannte Schätzung des BAMF ist wahrscheinlich zu hoch, da auch Alevit:innen mitgezählt wurden, die sich überwiegend als eigene religiöse Gruppe verstehen, und zudem nicht-gläubige Muslim:as als „Muslime“ markiert wurden bzw. sich als solche bezeichneten. Dies sagt einerseits etwas über die ethnisierende gesellschaftliche Wahrnehmung der Kategorie „Muslim“ aus. Wenn sich Menschen als Muslim:a bezeichnen, obwohl sie nicht gläubig und praktizierend sind, kann dies andererseits wiederum eine Reaktion auf Fremdzuschreibungen und Diskriminierungen als „Muslim“ sein (Antimuslimischer Rassismus).

Muslimfeindlichkeit

Der Begriff „Muslimfeindlichkeit” wird häufig synonym zu Islamfeindlichkeit und Islamophobie verwendet. Im Rahmen des Konzepts der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) dient er seit 2016 dazu, um entsprechende Einstellungsmuster zu bezeichnen. Neben den Kritikpunkten, die auch auf die Begriffe Islamfeindlichkeit und Islamophobie zutreffen, ist er als unpräzise zu kritisieren, da sich feindselige Einstellungen und Handlungen nicht nur gegen praktizierende Muslim:as, sondern auch gegen Menschen richten, die als „Muslime” markiert werden. Der Begriff Antimuslimischer Rassismus bietet sich als rassismuskritische Alternative an. Denn er verdeutlicht, dass rassistische Handlungen die Gruppe der „Muslime” unabhängig von der Selbstdefinition und Religiosität der Betroffenen aktiv herstellen.