IDA e.V. auf Facebook
IDA e.V. auf Instagram
RSS Feed abonnieren

Glossar

Im Glossar erläutert IDA zentrale Begriffe aus seinen Arbeitsbereichen kurz und verständlich. Das Glossar wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Sie vermissen einen Begriff? Schreiben Sie uns einfach an Info(at)IDAeV.de.

Weiß / Weißsein

Mit weiß ist nicht unbedingt die Schattierung der Haut eines Menschen gemeint, sondern die Positionierung und soziale Zuschreibung als weiß in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft (siehe Struktureller Rassismus). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass durch Rassifizierung und Rassismus nicht nur rassistisch markierte Menschen, sondern auch rassistisch nicht markierte Menschen positioniert werden. D.h. Rassismus weist auch weißen Menschen strukturell einen bestimmten sozialen Ort zu. Dieser Ort ist verbunden mit Privilegien, Dominanzerfahrungen und der Erfahrung als Maßstab zur Beurteilung nicht-weißer Menschen zu fungieren, ohne selbst als weiß markiert zu werden. Wer als weiß gilt und wer nicht, variiert historisch, sozial und geografisch. Dennoch ist Weißsein historisch und gesellschaftsstrukturell verankert, sodass es keine Frage der freien Entscheidung ist, ob weiße Menschen Vorteile aus dieser Positionierung ziehen und ob sie Dominanz ausüben können. Die Bezeichnung weiß dient also dazu, diese in der Regel unmarkiert bleibende Positionierung weißer Menschen – mit ihren in der Regel für sie unsichtbaren Folgen – sichtbar zu machen. Erst dadurch lassen sich bestehende Machtverhältnisse und Normalitätsvorstellungen beschreiben, analysieren, reflektieren und verändern, ohne dass soziale Positionen als natürliche Eigenschaften von Menschen erscheinen (siehe Identität (kollektive)). Um diese Zusammenhänge deutlich zu machen, wird in diesem Glossar weiß stets kursiv gesetzt.

Die Kategorie des Weißseins muss allerdings bei ihrer Übertragung aus dem US-amerikanischen Kontext an Geschichte und Gesellschaft in Deutschland angepasst werden. So werden Menschen mit osteuropäischen Bezügen von außen zwar oftmals als „weiß“ eingeordnet, erleben aber Antislawischen Rassismus und sind somit nicht weiß positioniert. Hinzu kommt die lange Geschichte der Diskriminierung und Verfolgung von Menschen mit osteuropäischen Bezügen, z.B. im Deutschen Kaiserreich und im Nationalsozialismus.

Auch in ihrer Übertragung auf Juden:Jüdinnen ist die Unterscheidung zwischen Schwarz und weiß kritisch zu sehen. Wird sie verabsolutiert verwendet, führt dies in Bezug auf Juden:Jüdinnen häufig dazu, dass diese fälschlicherweise als weiß eingeordnet werden. Damit verbunden werden Juden:Jüdinnen dann weiße Privilegien zugeschrieben. Diese Argumentation speist sich aus stereotypen antisemitischen Legenden von „jüdischer Privilegiertheit“ und „Übermacht“, die im Verborgenen wirke. Darüber hinaus verkennt sie, dass Juden:Jüdinnen sehr wohl Rassismuserfahrungen machen. Gerade in Deutschland ist der weit überwiegende Teil der Juden:Jüdinnen aus Osteuropa - v.a. aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion - eingewandert und daher von Antislawischem Rassismus betroffen. Und die Argumentation verkennt, dass Weißsein in Deutschland durch die Geschichte des christlichen Antisemitismus (siehe Antijudaismus) und des völkischen Nationalismus christlich geprägt ist und daher Juden:Jüdinnen aus dem Weißsein ausgeschlossen sind. Juden:Jüdinnen als weiß darzustellen, hat also zur Folge, dass sowohl die Rassismus- als auch die Antisemitismuserfahrungen von Juden:Jüdinnen ignoriert werden. 

Häufig wird die Unterscheidung zwischen Schwarz und weiß auch auf den Israel-Palästina-Konflikt übertragen. Auch in diesem Zusammenhang führt sie zur Reproduktion von Antisemitismus (siehe Israelbezogener Antisemitismus und Kolonialismus).

Siehe auch Critical Whiteness und Selbstzuschreibung
 

Weiße Privilegien

Mit weißenPrivilegien (White Privilege) sind die unhinterfragten und unverdienten Vorteile, Ansprüche und Privilegien gemeint, die weißen Menschen aufgrund ihrer machtvollen Positionierung in der rassistischen Machtstruktur der Gesellschaft zuteilwerden (Struktureller Rassismus). In unserem gesellschaftlichen System ist Weißsein die Norm und der unsichtbare Maßstab, gegenüber dem BIPoC* als Abweichung erscheinen. Für Personen, die Rassismus erfahren, ist Weißsein keine unsichtbare Norm, sondern bedeutet eine kontinuierliche Konfrontation. Doch für Personen mit weißen Privilegien ist diese normstiftende Position nur schwer zu fassen. Deshalb ist es ein Ziel der Whiteness Studies, die für weiße Menschen oft unsichtbare Norm des Weißseins und weiße Privilegien zu demaskieren.

Siehe auch Critical Whiteness und Powersharing

Weiße Tränen (White Tears)

Weiße Tränen (engl. White tears) beziehen sich auf die Tränen weißer Menschen, die als Reaktion auf rassismuskritische Gespräche emotional reagieren und sich unwohl oder angegriffen fühlen, anstatt Verantwortung zu übernehmen oder zu reflektieren (siehe Weiße Zerbrechlichkeit). Diese Reaktionen können dazu führen, dass das Gespräch über Rassismus gestoppt oder abgebrochen wird, weil die Emotionen der weißen Person als wichtiger angesehen werden als die tatsächlichen Themen, die zur Diskussion stehen, z.B. unbewusste rassistische Annahmen oder Handlungen, und als die Emotionen und Verletzungen von BIPoC*, die möglicherweise in der Situation anwesend sind.

Daher weisen weiße Tränen auf Abwehr hin und werden oft eingesetzt, um sich der unangenehmen Erkenntnis zu entziehen, in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft zu leben und auch ungewollt Anteil an der Reproduktion von Rassismus zu haben. Diese Dynamiken gelten insbesondere für die Tränen weißerFrauen. Sie aktivieren häufig sexistische Reflexe weißer cis-hetero Männer, „ihre“ Frauen schützen zu müssen und können dadurch besonders eine Gefahr für BIPoC* Männer darstellen, da diese in der Folge häufig zur Zielscheibe rassistischer Angriffe werden. Daher kann es für BIPoC* Männer eine Frage des Selbstschutzes sein, eine weiße Frau zu trösten.

Siehe auchWeißer Blick und White Washing

Weiße Vorherrschaft (White Supremacy)

Weiße Vorherrschaft ist eine Ideologie, die von der Überlegenheit weißer Menschen ausgeht und diese gleichzeitig als bedroht ansieht. Die White Supremacy ist ein sich selbst aufrechterhaltendes System, das Kolonialismus, Ausbeutung, Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Rassismus reproduziert und gleichzeitig verschleiert. In einer Gesellschaft der weißen Vorherrschaft sind weiße Menschen grundlegend privilegiert, während BIPoC* ausgegrenzt und abgewertet werden. In der Critical Race Theory wird der Begriff White Supremacy auch als Beschreibung für ein politisches, kulturelles und soziales System genutzt, in dem Weißewirtschaftliche Ressourcen und Machtzugänge kontrollieren. 

Weiße Zerbrechlichkeit (White Fragility)

Weiße Zerbrechlichkeit ist eine Reaktion weiß positionierter Menschen auf die Auseinandersetzung mit der Realität des Rassismus als einer gesellschaftlichen Struktur (Struktureller Rassismus), der eigenen Verwicklung und den rassistischen Wirkungen des eigenen Verhaltens. Sie ist eine meist unbewusste Strategie, um diese Auseinandersetzung abzuwehren. Sie resultiert aus dem Umstand, dass weißpositionierte Menschen nur selten mit Rassismus, unbewussten Rassismen oder ihren Privilegien konfrontiert werden und daher nicht gelernt haben, damit auf eine angemessene und konstruktive Weise umzugehen.

Weiße Zerbrechlichkeit kann sich äußern in Wut, Verärgerung, Weinen (weiße Tränen), Rückzug, Abschalten, Ignoranz, usw. Die Folge ist, dass die Person, die Rassismus anspricht, zum:zur Täter:in gemacht wird, während sich das Gegenüber in die Opferrolle begeben kann. Dadurch nimmt das Gegenüber mehr Zeit und Aufmerksamkeit dafür in Anspruch, dass ihre emotionalen oder Verhaltensreaktionen bearbeitet werden, als dass über Rassismus oder rassistische Wirkungen gesprochen werden kann, die ihre Sprache und Verhalten möglicherweise zeitigt. Weiße Zerbrechlichkeit verunmöglicht auf diese Weise eine aufrechte Auseinandersetzung mit Rassismus, den eigenen Privilegien und der Verantwortung weiß positionierter Menschen. Stattdessen kann das Selbstbild einer guten, liberalen und „weltoffenen“ Person aufrechterhalten werden. Dadurch führt weiße Zerbrechlichkeit dazu, dass rassistische Machtverhältnisse aufrecht erhalten bleiben. Weiße Perspektiven auf Rassismus bleiben dominant, wodurch weiße Definitionsmacht und Dominanz bestätigt werden. Um diesen negativen Zirkel zu durchbrechen, ist es essentiell, dass weißeMenschen lernen, Kritik, Hinweise und Feedback konstruktiv entgegenzunehmen.

Siehe auch Critical Whiteness Sekundärer Rassismus und Tone Policing

Weißer Blick (White Gaze)

Der Begriff White Gaze (dt. weißer Blick) geht auf die afroamerikanische Schriftstellerin Toni Morrison zurück. Diese beobachtete, dass die meisten Bücher für eine weiße Leser:innenschaft geschrieben werden, der:die weiße Leser:in somit als stillschweigend vorausgesetzte „Standard-Leser:in“ gilt. Der White Gaze beschreibt demnach eine Perspektive, die lediglich die Lebensrealitäten, Normvorstellungen und Wahrnehmungen weißerMenschen wiedergibt, gleichzeitig die aller anderen Menschen ausschließt, weil sie sie nicht als Teil der Norm wahrnimmt. Dadurch reproduziert der White Gaze Rassismen. Diese weiße Perspektive beeinflusst auch BIPoC* Autor:innen, weil sie ebenfalls in die rassistischen Diskurse der Gesellschaft verstrickt sind. Morrison und andere Autor:innen erläutern, dass der Einfluss des White Gaze sich darin zeigt, dass auch sie sich teils unbewusst Gedanken über die Rezeption ihrer Werke durch weiße Leser:innen oder Zuschauer:innen machen oder aktiv darauf achten rassistische Klischees nicht zu reproduzieren. Jedoch verweist Morrison darauf, dass Autor:innen und Künstler:innen sich durch das Bewusstmachen dieses Einflusses durchaus vom White Gazebefreien können.

Siehe auch Critical Whiteness, Dekolonisierung, Doppeltes Bewusstsein und Internalisierung

Whataboutism

Der Begriff Whataboutism leitet sich aus einer englischen Redewendung ab, die mit „Was ist denn mit…?“ übersetzt werden kann. Diese Gesprächsstrategie kann häufig in Diskussionen zum Thema Rassismus beobachtet werden. So wird zum Beispiel beim Adressieren rassistischer Diskriminierung mit dem Hinweis auf andere vermeintliche Diskriminierungserfahrungen reagiert. Dies dient der Ablenkung und Relativierung von Rassismuserfahrungen bzw. Erfahrungen marginalisierter Gruppen.

In diesem Fall stellt Whataboutism einen weißen Abwehrmechanismus dar und bildet eins der unterschiedlichen Reaktionsmuster von white fragility.  

Bei Whataboutism handelt es sich also um ein rhetorisches Ablenkungsmanöver, bei dem eine kritische Frage oder ein Argument mit einer Gegenfrage erwidert wird, um vom Thema der Diskussion abzulenken. Die anfängliche Aussage wird mit einer Gegenaussage relativiert, die nichts mit der Ursprungsaussage zu tun hat. Durch die Ablenkung leitet das Gegenüber ein neues Thema ein und es soll verhindert werden, dass die Argumente zum ursprünglichen Thema kritisiert werden. Möglichkeiten Whataboutism zu begegnen sind, sich nicht provozieren zu lassen, den fehlenden Zusammenhang zu benennen, auf das Ablenkungsmanöver hinzuweisen und beim eigentlichen Thema zu bleiben.

White Passing

Passing bedeutet, anders wahrgenommen zu werden als die eigene Selbstpositionierung ist. Im Falle des White Passing werden BIPoC* in bestimmten Kontexten als weiß gelesen (engl. White appearing oder White presenting), machen aber gleichzeitig in anderen Kontexten Rassismuserfahrungen. Menschen, denen White Passing „gelingt”, sind also nicht zwangsläufig geschützt vor Rassismus, auch wenn bestimmte Situationen individuell vielleicht vermieden werden können und die Erfahrung, weiß gelesen zu werden, mit vermeintlichen Privilegien einhergeht. Sie entsprechen nicht dem vorherrschenden Bedürfnis nach einer eindeutigen Einteilung und Hierarchisierung und sind deswegen (zusätzlich) anderen Arten von Zuschreibung und Exklusion ausgesetzt, etwa wenn sie darauf hingewiesen werden, dass sie ja weder „richtig Schwarz“ noch „richtig weiß“ seien. So findet letztendlich ein doppeltes Othering statt: Das Gegenüber möchte bestimmen, wie sich die Person identifiziert.

Im Zusammenhang mit Antisemitismus kommt dem White Passing eine andere Bedeutung zu, weil manche es als Beleg verstehen, dass Juden:Jüdinnen weiß seien. Sie würden das weiße Privileg der Unsichtbarkeit genießen. Für weiß gelesene Juden:Jüdinnen ist dieses vermeintliche Weißsein aber an die Bedingung geknüpft, ihr Jüdischsein und damit einen wichtigen Teil der eigenen Identität  verheimlichen zu müssen oder sich in ihrem Jüdischsein an die herrschende christliche Norm anpassen zu müssen, um möglichst in ihrem Jüdischsein nicht aufzufallen. Deswegen wird hier auch von Conditional Whiteness gesprochen. Unsichtbarkeit stellt für Juden:Jüdinnen also kein weißes Privileg dar, sondern eine Überlebensstrategie. Für die Existenz von BIPoC* Juden:Jüdinnen, für ihre Rassismuserfahrungen und für die Jahrtausende lange Verfolgungsgeschichte von Juden:Jüdinnen wird in der dargestellten Annahme somit kein Platz gelassen.

Siehe auch Selbstzuschreibung

White Washing

White Washing (dt. Schönfärberei, wörtlich Weißwaschen), beschreibt in der Film- und Theaterbranche das Phänomen, dass BIPoC* Charaktere mit weißen Schauspieler:innen besetzt werden oder weiße Figuren erfunden werden, um die Geschichte dann aus ihrer Perspektive zu erzählen. Auf diese Weise werden BIPoC* unsichtbar gemacht. Was heute als Rassismus und kulturelle Aneignung kritisiert wird, hatte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Tradition. Ein Beispiel aus deutscher Sicht liefert hierfür die Winnetou-Reihe, in der Winnetou vom weißen Franzosen Pierre Brice gespielt wurde (Redfacing/Redface). Das umgekehrte Verhältnis (weißeCharaktere werden mit BIPoC* Schauspieler:innen besetzt) hat dagegen Seltenheitswert.

Siehe auch Repräsentationsverhältnisse

Woke

Der englische Begriff woke bedeutet wörtlich im Deutschen „wach, erwacht”. Das zugehörige Substantiv ist Wokeness. Er bezeichnet eine Haltung der gesteigerten Aufmerksamkeit und Sensibilität für rassistische (und inzwischen auch andere diskriminierende) Prozesse, Strukturen und verinnerlichte Anteile von Rassismus (und anderen Formen von Diskriminierung). Woke beinhaltet auch die Bereitschaft der stetigen selbstkritischen Auseinandersetzung mit Rassismus und anderen Diskriminierungsformen. Ziel dieser Haltung ist, bestehende Ungerechtigkeiten zu analysieren und so zu korrigieren, dass alle Menschen die gleiche gesellschaftliche Sichtbarkeit (Repräsentationsverhältnisse) und Anerkennung erhalten (Social Justice).

Diese Bedeutung lässt sich aus seiner Herkunft aus der Vernakularsprache, der Alltagssprache Schwarzer US-Amerikaner:innen, herleiten. Das erste Mal belegt ist die Wendung „stay woke“ in einem Bluessong des Sängers Lead Belly aus dem Jahr 1938. Er stellte damals eine schlichte Warnung an Schwarze Menschen dar, durch besondere Wachsamkeit für Rassismus ihr Überleben zu sichern. Nach und neben anderen Verwendungen in Literatur und Popkultur wurde der Begriff in jüngerer Zeit durch die BlackLivesMatter-Bewegung populärer. 

Seitdem benutzen konservative bis rechtsextreme Akteur:innen in Deutschland und international den Begriff, um ihn als inhaltsleeres Feindbild aufzubauen, das alles das repräsentiert, was sie ablehnen: von der liberalen Demokratie, über geschlechtergerechte Sprache, Repräsentation und Anerkennung strukturell marginalisierter Gruppen bis hin zu Diversität, Diskriminierungs- und Rassismuskritik. Zu diesem Zweck diffamieren diese Akteur:innen Kernideen von Wokeness als eine Art Verschwörungsglauben und Ideologie. In dieser Funktion haben die Begriffe woke und Wokeness den Begriff der „politischen Korrektheit“ abgelöst.