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Der Begriff „Rasse" im Grundgesetz?

Links und Hintergründe zur aktuellen Diskussion über die Streichung des Begriffs „Rasse" in Artikel 3 des Grundgesetzes

Im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung in Deutschland und einer verstärkten Thematisierung von institutionellem Rassismus hat auch die Diskussion über den Begriff „Rasse" in Artikel 3 des Grundgesetzes eine neue Aktualität bekommen.

Im Juni 2020 hat sich Bundesjustizministerin Christine Lambrecht der Forderung der Grünen angeschlossen den Begriff aus Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz zu streichen und durch eine alternative Formulierung zu ersetzen: Mit der Streichung des Begriffs ,Rasse' aus dem Grundgesetz könnten wir ein weiteres wichtiges Signal gegen Rassismus setzen", so die Bundesjustiziministerin in einem Interview (Quelle: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Interviews/DE/2020/Print/061820_RND.html, vgl. zur Offenheit der Bundeskanzlerin für diese Überlegungen https://www.spiegel.de/politik/deutschland/grundgesetz-christine-lambrecht-spd-will-begriff-rasse-streichen-a-3aee6262-2149-470a-9057-1573c612ba96 sowie zur Unterstützung durch die Integrationsbeauftragte des Bundes https://www.tagesspiegel.de/politik/diskussion-um-aenderungen-am-grundgesetz-integrationsbeauftragte-will-begriff-rasse-streichen/25919514.html).

Die jetzige Formulierung in Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz lautet: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Die Bundesjustizministerin schlug vor den Passus seiner Rasse" durch rassistisch" zu ersetzen.

Positionierungen für eine Streichung des Begriffs Rasse aus dem Grundgesetz

Bereits 2010 hatte sich das Deutsche Institut für Menschenrechte in einem Policy Paper (vgl. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/_migrated/tx_commerce/policy_paper_16_ein_grundgesetz_ohne_rasse_01.pdf) für die Streichung des Begriffs ausgesprochen und eine alternative Formulierung vorgeschlagen. Dem haben sich in den letzten Jahren auch zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen aus der Mehrheitsgesellschaft und Migrant:innenorganisationen angeschlossen.

Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hatte sich schon 2015 für die Streichung ausgesprochen (vgl. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Aktuelles/DE/_Archiv/2015/verfassung-grundgesetz-20150309.html)

In der Jenaer Erklärung (https://www.uni-jena.de/190910_JenaerErklaerung, direkter Download: https://www.uni-jena.de/unijenamedia/universit%C3%A4t/abteilung+hochschulkommunikation/presse/jenaer+erkl%C3%A4rung/jenaer_erklaerung.pdf) hatten Wissenschaftler:innen 2019 in einem viel beachteten Text noch einmal klargestellt: Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung."

Aus der Perspektive der politischen Kommunikation und des Framings beleuchtet ein Artikel aus Politik&Kommunikationdie Diskussion und legt dar, warum es richtig und wichtig [ist], Formulierungen zu entfernen, die menschenverachtende Assoziationsmuster hervorrufen und verfestigen": https://www.politik-kommunikation.de/ressorts/artikel/warum-der-rasse-begriff-nicht-ins-grundgesetz-gehoert-1690052167.

Positionierungen gegen eine Streichung des Begriffs Rasse aus dem Grundgesetz

Cengiz Barskanmaz widerspricht dem Vorschlag des Deutschen Instituts für Menschenrechte 2011 in der Zeitschrift Kritische Justiz (vgl. https://www.parlament-berlin.de/ados/17/Recht/vorgang/r17-0185-v_Beitrag%20Cengiz%20Barskanmaz.pdf) und weist auf ein defizitäres Rassismusverständnis in Deutschland hin. Auch ordnet er die deutsche Diskussion in internationale Zusammenhänge ein, zumal der Begriff race" in zahlreichen internationalen Dokumenten verwendet wird, die auch für Deutschland relevant sind.

Auch aus dem Bereich von Migrant:innenorganisationen oder Organisationen von BIPoC gibt es kritische Stimmen zur Streichung des Begriffs Rasse" im Artikel 3. So warnt das von Emilia Roig geleitete Center for Intersectional Justice in Berlin in einer Pressemitteilung (vgl. https://www.intersectionaljustice.org/press-and-talk/2020-06-17-pressemitteilung-artikel-3-des-deutschen-grundgesetzes/) vor einer vorschnellen Tilgung des Begriffs und betont seinen Charakter als soziale Konstruktion, die auch dann Bestand habe, wenn der Begriff nicht mehr verwendet werde.

Elisabeth Kaneza weist auf der Website Junge Wissenschaft im öffentlichen Recht (vgl. https://www.juwiss.de/102-2020/) darauf hin, dass der Begriff Rasse" rechtlich nicht ausdrücke, dass es biologische Menschenrassen" gebe, sondern, dass es Personen und Gruppen gibt, die aufgrund dieses Merkmals Ungleichbehandlung erfahren. Die erste Funktion von Rasse im Recht ist somit, anzuerkennen, dass sowohl rassialisierte Gruppen als auch auf Rassismus basierende Hierarchien existieren und dass die daraus resultierenden Strukturen eine Gleichstellung verhindern." Sie argumentiert weiter, dass mit der vorgeschlagenen Formulierung rassistisch" Sinn und Zweck der entsprechenden Rechtsnormen verändert würden" und fordert ein, dass [p]olitische Parteien (…) jetzt nicht aktionistisch vorpreschen, sondern fachliche Beratungen von Wissenschaftler:innen, insbesondere Forscher:innen of Color, einholen [sollten], wie mit dem Merkmal Rasse im Grundgesetz umzugehen ist."

Fazit

Die kritischen Stimmen aus dem Bereich rassistisch diskreditierbarer Menschen und ihrer Organisationen machen deutlich, dass die Diskussion keineswegs so einfach und eindeutig ist, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie sollen aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verwendung des Begriffs Rasse im Grundgesetz vielen Menschen suggerieren mag, dass es eben doch Menschenrassen" gebe. Am Ende wird also eine Abwägung stehen müssen, ob es gelingen kann, den Begriff Rasse" durch eine Formulierung zu ersetzen, die die Schutzfunktion des Artikels 3 eher ausweitet als einschränkt und keine durch die bisherige Formulierung geschützten Tatbestände aufgibt.