Rechter Terror? Das hat es doch früher in der Bundesrepublik nicht gegeben! Die Chroniken, die jetzt in den Zeitungen erscheinen, gehen meist nur bis in die frühen neunziger Jahre zurück. Als wäre der Rechtsterrorismus ein Produkt der Wiedervereinigung oder allein ein Restgift, eine Altlast der implodierten DDR. Tatsächlich hat es in der Bundesrepublik schon lange zuvor rechten Terror gegeben. Besonders in den siebziger Jahren stieg die Zahl der Gewalttaten rasant an, eine Entwicklung, die 1980 in eine in der Bundesrepublik bis dahin unbekannte Häufung terroristischer Taten aus dem neonazistischen Spektrum mündete.
Die Verblüffung ist groß.
In jenem Jahr kam es nahezu im Monatsrhythmus zu Sprengstoff- und Brandanschlägen quer durch Deutschland. Die von dem Anwalt Manfred Roeder, Jahrgang 1929, gegründeten Deutschen Aktionsgruppen richteten ihre Gewalt unter anderem gegen das Landratsamt in Esslingen, in dessen Räumen eine Auschwitz-Ausstellung aufgebaut war, und in Hamburg gegen die Janusz-Korczak-Schule, benannt nach dem berühmten polnisch-jüdischen Arzt und Pädagogen, der im KZ ermordet wurde. Weitere Anschläge zielten auf Unterkünfte von Asylsuchenden, Anschläge, die auch Todesopfer forderten. So kamen am 22. August 1980 in Hamburg zwei Vietnamesen ums Leben.
Die Deutschen Aktionsgruppen flogen kurz danach auf; das Oberlandesgericht Stuttgart sprach 1982 gegen die Mitglieder zum Teil lebenslange Gefängnisstrafen aus. Manfred Roeder wurde wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Haft verurteilt. Die von ihm bereits Anfang der siebziger Jahre ins Leben gerufene Deutsche Bürgerinitiative, der vom Sommer 1979 bis zum Sommer 1980 nach Erkenntnissen der ermittelnden Behörden umgerechnet rund 45.000 Euro an Spenden zuflossen, existiert bis heute.
Ausgangspunkt dieser Terrorwelle der siebziger Jahre war der gescheiterte Versuch der NPD, bei den Bundestagswahlen 1969 einige Mandate zu erringen. Die Enttäuschung war groß. Taktische Rücksichten und legalistische Überlegungen traten nun hinter dem offenen Bekenntnis zum Nationalsozialismus und der Bereitschaft zurück, Gewalt auszuüben. Bereits 1972 stellte das Landgericht Düsseldorf fest, dass die 1969 gegründete Europäische Befreiungsfront eine kriminelle Vereinigung sei. Sie hatte Anschläge auf die Stromversorgung geplant, um das in Kassel vorgesehene Treffen von Bundeskanzler Willy Brandt mit DDR-Ministerpräsident Willi Stoph zu verhindern.
Diese Befreiungsfront war nur eine von zahlreichen rechten Terrorgruppen der Zeit. Im Mai 1976 scheiterte ein Sprengstoffanschlag des Bundeswehrgefreiten Dieter Epplen auf den amerikanischen Soldatensender AFN; wenig später wurde ein linker Buchladen in Hannover Ziel einer Bombenattacke. Allein in den Jahren 1978 und 1979 registrierte das Bundeskriminalamt in 33 Fällen die Beschlagnahme von Waffen und Sprengmitteln, darunter 35 Maschinenpistolen, 371 Gewehre und Handfeuerwaffen sowie neun Handgranaten. Am 19. Dezember 1978 fand die Polizei in Hanau bei einer Gruppierung namens Kommando 88 eine Liste mit 500 Namen möglicher Mordopfer. Waffen und Sprengstoff wurden auch bei der Nationalsozialistischen Kampfgruppe Großdeutschland um Manfred Knauber, der Nationalen Deutschen Befreiungsbewegung um Roland Tabbert oder bei der Wehrsportgruppe Hengst entdeckt, die aus entschlossenen Gewalttätern bestand.
In Norddeutschland war es 1977/78 eine Zelle um die beiden ehemaligen Bundeswehrunteroffiziere Michael Kühnen und Lothar Schulte sowie Lutz Wegener, die sich durch Überfälle auf Banken und Nato-Soldaten Geld und Waffen beschaffte. Das Oberlandesgericht Celle befand am 13. September 1979, diese Ausrüstungskriminalität habe der Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen gegen Angehörige der in Deutschland stationierten ausländischen Truppen, von Angriffen gegen die Berliner Mauer und Störungen des Transitverkehrs mit der DDR gedient. Eine weitere Zelle, die so genannte Otte-Gruppe, hatte sich im Raum Braunschweig etabliert, sie plante Anschläge gegen Richter und Staatsanwälte, die mit Verfahren gegen NS-Verbrecher und neonazistische Täter befasst waren.
Die extreme Rechte radikalisierte sich immer mehr. Das wirkte sich, wie der Soziologe Friedhelm Neidhardt ausführte, ebenfalls auf die NPD aus. Sie erschien nun vielen zu lasch. Die Gründer und Mitglieder der Terrorzellen kamen ja häufig aus Gruppen wie der NPD-nahen Wiking-Jugend, aber auch direkt aus der NPD oder deren Jugendorganisation. Die NPD konnte sie nicht mehr halten, sie wurde zu einem bloßen "Durchlauferhitzer".
Aus dieser Vorgeschichte erklärt sich nicht zuletzt die heutige Situation der Partei. Denn inzwischen hat die NPD nachgezogen und sich zu einer offen neonazistischen Partei radikalisiert. Sie ist Teil eines politischen Milieus, dessen Angehörige in großer Zahl "anmilitarisiert" sind und mittel- oder unmittelbar Erfahrungen mit Gewalthandeln haben. Jüngst der tageszeitung zugespielte Texte aus dem Internetforum Hard To Hate, in dem Kader des vor allem in Thüringen und Sachsen aktiven neonazistischen Freien Netzes kommunizieren, zeigen, wie offen in diesen Zirkeln zum Beispiel über Gewalttaten gegen Polizisten gesprochen wird. Maik Scheffler, ein führender Aktivist dieser Kameradschaftsszene, ist inzwischen Fraktionsmitarbeiter im Sächsischen Landtag in Dresden und stellvertretender NPD-Landesvorsitzender.
In den Parlamenten von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern hat sich die Partei etabliert. Dadurch ist sie zur zentralen Organisation der extremen Rechten in Deutschland geworden. Sie bekommt Geld für politische Kampagnen, sie steht unter dem Schutz des Parteienprivilegs, und sie kann jetzt – in gewissem Umfang – Karrieremöglichkeiten bieten. Das alles macht sie auch für harte neonazistische Akteure interessant, die sich zuvor außerhalb der Partei organisiert haben.
Selbstverständlich distanziert sich die NPD in ihren Pressemitteilungen vom Terrorismus, entschuldigt ihn aber damit, dass er nur die Folge einer verfehlten Ausländerpolitik wäre, gleichsam ein natürlicher Abwehrreflex. Zugleich werden wichtige Parteiämter mit verurteilten Gewalttätern besetzt. Zu ihnen zählen beispielsweise Stefan Köster, der trotz gemeinschaftlich begangener Körperverletzung an einer Antifa-Aktivistin in den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns einzog, sowie Patrick Wieschke, der im Jahr 2002 unter anderem wegen "Anstiftung zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion" zu einer 33-monatigen Haftstrafe verurteilt wurde. Nachdem er führende Positionen in der NPD Thüringens innehatte, ist Wieschke beim jüngsten Parteitag zum Bundesorganisationsleiter der Partei gewählt worden.
Sind die Straftaten dieser beiden Funktionäre noch relativ jungen Datums, so reicht der Fall Naumann weiter zurück und führt ebenfalls in die siebziger Jahre. Peter Naumann, zwischen 1972 und 1987 zum Teil in leitenden Funktionen bei der NPD und den Jungen Nationaldemokraten tätig, verübte Ende August 1978 mit Heinz Lembke einen Sprengstoffanschlag auf die Denkmalanlage an den Ardeatinischen Höhlen im Süden Roms, die an die Ermordung von 335 zivilen Geiseln durch die SS im März 1944 erinnert. Auch versuchte Naumann, die Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß im Januar 1979 in der ARD zu verhindern, indem er zwei Sendemasten sprengte.
Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main verurteilte ihn im Oktober 1988 unter anderem wegen der "Herbeiführung eines Sprengstoffanschlages und der Verabredung zu solchen" sowie wegen "versuchter Gründung einer terroristischen Vereinigung" zu 54 Monaten Haft. Im März 1995 wurde er wieder auffällig. Man fand zwei Rohrbomben in seinen Wohnungen. Daraufhin kapitulierte Naumann: Er postulierte eine "kämpferische Gewaltfreiheit" und offenbarte dem BKA 13 Waffen- und Sprengstoffdepots, in denen unter anderem 27 Kilogramm TNT gefunden wurden. In den Jahren 2007 und 2008 war er schließlich für die NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag als Berater tätig.
Der Terror von rechts war immer schon stiller als der von links. Mit uferlosen, theoretisch ausgefeilten Bekennerschreiben tat sich die Szene zu keiner Zeit hervor. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der rechte Terror immer schon Terror war. Folgt man der Definition des im vergangenen Jahr verstorbenen britischen Politologen Paul Wilkinson, so lässt sich von Terrorismus sprechen, wenn mit Attentaten große Furcht erzeugt werden soll, wenn sie auf einen größeren Kreis von Menschen zielen als nur die unmittelbar Betroffenen, wenn symbolische Ziele ausgewählt werden. Zudem will der Terrorist Regierungen unter Druck setzen oder bestimmte soziale Gruppen, will auf brutale Weise Einfluss nehmen.
Blanker Terror in diesem Sinne war 1980 der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest, der blutigste Anschlag in der jüngeren deutschen Geschichte überhaupt, dem 13 Menschen zum Opfer fielen. Ein Täter (der ebenfalls bei der Explosion umgekommen war) wurde identifiziert. Er hieß Gundolf Köhler, ein Student, der enge Verbindungen zu einer rechtsmilitanten Wehrsportgruppe unterhalten hatte. Bis heute harrt der Fall der Aufklärung, man kann kaum sagen, dass die Ermittlungen sehr engagiert verliefen. Ziel des Anschlags war es ganz offensichtlich, die unmittelbar bevorstehende Bundestagswahl zu beeinflussen. Der Staat sollte als machtlos vorgeführt werden, unfähig, seine Bürger zu schützen. So wollten die Rechtsterroristen, in ihrer verqueren Logik, den Ruf nach einer autoritären Regierung provozieren.
Andere Formen rechter Gewalt zielten (und zielen) darauf, Menschen einzuschüchtern, zu vertreiben oder gar "auszuschalten", Menschen, die den Neonazis als "Verräter an Volk und Nation" gelten oder bereits durch ihre schiere Existenz der Idee der "Volksgemeinschaft" widersprechen und dem "Aufstieg Deutschlands" im Wege stehen. Anfang der achtziger Jahre terrorisierte zum Beispiel die Zelle um Odfried Hepp und Walter Kexel US-Soldaten mit Autobomben; die Täter wollten die Bundesrepublik von der "amerikanischen Fremdherrschaft" befreien. 1997 schoss der schon als Jugendlicher in die Szene geratene Kay Diesner einen linken Buchhändler in Berlin nieder; später tötete er einen Polizisten im Feuergefecht. Zwei Jahre zuvor hatte der Lübecker SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Rother schwere Verletzungen erlitten, als er einen Brief mit einer Bombe öffnete. Die Sendung war an den stellvertretenden Bürgermeister Dietrich Szameit gerichtet, der ein kurz zuvor ergangenes Urteil gegen die Brandstifter der Lübecker Synagoge als zu milde kritisiert hatte.
Von Anfang an war die Geschichte des rechten Terrors in Deutschland auch eine Geschichte der Geheimdienste. Wen die aktuellen Ereignisse um die Thüringer Terrorgruppe überraschen sollten, hat sich offensichtlich noch nie mit dem Thema beschäftigt.
Schon in den frühen fünfziger Jahren sorgte die BDJ-Affäre für entsprechende Schlagzeilen. Im Januar 1953 verboten mehrere Landesinnenminister den drei Jahre zuvor gegründeten Bund Deutscher Jugend (BDJ) und dessen Technischen Dienst (TD). Tatsächlich stellte das eine, der Bund, den legalen Mantel für das andere, für den konspirativ organisierten Dienst dar. Unter Leitung des Arztes und Publizisten Paul Lüth sollte mit ehemaligen Soldaten der Wehrmacht und Waffen-SS eine bewaffnete Organisation aufgebaut werden, mit der man im Falle eines Linksrucks in der Bundesrepublik oder gar des befürchteten Einmarsches der Ostblock-Armeen den Partisanenkampf aufnehmen wollte. Bei Razzien gegen die Doppelorganisation, die nach außen als Vereinigung in der Tradition der bündischen Jugend auftrat, hatte die Polizei 1952 auch Mordlisten mit Namen von prominenten SPD-Politikern wie Erich Ollenhauer gefunden.
Umfangreiche Untersuchungen der damaligen hessischen Landesregierung ergaben, dass der BDJ/TD – quasi als klandestiner Verbündeter im Kalten Krieg – von US-Geheimdiensten finanziert und mit Waffen und Bomben versorgt wurde. Und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz stellte im November 1952 mäßig überrascht fest, dass die vom BDJ/TD verwendeten Personenblätter zu ihrer Mordliste "in Anlage und Aufbau jenen gleichen, wie sie das Bundesamt für Verfassungsschutz verwendet". Ganz offensichtlich hatten Lüth und die Seinen entsprechende Unterstützung erhalten.
Auch in den Folgejahren gab es schlagzeilenträchtige Verfahren gegen neonazistische Terrorgruppen, in denen die Tätigkeit von V-Leuten Fragen nach der Rolle des Verfassungsschutzes aufwarf. So stellte ein Bericht der FAZ zum Strafverfahren gegen Angehörige der Europäischen Befreiungsfront im Juli 1972 fest, dass der Hauptzeuge der Staatsanwaltschaft als ehemaliger Agent des Verfassungsschutzes eine treibende Kraft bei den Planungen war. Auch in gewaltorientierten Gruppen wie der Emdener Kampfgemeinschaft Nationaler Sozialisten, der Nationalistischen Front, der Otte-Gruppe oder einer NSDAP-Neugründung in den siebziger Jahren waren V-Leute der Verfassungsschutzämter stets hilfreich zur Stelle und beteiligten sich mit Fleiß an der Finanzierung, an der Herstellung von Sprengmitteln oder der Beschaffung von Waffen.
Wie intensiv die Öffentlichkeit den rechten Terror wahrnimmt – und wieder verdrängt –, hängt letztlich von politischen Konjunkturen und Interessen und von historischen Konstellationen ab. Gegenüber den Morden der RAF schien vielen in den siebziger und frühen achtziger Jahren die Formierung und Bewaffnung neonazistischer Gewalttäter wenig bedeutsam. Mancher konservative Politiker wie etwa der langjährige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß neigten gar zur Bagatellisierung dieses Phänomens. Möglicherweise fühlten sich die neonazistischen Akteure auch dadurch ermutigt, dass während des gesamten Jahrzehnts kein einziges Verbot gegen eine extrem rechte Vereinigung verfügt wurde.
Nach der Wiedervereinigung witterten die radikalen Rechten der alten Bundesrepublik Morgenluft. Die rassistische Gewaltwelle der frühen neunziger Jahre sahen sie als Unterstützung für ihr Ziel der großen "Ausländer"-Vertreibung. Angesichts der Pogrome in Hoyerswerda und Rostock, bei denen sich die Täter in ihrer Selbstermächtigung zur Gewalt nicht zuletzt durch die Berichterstattung auflagenstarker Boulevardmedien ermutigt gefühlt haben dürften, fantasierte man in neonazistischen Gruppen über den bevorstehenden Volksaufstand.
Doch auch die Staatszerfallskriege Jugoslawiens zogen manche an; offizielle Zahlen sprechen von dreißig Männern, die als Söldner auf den Balkan gingen, die Dunkelziffer lässt sich kaum abschätzen. Andere verbreiteten unter dem Pseudonym Hans Westmar ein umfangreiches Handbuch für den Untergrundkampf oder schulten sich für den Straßenterror und die "Ausschaltung" des politischen Gegners. Hatte man in der Öffentlichkeit die Pogrome zunächst zum Teil noch als Saufereiexzesse verharmlost, so führten die Morde von Mölln und Solingen dazu, Brandanschläge auf Wohnhäuser als versuchten Mord zu verfolgen. Schließlich, endlich, kam es bis 1995 auch zu zahlreichen Verboten neonazistischer Vereinigungen.
In den Internetforen der Szene werden heute ungehemmt Gewalt- und Mordfantasien verbreitet. Hauptfeind sind "die Ausländer", die Demokratie, die offene Gesellschaft. Hasserfüllt fiebert man dem großen Bürgerkrieg entgegen, aus dem ein neues, völkisches Deutschland entstehen werde. Blutige Visionen wie diese, so vermerkte bereits Mitte der achtziger Jahre der Soziologe Eike Hennig, erzwingen geradezu Gewalt: "Militanz ist notwendig, um diese Situation gestalten zu können. Das apokalyptische Bild von Chaos und Neuerweckung verlangt nach dem Fanal und der Ausschaltung der Feinde."
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die mittlerweile identifizierte Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund steht in der Kontinuität eines Rechtsterrorismus, wie er die Bundesrepublik seit den fünfziger Jahren begleitet. Nichts davon ist neu, aber alles daran fordert von der Öffentlichkeit, endlich aufzuwachen – und wach zu bleiben.